REUTLINGEN. Was ist Integration? Das machten schon vor Beginn des Festakts zum 40-jährigen Bestehen des Reutlinger Integrationsrats (IR) am Mittwochabend im Rathaus acht Männer aus dem Senegal und aus Gambia deutlich. Mit ihrer stetig weiter wachsenden Band »Safnama« übersetzten sie das Thema in Musik. Djembe, andere Percussioninstrumente, Kora und Marimbaphon machten klar: Lautlos geht Integration nicht. Der abwechselnde Sprechgesang zweiter Mitglieder am Mikro zeigte: Das klingt manchmal fremd, improvisiert - aber alles in allem rhythmisch und mitreißend.
Der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck als Vorsitzender dieser kommunalpolitischen Migrantenvertretung und Gastgeber zeigte sich überwältigt angesichts der vielen Mitfeiernden. Er blickte zurück: Was war das für ein Land, wo in Reutlingen als einer der ersten baden-württembergischen Städte eingewanderte Menschen beschlossen, sich zusammenzutun? Um gehört und gesehen zu werden? 1984 war die erste Wahl für dieses beratende politische Gremium, das damals noch Ausländerbeirat und später Ausländerrat hieß. Deutschland begriff sich da noch nicht als Einwanderungsland. Aber es war von Migranten geprägt, auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Die hatten wesentlichen Anteil am Aufstieg der Bundesrepublik, hob Keck hervor. Mit den Jahren änderten sich Name und Modalitäten: Mitglieder werden seit 2015 nicht mehr von Reutlingern mit ausländischem Pass gewählt, sondern vom Gemeinderat als Sachverständige ernannt.
Und heute? Anders als zu Beginn gehören dem Integrationsrat heute doppelt so viele Mitglieder an wie Kommunalpolitiker. Die sind zumindest in einem der drei Verwaltungsausschüsse beratend vertreten. »Nicht mehr Nationalitäten stehen im Vordergrund sondern Themen«, lobte der OB. Im Januar beginnt die Bewerbungsrunde um einen der 14 Sitze im neuen Gremium - und deren 14 Stellvertreter. Keck zeigte sich stolz, dass in der Stadt Menschen »mit Bezügen zu 160 Ländern« leben. Das biete Chancen, aber auch Herausforderungen. Denn reibungslos sind die vergangenen 40 Jahre diesbezüglich nicht verlaufen. Aber »Konflikte sind ein Ausdruck dessen, dass sich eine Gesellschaft weiterentwickelt«. So entstehe »ein neues Wir«.
»Wir sind Sprachrohr für unsere Communitys und Brückenbauer«
Wie bunt, kreativ und vielfältig dieses »Wir« ist, zeigten die weiteren Programmpunkte: Moderiert von Aleksandra Vohrer, stellten zunächst Barbara Hoffmann, Dusan Vesenjak, Yasmin Nasrudin und Ayfer Selcuk vom amtierenden Integrationsrat Pfeiler in dessen Entwicklung und Aspekte ihrer Arbeit vor. Sie sehen sich jeweils als »Sprachrohr für unsere Communitys« und »Brückenbauer«. Ziel sei es, auch Sitze in den anderen Ausschüssen zu erhalten. Um letztlich »den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft weiter zu stärken«.

Farbenfroh, witzig, glitzrig traten sieben junge Männer und zwei junge Frauen vom »Theater der Generationen« des Kolpinghauses auf. Nachdem sie den Weihnachts-Klassiker »Jingle Bells« zum sozialkritischen »Kindergeld, Kindergeld...« umgedichtet hatten, sinnierten sie unter populär-adventlichen Kopfbedeckungen humorvoll über Nikoläuse, Glühweintrinken und niederschwellige Erklärungen dieses seltsamen Begriffs: »In-te-gra-tion«.
»Was die Gesellschaft zusammenhält, ist ihr Zukunftsversprechen«
Der Tübinger Soziologe Dr. Boris Nieswand warf einen wissenschaftlichen Blick aufs Thema: Diversifizierung ist ein globaler Trend, und wer will, dass Deutschland ein wohlhabendes Land bleibt, braucht weitere Zuwanderung. Ergo: Die sozio-demografische Heterogenität nimmt zu. Doch »was die Gesellschaft eigentlich zusammenhält, ist ihr Zukunftsversprechen«, stellte er heraus. Dazu gehören Wohlstand und Partizipation - für die Migranten ebenso wie für ihre Kritiker. Denn Rassismus ist kein Privileg der deutschen Eingeborenen. Integration bleibe eine Daueraufgabe. Und der IR bringe dazu Expertise und Empathie ein - »beides ist wichtig«, betonte Nieswand.

Als Höhepunkt stellten Aleksandra Vohrer und ihre IR-Kollegen den brandneuen Image-Clip des Reutlinger Integrationsrats als exklusive Vorpremiere vor. Auch dafür gab es wie für die Band »Safnama«, deren Name übersetzt »gefällt mir« heißt, Applaus. Schließlich trugen sich die ehemaligen und aktuellen Mitglieder mit Vertretern der Kommunalpolitik ins Goldene Buch der Stadt ein. (GEA)