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Aktuell Kommunalwahl

Reutlinger Wahlpartys: Höhenflüge und Enttäuschungen

Ergebnisse auf die Leinwand im Rathaus-Foyer, Wahlpartys in der Innenstadt: Bei den einen herrscht Enttäuschung, die anderen freuen sich über Stimm- und Sitzzuwächse. So haben die Parteien fürs Reutlinger Stadtparlament den Montag verbracht.

Das Ergebnis der Kommunalwahl 2024 wurde am Montag im Rathausfoyer verkündet.
Das Ergebnis der Kommunalwahl 2024 wurde am Montag im Rathausfoyer verkündet. Foto: Frank Pieth
Das Ergebnis der Kommunalwahl 2024 wurde am Montag im Rathausfoyer verkündet.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Ab der Mittagszeit flimmern die ersten Hochrechnungen über die Leinwand, die im Rathausfoyer aufgebaut ist. Vertreter der meisten Parteien, aber auch einige interessierte Bürger kommen vorbei, um sich zu informieren. Die Wahlhelfer arbeiten seit den frühen Morgenstunden auf Hochtouren, doch bis alle 92 Bezirke ausgezählt sind, ziehen einige Stunden ins Land - kurz nach 15.30 Uhr herrscht dann Gewissheit und das vorläufige Endergebnis steht fest. Für manch einen war es ein Grund zum Feiern, die nächsten waren tief enttäuscht und andere waren fast erleichtert, als die Zitterpartie endlich ein Ende hatte.

Die CDU hat in der Alten Bank ihr Wahlergebnis gefeiert.
Die CDU hat in der Alten Bank ihr Wahlergebnis gefeiert. Foto: Frank Pieth
Die CDU hat in der Alten Bank ihr Wahlergebnis gefeiert.
Foto: Frank Pieth

CDU

Die CDU wird künftig stärkste Fraktion im Reutlinger Gemeinderat sein, obwohl sich die Zahl der Mandate mit neun nicht verändert hat. Stimmenkönig ist Frank Glaunsinger mit 23.531 Stimmen, gefolgt von seiner Fraktionskollegin Gabriele Gaiser, die mit 22.366 Stimmen am Ende nur knapp hinter ihm, im Laufe der Auszählung manchmal sogar vor ihm lag. »Damit habe ich nicht gerechnet«, sagte Glaunsinger, »umso mehr freut es mich, dass mir so viele Wähler ihr Vertrauen geschenkt haben.« Ein wenig haderten die Christdemokraten mit dem Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung nach Sainte-Lague/Schepers, das eindeutig kleinere Parteien bevorzuge. So benötigte die jüngste CDU-Gemeinderätin Anna Mylona für ihr Direktmandat 12.488 Stimmen, während andere Kandidaten kleinerer Parteien es mit weniger als 7.000 Stimmen ins Gremium schafften. Die Situation, so Gaiser, mit fünf Räten der AfD und einem der Partei, sei nun völlig neu. »Das wird nicht einfach werden, aber das ist Ansporn für uns alle.« Die CDU-Fraktion werde Gespräche mit den anderen Parteien auf sich zukommen lassen und dabei ihren Weg gehen, sagte Gaiser. Angesichts des Abschneidens der AfD sei die Wahlfreude jedoch ein wenig verhalten.

Die Grünen im Glück und das obwohl sie einen Sitz verloren haben.
Die Grünen im Glück und das obwohl sie einen Sitz verloren haben. Foto: Frank Pieth
Die Grünen im Glück und das obwohl sie einen Sitz verloren haben.
Foto: Frank Pieth

Die Grünen

Mit einem Sitz weniger (acht anstatt neun) werden die Grünen künftig im Gemeinderat vertreten sein - angesichts der Europawahl ein Ergebnis, »mit dem wir sehr zufrieden sind«, sagte Gabriele Janz. Jaron Immer und Katharina Ernst werten es ebenfalls als Erfolg, da es »deutlich gegen den Bundestrend« sei. Für Immer auch ein Zeichen dafür, dass das Thema Klimaschutz in Reutlingen relevant ist und dass es die Menschen bewege, wenn es konkret werde. Sie freuten sich außerdem, dass sie zusammen mit Eleanor Weber deutlich zur Verjüngung des Gemeinderats beitragen werden. Und: »Es ist wichtig, dass die Brandmauer gegenüber der AfD weiter steht«, sagte Immer, denn deren hohes Wahlergebnis sei erschreckend. Der Stimmenkönig aus dem Jahr 2019, der Grüne Karsten Amman, erreichte in diesem Jahr mit 21.653 Stimmen Platz 3, auch er zeigte sich zufrieden.

Die SPD ist enttäuscht: Sie landete hinter der AfD.
Die SPD ist enttäuscht: Sie landete hinter der AfD. Foto: Frank Pieth
Die SPD ist enttäuscht: Sie landete hinter der AfD.
Foto: Frank Pieth

SPD

Gedrückte Stimmung hingegen herrschte bei der SPD: Lange Zeit waren AfD und SPD gleichauf, mal hatte die AfD die Nase vorn, mal die SPD. Letztendlich landete die Alternative hauchdünn vor den Sozialdemokraten, »das hätte nicht sein müssen«, sagten die Sozialdemokraten, die die Auszählung verfolgten. »Da hat sich was verfestigt, das war keine reine Protestwahl mehr«, sagte Mert Akkeceli, der zum ersten Mal im Gemeinderat vertreten sein wird. »Das freut mich persönlich natürlich sehr«, betonte Akkeceli. Das Ergebnis gesamt betrübt ihn aber, denn seine Partei hat einen Sitz eingebüßt. »Da schlägt die Bundesstimmung durch«, ist er sich sicher. Die Sozis waren sich einig, dass es nicht einfacher werde im Gemeinderat. Das sieht auch Oberbürgermeister Thomas Keck so: »Künftig Mehrheiten zu finden, wird im Reutlinger Gremium schwieriger werden.«

Hansjörg Schrade wurde als Stadtrat wiedergewählt, seine AfD hat künftig fünf Sitze im Reutlinger Gemeinderat.
Hansjörg Schrade wurde als Stadtrat wiedergewählt, seine AfD hat künftig fünf Sitze im Reutlinger Gemeinderat. Foto: Stephan Zenke
Hansjörg Schrade wurde als Stadtrat wiedergewählt, seine AfD hat künftig fünf Sitze im Reutlinger Gemeinderat.
Foto: Stephan Zenke

AfD

Hans-Jörg Schrade (AfD) hatte am gestrigen Montag Oberwasser. Nachdem sich der Trend abzeichnete, dass seine Partei zwei Sitze mehr haben wird, sagte er: »Fakten und wirtschaftliche Vernunft werden künftig eine größere Rolle spielen.« Er und seine Kollegen hätten »95 bis 98 Prozent Sacharbeit geleistet, es wird künftig noch schwerer, uns zu überhören«. Die vergangenen Jahre habe Schrade lediglich »geübt, mit fünf Leuten sind wir natürlich noch deutlich besser aufgestellt«. Sein Fazit: »Die Brandmauer ist jetzt sturmreif.«

Ergebnis verbessert: Die WiR ist in Feierlaune.
Ergebnis verbessert: Die WiR ist in Feierlaune. Foto: Frank Pieth
Ergebnis verbessert: Die WiR ist in Feierlaune.
Foto: Frank Pieth

WiR

Bester Laune zeigten sich die Vertreter von WiR bei ihrer Wahlparty am Abend. »Wir haben mehr als ein Prozent zugelegt,« freute sich Professor Dr. Jürgen Straub, »es wäre schön gewesen, einen vierten Sitz zu bekommen, aber wir haben uns gesteigert und sind daher sehr zufrieden.« Das Finden von Mehrheiten sieht die WiR künftig als größere Herausforderung, »aber so ist des Wählers Wille«, den es nun mit Inhalten zu füllen gelte. »Das wird spannend«, ist Marco Wolz überzeugt. Im Falle von vernünftigen inhaltlichen Vorschlägen könnte man sich auch vorstellen, mit der AfD abzustimmen, allerdings werde man vorab keine Absprachen mit ihnen treffen und auch keine gemeinsamen Vorschläge einreichen.

Die FWV ist mit ihren fünf erreichten Mandaten zufrieden.
Die FWV ist mit ihren fünf erreichten Mandaten zufrieden. Foto: Frank Pieth
Die FWV ist mit ihren fünf erreichten Mandaten zufrieden.
Foto: Frank Pieth

FWV

Mit dem Ergebnis zufrieden zeigten sich die Freien Wähler in Reutlingen (FWV). »Wir haben uns mit fünf Mandaten sehr gut geschlagen«, befand Jürgen Fuchs. Er wurde allerdings nicht mehr in den Gemeinderat gewählt. »Ich hatte mir ja schon letztes Jahr überlegt, aufzuhören, ich bin jetzt nicht unglücklich«, so Fuchs. Jürgen Neumeister, der als Spitzenkandidat angetreten war, zeigte sich deutlich enttäuscht, »dass ich als Nummer 1 nicht gewählt wurde«. Kurt Gugel freute sich hingegen über »mein persönliches Ergebnis« – genauso wie Georg Leitenberger: »Schade ist nur, dass es hauchdünn nicht zum sechsten Sitz gereicht hat«, waren sich beide einig. Dass es mit der angekündigten Verjüngung der Fraktion nicht wirklich gereicht hat, woran lag’s? »Ich habe aus tiefster Überzeugung auf Platz 10 kandidiert«, sagte Friedel Kehrer-Schreiber. So hätte sie jüngeren Kandidatinnen den Vortritt überlassen wollen. Jenny Winter-Stojanovic sagte: »Es gibt viele neue Gesichter, sie werden hoffentlich zusammenarbeiten, Visionen entwickeln – wir müssen parteiübergreifend umdenken.«

Für die Linke war es eine Zitterpartie. Am Ende konnten sie ihre zwei Sitze behalten.
Für die Linke war es eine Zitterpartie. Am Ende konnten sie ihre zwei Sitze behalten. Foto: Stephan Zenke
Für die Linke war es eine Zitterpartie. Am Ende konnten sie ihre zwei Sitze behalten.
Foto: Stephan Zenke

Die Linke

Zu den Wackelkandidaten gehörten die Vertreter der Linken, deren Stimmungslage zwischen Hoffen und Bangen hin und her schwankte: »Anfangs sah es ja gar nicht so schlecht aus«, sagte Rüdiger Weckmann, während die Stimmen noch ausgezählt wurden. Zwei Mandate, wie gehabt, das hätte sich sehen lassen können. Doch lange Zeit schien es dann so, als ob die Linken nur noch einen Sitz, den von Weckmann, hätten verteidigen können. Dann am Ende die Erlösung - es wurden doch wieder zwei Mandate und das, obwohl mit dem Wechsel von Jessica Tatti zum BSW die Reutlinger Linke ein wichtiges Gesicht verloren habe. Aber: Nach wie vor sieht Weckmann die Probleme in Reutlingen nicht gelöst, damit »die sozial-ökologische Verkehrswende und eine Politik für die Armen gelingt«.

Mehr Stimmen als 2019 haben für Sarah Zickler (FDP) trotzdem nicht für ein Mandat ausgereicht.
Mehr Stimmen als 2019 haben für Sarah Zickler (FDP) trotzdem nicht für ein Mandat ausgereicht. Foto: Frank Pieth
Mehr Stimmen als 2019 haben für Sarah Zickler (FDP) trotzdem nicht für ein Mandat ausgereicht.
Foto: Frank Pieth

FDP

Enttäuschung machte sich bei den Liberalen breit, als der dritte Sitz im Gremium von Sarah Zickler zunächst heftig wackelte und dann komplett wegbrach. Damit verliert die Partei auch den Fraktionsstatus, »das ist sehr bedauerlich«, sagte Regine Vohrer, die künftig nur noch mit Hagen Kluck für die FDP im Gremium vertreten ist. »Wir hatten so eine gute Zusammenarbeit«, blickt sie zurück, zudem verpasse ausgerechnet eine jüngere Frau den Einzug ins Gremium, das ohnehin von Männern dominiert sei. Hagen Kluck sieht die Verantwortung für den Einbruch in großen Teilen bei der Ampel und auch einer Tendenz dahingehend, »dass fast jede Wahl eine Denkzettelwahl ist«. Sarah Zickler war enttäuscht, dass sie keinen Sitz mehr im Stadtrat hat, und das, obwohl sie stimmenmäßig um fast 1.800 Stimmen zugelegt hat.

Andreas Schwarz (zweiter von links) von der Partei ist künftig im Gemeinderat.
Andreas Schwarz (zweiter von links) von der Partei ist künftig im Gemeinderat. Foto: Frank Pieth
Andreas Schwarz (zweiter von links) von der Partei ist künftig im Gemeinderat.
Foto: Frank Pieth

Die Partei

Andreas Schwarz hat einen Gemeinderatssitz ergattert. Warum? Immerhin war Björn Birkholz doch der Spitzenkandidat? »Naja, wahrscheinlich hat der Andreas mehr bezahlt«, ulkte Dirk Mrotzeck als weiterer Kandidat der PARTEI. Aber: Ist die Gruppierung »nur« eine Spaßpartei? »Nein, die eigentliche Spaßpartei ist doch die FDP«, so Birkholz. Bei der kleinen Feier gestern Abend im Schwarzen Café fehlte Andreas Schwarz, er musste bis 21 Uhr arbeiten. Aber: So ganz unernst werde der seinen künftigen Job im Gemeinderat nicht ausüben, versicherte Mrotzeck. »Andreas Schwarz wird sich Verbündete suchen, wir wollen auf jeden Fall ernsthafte Politik betreiben – vielleicht ab und zu einen satirischen Antrag stellen.« (GEA)