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Aktuell Prozess

Versuchter Totschlag: Sieben Jahre Haft für Reutlinger

Ein 50-jähriger Reutlinger hat am 8. Januar 2018 im Streit mit einem Fleischermesser seiner Ehefrau in den Rücken gestochen und sie auch an beiden Händen schwer verletzt. Die Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts verurteilte den Messerstecher am Donnerstag wegen versuchten Totschlags, gefährlicher und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. In seinem Urteil hielt sich die Kammer weitgehend an das Plädoyer von Oberstaatsanwalt Thomas Trück.

Foto: Deutsche Presse Agentur
Foto: Deutsche Presse Agentur

REUTLINGEN/TÜBINGEN. Am Vormittag hatte die Verteidigung des 50-Jährigen noch versucht, die Tat als Kurzschlussreaktion eines verzweifelten Mannes darzustellen, der mit dem ambivalenten Verhalten seiner Ehefrau nicht klargekommen sei. Sogar Morddrohungen im Vorfeld der Tat schob die Verteidigung den kulturellen Unterschieden zu. Der 50-Jährige stammt aus Kroatien und dort seien solche Drohungen nicht so ernst gemeint, so die Verteidigung. Safak Ott sah in dem Geschehen sogar einen minder schweren Fall. Sie hatte deshalb auf eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren für ihren Mandanten gehofft.

Doch diesen Vorstellungen erteilte die Schwurgerichtskammer gestern eine deutliche Absage. Am Tattag habe der Angeklagte seine von ihm getrennt lebende Ehefrau regelrecht gestalkt. Er habe damit Druck ausüben und ihr zeigen wollen, »du kannst mir nicht entkommen, ich weiß immer, wo du bist«, meinte der vorsitzende Richter Ulrich Polachowski in der Urteilsbegründung. Der 50-jährige Angeklagte sei auch nicht so verzweifelt gewesen, weil er die gemeinsamen Kinder nicht habe sehen können. Dem Mann sei es »um Kontrolle und Machtausübung, um nichts anderes« gegangen. »Er wollte bestimmen, wo und wann er seine Kinder sehen kann«, so Polachowski weiter.

Auch ein ambivalentes Verhalten der Ehefrau wollte das Gericht nicht sehen. Wenn die gemeinsamen Kinder nicht gewesen wären, hätte die 38-Jährige sicher schon früher einen klaren Schlussstrich unter die Ehe gezogen, ist sich der Richter sicher. Sie habe aber den Kindern den Vater nicht vorenthalten wollen. Wenn der Angeklagte dies als ambivalentes Verhalten verstanden habe, »dann hat er das schrecklich missverstanden«.

Das Geschehen sei tragisch für die Ehefrau gewesen, die durch die Tat »völlig unverschuldet zum Opfer geworden ist«. Wenn jemand in den Tagen vor dem Geschehen eine schwere Straftat ankündige, dann beim Streit in der Küche drohe, die Partnerin umzubringen, wenn sie die Polizei rufe, und dann, wenn die Polizei da ist, zum Messer greife und zusteche, der habe vor, sein Gegenüber zu töten.

Nicht ein Wort des Bedauerns

Die Tat sei nahe an einem versuchten Mord, betonte Polachowski. Verzweifelt sei nicht der Angeklagte, sondern dessen Ehefrau gewesen, und zwar in dem Augenblick, als sie um ihr Leben gekämpft und mit letzter Kraft die lange Klinge des Messers mit beiden Händen festgehalten habe. Polachowski: »Es war für die Frau ein Überlebenskampf.«

Der 50-Jährige habe bei seiner Messerattacke nicht nachgelassen. In anderen Gerichtsverfahren, die Polachowski kennt und in denen bei Ehestreitigkeiten ein Messer zum Einsatz gekommen ist, sei die Attacke nach einem Stich immer beendet gewesen, »aber nicht in diesem Fall«.

Und so lief das Geschehen nach Auffassung des Gerichts ab: Nachdem der Mann das Messer in der Hand hielt und auf seine Frau losgehen wollte, sprang die zwölfjährige Tochter dazwischen. Er schubste sie weg und verletzte dabei das Mädchen mit dem Messer am Arm. Danach stach er die Frau, die sich kurz abgewendet hatte, in den Rücken. Der Stich ging vier Zentimeter tief in den Körper, »das war kein oberflächliches Ritzen«.

Nach diesem ersten Stich machte er weiter. Die Ehefrau griff in die Klinge, um das Messer von sich wegzuhalten. Dabei wurden an ihren Händen mehrere Sehnen und Nerven durchtrennt. Die 38-Jährige sei immer noch »körperlich und psychisch schwer gezeichnet«, erklärte Polachowski.

»Es waren gravierende Verletzungen«, war auch Oberstaatsanwalt Trück der Meinung. Wenn der Polizeibeamte damals nicht so beherzt eingegriffen hätte, »würde die Situation heute ganz anders aussehen«. Trück hielt dem Angeklagten besonders vor, dass er nicht einmal aufgehört habe, als die Tochter dazwischen gegangen sei und er sie schwer verletzt habe. Vom Angeklagten selbst hörte man während des gesamten Prozesses kein Wort des Bedauerns über die Verletzungen, die er seiner Frau zugefügt hat. (GEA)