REUTLINGEN. Die Transformation der Innenstadt ist eine Chance. In diesen bewegten und bewegenden Zeiten zündet die Botschaft des ersten Reutlinger City-Talks ein Lichtlein an. Die Stadt sucht dazu den intensiven Dialog mit den Innenstadt-Akteuren. Bei der Premiere eines neuen Gesprächsformats in der »M 59« in der Metzgerstraße stand eine Personengruppe, die Wohl und Wehe der Innenstadt maßgeblich mitgestaltet, im Fokus: die Eigentümer und Vermieter.
Wenn es um die Innenstadt geht, wird immer nach der Verwaltung geschrien. Anna Bierig, Leiterin des Reutlinger Stadtmarketings und Moderatorin des Abends, hob gleich auf ein Kardinalproblem ab: Die Stadt hat auf viele Immobilien gar keinen Einfluss, weil sie im privaten Besitz sind. Über die Art der Nutzung oder den Leerstand, über den Grad von Sanierung oder Verfall, über Weihnachtsdeko und Blumenschmuck entscheiden die Eigentümer. Die mussten zuletzt angesichts diverser Krisen mit sinkenden Mieten umgehen auch in den Premiumlagen. Eine Chance in der – und für die – Transformation, machte Mustafa Kösebay vom international tätigen Beratungsunternehmen für den Bau- und Immobiliensektor Drees & Sommer deutlich.
»Gehen Sie an den Runden Tisch «
Kösebay regte hybride, flexible Nutzungskonzepte an. Den Vermietern empfahl er, weniger auf die Rendite schielen und durchaus mal kurzfristige Mietverträge einzugehen, auch um Leerstände zu vermeiden. Zielführend sei auch der Blick über die eigene Hauswand hinaus. Die Attraktivität des Umfelds komme allen Hausbesitzern eines Quartiers zugute.
Im Hinblick auf den Einzelhandel sieht der Experte den »Warenhaus-Untergang«. Sein »Zukunfts-Wimmelbild« zeigt Mischnutzung in solchen Immobilien: Sport, Gastronomie, Handel, Office, Kultur und Bildung unter einem Dach. Auch die City insgesamt werde künftig ein bunter Mix prägen. Grünflächen und Freiräume seien, das zeigen Umfragen immer wieder, den Menschen besonders wichtig. Neue Themen dräuen: So müssen die Städte angesichts des Klimawandels Überflutungsgebiete schaffen, eine Herausforderung, auch weil der Platz fehlt.
Das Reutlinger City-Herzstück Wilhelmstraße bewertet der Berater sehr positiv. Sein Rat an die Verwaltung: Die Metzgerstraße als »zweite Spange besser anbinden.« Sein Rat an die Innenstadt-Akteure: »Gehen Sie an den Runden Tisch.«
»Es gilt, die Metzgerstraße als zweite Spange besser anzubinden «
»Es ist inspirierend zu sehen, wie viele sich für die Zukunft der Stadt engagieren.« Oberbürgermeister Thomas Keck freute sich über gut gefüllten Zuschauerreihen. Hausbesitzer, Händler, Gastronomen – alle sollen helfen, die Innenstadt zu stärken. »Für die anstehende Transformation brauchen wir innovative Ideen.« Viel Geld könne die Stadt nicht in die Hand nehmen. »Aber wir setzen den Rahmen. Kommen Sie zu uns, reden Sie mit uns, wir sind zugänglich.«
Ideen konnten Innenstadt-Akteure bei der abschließenden Podiumsdiskussion gleich kundtun. Christoph Heise, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Reutlinger Industrie- und Handelskammer, befragte sie nach ihren Anregungen und Kritikpunkten. Peter Hack, Inhaber der »Genusswerkstatt« in der Oberamteistraße, lobte die Verwaltung: »Die Leine ist länger geworden.« Doch er wünscht sich weitere Entbürokratisierung, etwa wenn es um die Nutzung des Straßenraums in der Oberamteistraße geht. Die Gastronomie entwickele sich seit Corona positiv. Neue Konzepte würden gut angenommen. »Der Gast will entertaint werden.« Dazu brauche es auch den »Support des Vermieters«.
»Die Leute gehen in die Stadt, weil sie was erleben wollen«: Auch Christoph Epple, Geschäftsführer von Krams-Immobilien, sieht diesen Trend. So sei das Weindorf der größte Magnet. Es gebe aber Städte, in denen jede Woche etwas los sei. Die die Konzentration von Trubel wie am »Bermudadreieck« in der Oberamteistraße sei eine »Katastrophe« für die Anwohner, räumte Epple ein. Daher gelte es, die Event-Orte in der Stadt zu verteilen. Das Wirken der längst eingestellten Initiative »Nachtruhe« ist für ihn fatal: »Da rollt’s mir die Fußnägel auf«, was ihm Applaus aus dem Publikum einbrachte.
Größere Unternehmen verließen die Stadt, eher kleinere Konzepte seien gefragt. Begleitend zu diesem Wandel sieht Epple bei den Eigentümern ein »Erwachen« im Hinblick auf Mietniveau und Investitionsbereitschaft. Der Makler berichtete aber auch, dass »Angebot und Nachfrage oft nicht zusammenpassen.« Es dauere oft sehr lange, bis ein passendes Gebäude gefunden sei. »Investieren Sie in Ihre Immobilien«, so sein Appell. Der Stadt riet er zur Hilfestellung durch die Ausweisung von Sanierungsgebieten.
»Es tut sich was, wir bringen PS auf die Straße «
Bäckermeister Hubert Berger saß an diesem Abend als Immobilienbesitzer auf dem Podium. Es sieht sich und seinesgleichen in der Verantwortung, »die Immobilie in Schuss zu halten und auch mal was zu tun, was monetär nichts bringt«.
Arcadia-Chef Henrik Mozer, der seit über 40 Jahren Bowling und andere Events in der Metzgerstraße anbietet, bat dringend um Überarbeitung der 50 Jahre alten Bausatzung. Bei seinen Umbauten in der Metzgerstraße habe er teils »massive« Probleme damit gehabt. So habe ihm das Bauamt nach langen Verzögerungen den Einbau großer Fenster letztlich doch untersagt. »So was geht nicht.«
Insgesamt werden die Rathausaktivitäten zur Stärkung der Innenstadt aber sehr positiv wahr- und aufgenommen. Viel Lob gab es für das nach Bekanntwerden der Breuninger-Schließung Anfang März zeitnah präsentierte 16-Punkte-Programm der Verwaltung. Vom Gratisbusverkehr am Samstag bis zum Personalaufbau beim Kommunalen Ordnungsdienst ist fast alles abgearbeitet, berichteten die Dezernenten Angela Weiskopf und Roland Wintzen (Bericht folgt).
Christian Wittel brachte als Vertreter der Einzelhändler-Interessengemeinschaft RT-aktiv den Tenor der Lorbeeren auf den Punkt: »Es tut sich was, wir bringen PS auf die Straße.« Früher sei auch viel geredet und lange Sitzungsprotokolle geschrieben worden. »Sonst hat sich aber nix getan«. Auch er bat Immobilienbesitzer, neuen Konzepten eine Chance zu geben: »Reutlinger seid mutiger.«
Wie findet Mut den Richtigen? Philipp Schreier von der LLASM Technology in Leverkusen stellte ein neues Onlinetool vor. Die Matchingplattform »Leerstandslotsen« bringe Gewerbeflächensuchende mit Eigentümern, Maklern oder Kommunen zusammen und helfe bei »nachhaltiger Vermittlung« von Ladenlokalen. (GEA)

