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Aktuell Geschichte

Streikbrecher oder Stütze?

Stadtarchiv erinnert in einer Wandvitrinen-Ausstellung an die Anfänge des Technischen Hilfswerks vor Ort

Kaminsprengung im früheren Vulkanwerk Storlachstraße, 9. Oktober 1938: Diese Aktion nutzte sowohl der Technischen Nothilfe als a
Kaminsprengung im früheren Vulkanwerk Storlachstraße, 9. Oktober 1938: Diese Aktion nutzte sowohl der Technischen Nothilfe als auch der Stadt Reutlingen, die die Kaminsprengung veranlasst hatte. Weshalb es zwei Profiteure gab? Nun, die Technische Nothilfe konnte praxisnah üben, die Stadt sparte Kosten. FOTO: STADTARCHIV
Kaminsprengung im früheren Vulkanwerk Storlachstraße, 9. Oktober 1938: Diese Aktion nutzte sowohl der Technischen Nothilfe als auch der Stadt Reutlingen, die die Kaminsprengung veranlasst hatte. Weshalb es zwei Profiteure gab? Nun, die Technische Nothilfe konnte praxisnah üben, die Stadt sparte Kosten. FOTO: STADTARCHIV

REUTLINGEN. Revolutionäre Unruhen zu Beginn der Weimarer Republik mit Streiks und Aufständen veranlassten den Volksbeauftragten und späteren Reichswehrminister Gustav Noske (SPD), dem Vorschlag des Reserveleutnants Otto Lummitzsch (1886–1962) zu folgen und aus Soldaten geeigneter Truppenteile eine Technische Abteilung (TA) zu bilden. Deren Aufgabe war, bei Streiks die öffentliche Versorgung zu sichern. Daneben entstanden auch erste zivile Zeitfreiwilligen-Helferverbände unter dem Namen Technische Nothilfe (TN, auch Teno).

Die Technische Nothilfe war zwar im linken Parteienspektrum als Streikbrecher unbeliebt. Die Parteien der Weimarer Koalition – SPD, DDP und Zentrum – sowie große Teile des konservativen Bürgertums sahen in den paramilitärisch organisierten Verbänden jedoch eine wichtige Stütze der öffentlichen Ordnung. Deshalb erfolgte am 30. September 1919 die formelle Gründung der Technischen Nothilfe als reichsweite »freiwillige Arbeitsgemeinschaft«.

Ortsgruppe seit Dezember 1919

Die Reutlinger Ortsgruppe bestand bereits im Dezember 1919. Als erster Ortsgruppenführer wurde der langjährige Direktor der Gas- und Wasserwerke Karl Gessler (1883–1947) eingesetzt, der die Leitung jedoch bereits Mitte Januar 1920 an den Dipl.-Ing. Josef Klaiber übergab. Ihren ersten Einsatz hatte die Technische Nothilfe während des Reutlinger Generalstreiks im Sommer 1920, als sie im Gaswerk den Notbetrieb sicherstellte. Eingesetzt wurde sie auch im Juni 1925 am Reutlinger Hauptbahnhof, um während des Streiks der Arbeiter den Ladedienst bei der Güterstelle aufrechtzuerhalten.

Ab Mitte der 1920er-Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt der Tätigkeit in Richtung Katastrophenschutz. Seit Anfang der 1930er-Jahre oblag ihr zudem der zivile Luftschutz. Im »Dritten Reich« wurde sie schrittweise in eine technische Hilfspolizeitruppe umgewandelt und 1939 offiziell eine staatliche Organisation.

Im Zweiten Weltkrieg wurden die wehrpflichtigen Nothelfer in den besetzten Gebieten für die Instandsetzung und den Notbetrieb lebenswichtiger Betriebe eingesetzt. Die Älteren blieben an ihren Heimatstandorten, wo sie für den Luftschutz gebraucht wurden. Am 10. Oktober 1945 wurde die Technische Nothilfe durch das Kontrollratsgesetz Nummer 2 abgeschafft.

Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, am 22. August 1950, beauftragte der damalige Bundesinnenminister Gustav Heinemann Otto Lummitzsch, den Leiter der Technischen Nothilfe von 1919 bis 1934, mit dem Aufbau einer Zivilschutzeinrichtung in der Bundesrepublik. Dieser Tag wird traditionell als Gründungstag des Technischen Hilfswerks (THW) gefeiert. Erster Direktor des THW wurde Lummitzsch. Seit 1953 ist das THW eine Bundesanstalt, dessen gesetzliche Aufgabe die technische Hilfe im Zivilschutz und Katastrophenfall ist. Die Gründung des Ortsverbands Reutlingen erfolgte 1954.

Das Stadtarchiv Reutlingen zeigt derzeit in zwei Vitrinen vor seinen Diensträumen anlässlich des 100. Jahrestags der Gründung der Technischen Nothilfe verschiedene Dokumente aus ihrer Geschichte von 1919 bis zur ihrer Auflösung 1945. Die kleine Archivalien- und Bilderschau ist noch bis Ende Februar 2020 zu den Öffnungszeiten des Rathauses zu sehen. (eg)