REUTLINGEN. Annähernd 100 Jahre wird es noch dauern, bis Frauen und Männer die gleichen Chancen, Gehälter und Rechte haben werden. Zu dieser Einschätzung kommt der Global Gender Gap Reports 2020, der sich auf Erhebungen bis Ende 2019 bezieht – also auf die Zeit vor Corona. Drei Jahre später hat die Pandemie durch geschlossene Kitas oder den Unterricht zu Hause Familien und insbesondere Frauen stark belastet. Ein Rückfall in althergebrachte Muster des Zusammenlebens ist die Folge. Die weltweite Geschlechterlücke zu schließen, dürfte durch Corona in weitere Ferne gerückt sein. Von einer Umsetzung des Artikels 3, Absatz 2 des Grundgesetzes ist auch Deutschland noch weit entfernt: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin«.
Aufmerksamkeit erhöhen
Dass sich etwas ändert, ist auch Ziel der »Reutlinger Frauenwochen«, die seit 2019 rund um den »Internationalen Frauentag« am 8. März organisiert werden. Veranstaltungen sollen »die Aufmerksamkeit für ein wichtiges Thema erhöhen«, sagte Erster Bürgermeister Robert Hahn bei der Präsentation des Programms. Zwar habe sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel verändert. Das bedeute aber nicht, dass man sich zurücklehnen könne. Schon beim Thema gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gebe es viel zu tun. »Es darf in die gesamten Themen und Debatten Tempo hineinkommen, damit die Gerechtigkeitslücke möglichst schnell geschlossen wird.« Rechtlich sei die Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland erreicht. Jedoch sprächen viele Fakten dafür, dass dies in der Realität noch nicht der Fall ist. Sei es bei der Digitalisierung, in der Gesundheitsversorgung oder auf dem Arbeitsmarkt, so Oberbürgermeister Thomas Keck in seinem Grußwort zum Programm. 2020 hätten Frauen durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer. Und Frauen leisteten pro Tag im Schnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer. »Und sie erhalten eine um 49 Prozent niedrigere Alterssicherung als Männer.« Stichwort Männer: Ohne ihr Zutun werde es eine Gleichstellung nicht gehen, sagte Robert Hahn. Die Themen gingen also nicht nur Frauen an, sondern die gesamte Gesellschaft.
»Es ist wichtig, dass sich auch die Männer für diese Themen interessieren.« Wenn sich nur die Hälfte der Bevölkerung dafür einsetze, »werden wir nichts erreichen«.Väter sollten beispielsweise darüber nachdenken, ob ihre Töchter im Beruf einmal weniger Geld verdienen sollten, als der ihnen gleichgestellte Mann, »der einen Schreibtisch weiter sitzt«.
Es sei immer noch eine Mammutaufgabe, weil die Gleichstellung viele Bereiche tangiere, bestätigte Verena Hahn, Sprecherin des Reutlinger Frauenforums – auch im Hinblick auf die Stadtverwaltung. »Wir wünschen, uns, dass die Gleichstellungsarbeit bei der Stadt noch besser aufgestellt ist. Mit einer halben Stelle ist das einfach nicht zu managen.«
Für das Programm der Frauentage zeichnen die Stadt, das Frauenforum Reutlingen, das Jobcenter, der Verein gÖrls oder die Frauengeschichtswerkstatt verantwortlich.
Welche Infos, Diskussionen und kulturellen Angebote zusammengestellt wurden, erläuterten Verena Hahn, Rahel Rose, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Reutlingen und Koordinatorin der Frauenwochen sowie Corinne Kocher von gÖrls (siehe Info-Box). (GEA)
DAS PROGRAMM DER REUTLINGER FRAUENWOCHEN IN KURZFORM
Telefonsprechtag, Filme, Kundgebung, Lesungen, Diskussionen
Freitag, 4. März Weltgebetstag. Zukunftsplan Hoffnung. Orte siehe www.reutlingen-evangelisch.de Dienstag, 8. März 9 bis 12 Uhr, Chefinnen gesucht. IHK berät telefonisch Frauen, die sich für eine Betriebsübernahme interessieren. https://Veranstaltungen.ihkrt.de/07121 220308 9.30 bis 11.30 Uhr, Starke Gründerinnen im Portrait. https:// veranstaltungen.ihkrt.de/gruenderinnen2022 9.30 bis 12 Uhr Bewerben mit Kopftuch Vorurteilen und Unsicherheiten souverän begegnen. Digital über Zoom. Jobcenter-LK-Reutlingen. BCA@jobcenter-ge.de 15 bis 18 Uhr, Remember my Name, remember my Story. Ausstellung auf dem Marktplatz zeigt einzelne Biografien von getöteten Frauen und vermittelt Infos Thema Femizide. 16.30 Uhr, "Wandel ist weiblich – Kundgebung, Marktplatz 18 Uhr, Politikerinnen im Fokus. Wege, Strategien und Kompetenzen, um in die Politik zu gehen. Digital. Zugangsdaten nach Anmeldung BCA@jobcenter-ge.de, 07121 434660 Mittwoch, 9. März 16 bis 19 Uhr, Frauen lesen für Frauen in der Stadtbibliothek www2.stadtbibliothek-reutlingen.de 07121 3032847 Donnerstag, 10. März Täglich 18.15 Uhr und am 11. März nur 14 Uhr, Programmkino Kamino, Film »Vaterland« von Petra Seeger. www.kamino-reutlingen.de Freitag, 11. März 18 bis 19.50 Uhr, Kamino, Film »Die Kundin«. Mit Publikumsgespräch. www.kamino-reutlingen.de Sonntag, 13. März 15 bis 16 Uhr, Heimatmuseum Mensch Mädchen! Rollenbilder der 1960er und 1970 er Jahre in Spielzeug und Kinder/Jugendliteratur, 07121 3032050 Montag, 14. März 19 bis 21 Uhr, Spitalhofsaal Reflexionen über Differenz und Geschlecht mit Podiumsdiskussion. Vhahn.ra@web.de Dienstag, 15. März 19 bis 20.30 Uhr, Lesung und Diskussion Franziska Schutzbach »Die Erschöpfung der Frauen – wider die weibliche Verfügbarkeit«. Digitalgleichstellung@ reutlingen.de Sonntag, 8. Mai 11 bis 13 Uhr internationales Frauenfrühstück Citykirche www.reutlingen.de