REUTLINGEN. »Ein gigantisch schönes Bild«, schwärmt Thomas Klingseis vor dem Unterwasserporträt eines japanischen Pfeilschwanzkrebses im 3. Stock des Reutlinger Naturkundemuseums. Der Franzose Laurent Ballesta hat seinem Foto den Titel »Das goldene Hufeisen« gegeben. Und sich selbst damit aus Sicht einer siebenköpfigen internationalen Jury den Titel »Naturfotograf des Jahres 2023« verdient. Mit diesem Gesamtsiegerbild und weiteren fünf Fotografien, in denen der Meeresbiologe die Lebensweise dieser vom Aussterben bedrohten Art in noch nie dagewesener Weise zeigt, errang er beim Wettbewerb »Wildlife Photographer of the Year« zudem den Portfoliopreis.
Zusammen mit 94 ebenfalls ausgezeichneten Arbeiten weiterer Fotografen aus 95 Nationen – darunter auch 20 Frauen – ist die im Meer um die philippinische Insel Palawan entstandene Serie noch einen Monat lang im Fachwerkhaus neben der Marienkirche zu sehen.
Ausstellungsführer Klingseis hebt die »wahnsinnige Farbgebung« in Ballestas Fotografien hervor, die der vielfach ausgezeichnete 50-jährige Forscher und Fotograf mit einem ganzen Team von Tauchern – und zwei Blitzlichtern – erreichte. Die Krebse seien gehend und schwimmend »zügig unterwegs«, erklärt er: »Wenn sie sich erstmal bewegen, können Sie’s vergessen, ein scharfes Foto zu schießen.« Dass ihr durch Kupfer statt Sauerstoff durch den Körper transportiertes Blut blau ist und medizinisch lebensrettend wirken kann, trage zum dramatischen Rückgang dieser mehr als 400 Millionen Jahre alten Art bei.
Auch bei anderen der 100 unter 49.957 eingereichten Beiträgen ausgewählten Aufnahmen hebt Klingseis wissenswerte Details hervor. So verweist er in den abstrakt anmutenden »Korallenconnections« des Briten Alex Mustard zusätzlich zu den Seeanemonen noch auf drei gut getarnte Fische, von denen einem sogar ein winziger Ruderfußkrebs im Nacken sitzt.
Zudem liefert der Biologe erleuchtende Hintergründe zur Entstehung der Bilder: Für den Wettbewerb gelten strenge ethische Grundsätze. Die Tiere dürfen zum Beispiel nicht beunruhigt und die Fotos nicht bearbeitet werden. Seit einiger Zeit sind auch Drohnenaufnahmen zugelassen wie Bertie Gregorys »Wale beim Wellenmachen« in der Antarktis.
Was aber macht die scheinbar unauffällige Szene einer Mauerbiene, die ihr Nest in einem Schneckenhaus baut, so besonders? Der Hesse Solvin Zankl hat sie im Flug von den Mandibeln bis zu den Flügeln ohne die geringste Bewegungsunschärfe erwischt – »das müssen Sie erstmal hinkriegen!« Die Belichtungszeit von 1/1.000 macht’s möglich. Technik und Geduld zeichnet auch den Gewinner des Nachwuchspreises für 15- bis 17-Jährige aus: Carmel Bechler aus Israel hat mit seiner Nikon ein Eulenpaar gestochen scharf hinter einem als Farbfeld erscheinenden vorbeifahrenden Auto eingefangen.
In allen 16 Kategorien erzählen die Fotos Geschichten von Tieren und Pflanzen. Sie richten das Augenmerk auf den vielfach desolaten Zustand unserer Erde. Einige treiben dem Betrachter Tränen in die Augen – »Der letzte Atemzug« eines Schwertwals in der niederländischen Brandung etwa oder der Blick eines bei einer illegalen Jagd verletzten Rotfuchses.

Andere entzücken durch ihre Ästhetik wie der Sporentanz im »Pilzzauber« des Griechen Agorastos Papatsanis oder die »Erleuchtung« dank 16-minütiger Mehrfachbelichtung, durch die Sriram Murali den nächtlichen Flug von Glühwürmchen sichtbar macht. Wieder andere lassen schmunzeln. Dazu gehört eine mutige Löwenmutter mit zwei Jungen, die ihre Mimik bei der Abwehr eines Kaffernbüffels imitieren, und ein Makake, der in Atsuyuki Ohshimas Schnappschuss »Waldrodeo« einen Hirsch als Taxi nutzt.
Alle Fotos der Wettbewerbe von 2010 bis 2024 mit vielen Infos finden sich online auf der Website des Londoner Natural History Museums. (GEA)
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