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Reutlinger Zentrum für Altersmedizin: Was geleistet wird

»Früher oder später sind wir alle hier«: Was im Zentrum für Altersmedizin des Kreisklinikums am Steinenberg geleistet wird, und welche Herausforderungen zu bewältigen sind.

Fachübergreifende Visite am Bett einer Patientin. Während der Lymphmassage gegen die geschwollenen Beine beraten Chefarzt  Heinz
Fachübergreifende Visite am Bett einer Patientin. Während der Lymphmassage gegen die geschwollenen Beine beraten Chefarzt Heinz-Ulrich Raschke (ganz links) und das Team wie sie der Dame am besten helfen können. Foto: Stephan Zenke
Fachübergreifende Visite am Bett einer Patientin. Während der Lymphmassage gegen die geschwollenen Beine beraten Chefarzt Heinz-Ulrich Raschke (ganz links) und das Team wie sie der Dame am besten helfen können.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Der Besuch im Zentrum für Altersmedizin ist wie ein Blick in die eigene Zukunft. »Früher oder später sind wir alle hier«, sagt Chefarzt Dr. Heinz-Ulrich Raschke. Seit 2011 werden im Zentrum für Altersmedizin, zunächst in Bad Urach, seit 2023 am Klinikum am Steinenberg auf Station B4 Menschen mit alterstypischen Erkrankungen und Gesundheitsstörungen behandelt. Äußerlich sehen lange Gänge, Empfangstheke oder Zimmer fast so aus wie überall im Krankenhaus. Doch die Art und Weise, wie hier gearbeitet wird, unterscheidet sich ebenso wie die Patienten von anderen Teilen der Klinik. Gegen Ende des Lebens wird eine andere Medizin und Pflege gebraucht.

Denn als »geriatrischer Patient« wird ein Mensch bezeichnet, der nicht nur sehr alt ist, sondern zusätzlich unter mehreren Erkrankungen leidet. Oberärztin Ute Marszalek erklärt das mit einem leicht verständlichen Beispiel: Der Körper ist im Alter von über 80 Jahren insgesamt gebrechlich geworden. Zusätzlich leidet er unter Herzproblemen und Diabetes sowie ungenügender Nierenfunktion. So ähnlich wie der Großvater, den sie gemeinsam mit Ergotherapeutin Birgit Schütz zur Visite besucht. Es ist ein erschütterndes Bild. Unter der Bettdecke verschwindet die abgemagerte Gestalt des Höchstbetagten fast. Nur sein Kopf mit einigen weißen Haaren schaut heraus. Seine Krankengeschichte ist ganz typisch.

»Ich will wieder in meine schöne Wohnung«

Bislang konnte dieser alte Herr trotz leichter Demenz noch mit Unterstützung von Angehörigen oder Pflegedienst zu Hause leben. Er kümmerte sich sogar noch um seine pflegebedürftige Frau, schaffte die 80 Stufen hoch zur Wohnung im zweiten Stock. Als er stürzt, und dabei einen Oberschenkelhalsbruch erleidet, ändert sich seine Situation gravierend. »Dann bricht das Kartenhaus zusammen«, sagt Marszalek. Sie versucht mit dem Mann zu sprechen, aber der antwortet kaum. Seinen Zustand akuter Verwirrtheit nennen die Mediziner »Delir«. Das Zentrum für Altersmedizin kümmert sich darum, solchen ebenso zerbrechlichen wie medizinisch anspruchsvollen Menschen zu helfen. Dazu hat es klare Strukturen und Behandlungsschwerpunkte.

Chaos im Kopf - Umgang mit Delir im Krankenhaus

Angehörige stehen oft hilflos vor den zahlreichen Problemen, unter denen ihre höchstbetagten Familienmitglieder oder Verwandten leiden. Eine davon ist die als »Delir« bezeichnete ernst zu nehmende Verwirrtheit, die häufig bei älteren Menschen in Langzeitpflegeeinrichtungen und im Krankenhaus auftritt. Über das »Chaos im Kopf - Umgang mit Delir im Krankenhaus« informiert das Zentrum für Altersmedizin in Kooperation mit dem Kreisseniorenrat Reutlingen auf zwei Informationsveranstaltungen. Am Dienstag, 25. Juni, wird von 17 Uhr bis 18.30 Uhr in die Akademie der Kreiskliniken (Daimlerstraße 23 in Pfullingen, direkt hinter dem Supermarkt) eingeladen. Am Dienstag, 2. Juli, startet die anderthalbstündige Veranstaltung in der Albklinik Münsingen (Lautertalstraße 47). Es referieren Dr. med. Ute Marszalek als Oberärztin mit geriatrischen Schwerpunkt, Marc Böttcher als Gesundheits- und Krankenpfleger mit dem Fachgebiet Geriatrie und die Ergotherapeutin Birgit Schütz. Angesprochen werden Fachkräfte, ehrenamtlich Tätige, Angehörige und interessierte Bürgerinnen und Bürger. Die Teilnahme ist kostenlos.

Der alte Mann aus dem Beispiel landet über die Notaufnahme nach der Operation in der Unfallchirurgie direkt im Bereich der Akutgeriatrie, womit er Glück hat. Hier wird multiprofessionell gearbeitet: Medizin, Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychologie und Seelsorge stehen gemeinsam am Bett. Auf der Station kümmern sich sechs als Geriater ausgebildete Ärzte sowie ein Pflegeteam mit 30 Köpfen um die Patienten. Auf der Abteilung können gleichzeitig maximal 36 Kranke betreut werden. Ziel der Akuttherapie ist das, was sich jeder Betroffene und seine Angehörigen wünschen. So schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen, zurück in die gewohnte Umgebung mit möglichst viel Selbständigkeit. Genau diesen Wunsch äußert wie alle, die noch sprechen können, eine Dame im nächsten Zimmer.

Oberärztin Ute Marszalek und Ergotherapeutin Birgit Schütz (vorne) beraten über einen Patienten.
Oberärztin Ute Marszalek und Ergotherapeutin Birgit Schütz (vorne) beraten über einen Patienten. Foto: Stephan Zenke
Oberärztin Ute Marszalek und Ergotherapeutin Birgit Schütz (vorne) beraten über einen Patienten.
Foto: Stephan Zenke

»Ich möchte wieder heim in meine schöne Wohnung«, sagt die Dame im Bett. Seit Januar hat sie die eigenen vier Wände nach einem Sturz nicht mehr gesehen. Die akutgeriatrische Abteilung konnte sie bereits durchlaufen, anschließend hat ihr der geriatrische Schwerpunkt dabei geholfen, eine passende Rehabilitation zu bekommen. In ihrem Fall war es eine Behandlung in der Fachklinik Hohenurach. Leider gibt es Komplikationen mit ihrer Wundheilung, weswegen sie wieder an den Steinenberg gekommen ist. Diese Leidensgeschichte ist charakteristisch für viele Senioren, was für Betroffene und liebende Angehörigen eine Katastrophe darstellt. »Es ist bei vielen noch nicht angekommen, dass eine an sich harmlose Erkrankung wie eine Harnwegsinfektion dazu führen kann, dass das Kartenhaus zusammenfällt«, meint Oberärztin Marszalek. Wieder dieses Kartenhaus als bildliche Beschreibung einer fragilen Existenz. Im Angesicht der harten Fakten geht es immer wieder um eine Frage.

»Wie geht es weiter«, ist die Hauptsache aller Bemühungen im Zentrum für Altersmedizin, erklärt Marszalek. Getan wird alles, was geht und Sinn ergibt. Dann helfen auch Bewertungsgruppen, die sich wirklich jede und jeder mal durchlesen sollte: Die klinische Frailty Skala (zu finden etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie unter www.dggeriatrie.de) listet im Prinzip die Stadien des menschlichen Alterns in Stufen von 1 für »sehr fit« bis 9 »terminal erkrankt« auf . Das ist knallharte Lektüre, denn auch im Zentrum für Altersmedizin ist das Leben irgendwann endlich. Gut, wenn Angehörige Vollmachten und Patientenverfügungen besitzen. Deswegen gehört es auch dazu, die traurige Wahrheit dann auszusprechen, wenn es notwendig ist. Nein, der geliebten Mutter ist eben nicht mehr wirklich zu helfen – aber sie wird nicht leiden. »Man muss achtsam und sensibel mit den Angehörigen kommunizieren«, beschreibt die Oberärztin ganz leise auf dem Gang sprechend ihr Vorgehen. Gegenüber ist eine berührende Szene zu sehen.

»Man muss achtsam und sensibel kommunizieren«

In einem Krankenzimmer haben sich mehrere Menschen rund um eine Patientin versammelt. Ein Bild, das bezeichnend für die Teamarbeit ist. Der Dame jenseits der 80 geht es den Umständen entsprechend gut, aber sie bedarf dennoch einer intensiven Betreuung angesichts von Problemen mit dicken Beinen und der Wundheilung. Deswegen bekommt sie eine Lymphmassage, während ihr die Fachfrau fürs Wundmanagement die Hand hält – da die Massage etwas weh tut. Chefarzt Dr. Heinz Ulrich Raschke steht am Kopfende des Bettes, unterhält sich mit der Patientin. So viel Personaleinsatz ist etwas, das heutzutage auffallend ist. »Wir sind bei der Pflege eigentlich ganz gut aufgestellt«, meint Raschke. Allerdings beschreibt auch der Chef einige Herausforderungen. Die 36 Betten des Zentrums für Altersmedizin seien zu wenige. »Es gibt sicher einen höheren Bedarf. Das Haus ist an seiner Kapazitätsgrenze«, so Raschke. Und die Personaldecke sei ebenfalls gelegentlich zu dünn oder kurz. Was das konkret bedeuten kann, erklärt Oberärztin Marszalek mit Blick auf die Bedeutung von Physiotherapie zur Mobilisierung von alten Menschen nach Operationen. Gibt's davon zu wenig, wirkt das auf einen ohnehin unter Muskelschwund leidenden Körper verhängnisvoll.

Der weit über 80 Jahre alte Mann ist nach einer Operation noch nicht wieder ganz da. Oberärztin Ute Marszalek versucht mit ihm z
Der weit über 80 Jahre alte Mann ist nach einer Operation noch nicht wieder ganz da. Oberärztin Ute Marszalek versucht mit ihm zu sprechen. Foto: Stephan Zenke
Der weit über 80 Jahre alte Mann ist nach einer Operation noch nicht wieder ganz da. Oberärztin Ute Marszalek versucht mit ihm zu sprechen.
Foto: Stephan Zenke

Möglicherweise wird aus der zuvor noch so halbwegs beweglichen Mutter danach eine Rollstuhlfahrerin, oder aber ihre Chancen auf eine Rehabilitation sinken. Nur kann niemand eine freie Physiotherapeutin herbeizaubern. Die Offenheit ist bemerkenswert – und wie als Beweis des Willens alles Menschenmögliche zu tun, schiebt eine Seniorin mit weißen Haaren ihren Rollator begleitet von einer jungen Frau mit oranger Bluse durch den Gang. Orange tragen die Therapeuten, erklärt Raschke. Dann blickt er nachdenklich auf einen dünnen Mann, der angestrengt seine Gehhilfe und sich bewegt. »Das war mal ein Chefarzt. Der hat vielen Menschen das Leben gerettet – jetzt ist er hier bei uns«. (GEA)

www.kreiskliniken-reutlingen.de