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Reutlinger berichtet über seine tägliche Arbeit mit Toten

Psychologe, Bestatter und Gärtner: Bastian Spranger ist all das in einem. Seit 13 Jahren ist er als Friedhofsmitarbeiter auf der Reutlinger Römerschanze tätig. Den GEA hat er durch die letzten Stationen eines Menschenlebens geführt.

Bestattungsfachkraft mit Herz: Bastian Spranger im Särge-Ausstellungssaal.
Bestattungsfachkraft mit Herz: Bastian Spranger im Särge-Ausstellungssaal. Foto: Frank Pieth
Bestattungsfachkraft mit Herz: Bastian Spranger im Särge-Ausstellungssaal.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Ein Friedhof ist ein Ort für die Toten und gleichzeitig eine Andachtsstätte für Hinterbliebene – doch er ist noch mehr. Für Bastian Spranger und seine rund 30 Kollegen ist der Friedhof ein Arbeitsplatz. Um hier bestehen zu können, benötigt man nebst Zuverlässigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität noch etwas anderes: Überzeugung.

Bastian Spranger, der ursprünglich Forstwirt gelernt hat, ist heute als Bestattungsfachkraft tätig. Der Anstoß zu seiner beruflichen Neuorientierung kam durch ein Buch, das ihm damals auf dem Arbeitsamt ins Auge gestochen sei. Die Arbeit als Forstwirt habe ihm immer viel Spaß bereitet, doch der Wunsch nach einem »zukunftssicheren und vor allem ausgefallenen Job« wurde immer größer. Beständig ist seine jetzige Branche garantiert, denn Menschen sterben jeden Tag. In einem Praktikum stellte er schnell fest, wie »abwechslungsreich« die Arbeit mit dem Tod wirklich ist. Seit 13 Jahren ist er mittlerweile bei der Stadt Reutlingen in der Abteilung Friedhöfe tätig.

Friedhofsmitarbeiter muss (nicht) gelernt sein

In Reutlingen gibt es 15 Friedhöfe – darunter den Hauptfriedhof auf der Römerschanze. Zwar wurde die Friedhofsanlage erst 1959 offiziell eröffnet, doch schon 1944 wurden hier erstmals Menschen bestattet. Dabei handelte es sich um die Opfer der Luftangriffe auf Reutlingen. Die Kriegsgräber kann man auf dem knapp 200 Quadratmeter großen Areal auch heute noch besuchen. Seit 2002 gehört zum Friedhof auch ein städtisches Krematorium.

Zum Team des Friedhofs Römerschanze zählen neben zehn Büroangestellten auch 20 »Allrounder«. Diese werden in verschiedenen Bereichen des Friedhofs - der einen eigenen Bestattungsdienst betreibt - rotierend eingesetzt. Das kann also beispielsweise bedeuten: Am Montag und Dienstag ist die Grabpflege im Freien dran, am Mittwoch werden Verstorbene für ihren letzten Weg hergerichtet und am Donnerstag werden neue Gräber ausgehoben. Diese vielseitigen Aufgaben sind nicht für jeden geeignet, wie Bastian Spranger weiß. Dabei wagen außergewöhnlich viele Quereinsteiger diesen beruflichen Schritt: »Die wenigsten unserer Mitarbeiter haben Bestattungsfachkraft gelernt. Einige waren beispielsweise Metzger, Lackierer oder Mechatroniker. Man wird ein bisschen ins kalte Wasser geschmissen, um herauszufinden, ob man diese Arbeit machen kann, oder nicht.«

Nicht ganz so schick, wie in einem Beauty-Salon: Der Hygieneraum auf dem Friedhof Römerschanze.
Nicht ganz so schick, wie in einem Beauty-Salon: Der Hygieneraum auf dem Friedhof Römerschanze. Foto: Frank Pieth
Nicht ganz so schick, wie in einem Beauty-Salon: Der Hygieneraum auf dem Friedhof Römerschanze.
Foto: Frank Pieth

Zu den neuen, sicherlich herausfordernden Aufgaben gehören auch die Vorbereitungen für die Aufbahrung der Toten. Im Hygieneraum werden die Verstorbenen hierfür zurechtgemacht. Rasierschaum, Haarspray und -bürste sowie Reinigungsgel: Ein bisschen riecht es wie in einem Beauty-Salon, mit einer zugegeben recht gewöhnungsbedürftigen Unternote, die für den Laien nicht direkt zuzuordnen ist, aber hängen bleibt. Kein Wunder, denn im integrierten Kühlraum wartet ein Leichnam auf seine Behandlung. »Mit dem kleinen Kran hier oben können wir die Verstorbenen in den Sarg heben. Der dient zur Schonung des Rückens«, erklärt Bastian Spranger die eiserne Konstruktion in der Mitte des Raumes.

In diesem hat der 39-Jährige binnen der zurückliegenden Jahre schon »alles« erlebt, wie er selbst sagt. Manche Fälle seien herausfordernder als andere. »Anfangs war die Aufbahrung - gerade von Unfalltoten, Suizidtoten oder auch Mordopfern - sehr hart, doch auch daran gewöhnt man sich, so komisch das klingt«. Man entwickle außerdem einen starken Selbstschutz, der auch auf das private Leben abfärbe: »Man merkt dementsprechend schon, dass man in sensiblen Themen allgemein sehr abstumpft.«

Knochen bauen sich nicht immer restlos ab

An diesem Mittag steht auf der Römerschanze eine Beerdigung an. Das Grab ist bereits ausgehoben. »Das erledigen wir immer ein bis zwei Tage vorher. Man weiß ja nie, ob plötzlich ein Bagger ausfällt. Das wäre natürlich ungünstig, wenn es kurz vor knapp passiert«, so der 39-Jährige. Neben dem tiefen Loch im Boden stehen zwei Container, die mit Planen abgedeckt sind. In diesen Behältern befindet sich die ausgehobene Erde. Doch die Abdeckung dient nicht nur dem Schutz vor dem Wetter.

»Die Toten haben eine Ruhezeit von 15 Jahren (für Kinder unter 10 Jahren beträgt die Ruhezeit 12 Jahre). Nach dieser Zeit können Gräber wieder neu belegt werden. Dazu wird die Erde eines alten Grabes ausgehoben und bis nach der Beerdigung in den Containern gelagert, um das Grab anschließend wieder zu füllen«, erklärt Spranger. In der ausgehobenen Erde befinden sich jedoch manchmal noch Knochen, die sich in den letzten 15 Jahren nicht vollständig zersetzt haben. Was passiert mit den Überresten des Grab-Vorbesitzers? Nichts! Sie werden im Rahmen der neuen Beisetzung einfach wieder mitbeerdigt. Genau genommen ruhen also gelegentlich mehrere Knochen gemeinsam in einem Grab.

Ein seltener Einblick in das Krematorium Römerschanze: Ein Sarg steht für die Einfahrt in den Ofen bereit.
Ein seltener Einblick in das Krematorium Römerschanze: Ein Sarg steht für die Einfahrt in den Ofen bereit. Foto: Frank Pieth
Ein seltener Einblick in das Krematorium Römerschanze: Ein Sarg steht für die Einfahrt in den Ofen bereit.
Foto: Frank Pieth

Jährlich finden auf den Reutlinger Friedhöfen etwa 1.100 Bestattungen statt, davon sind rund 65 Prozent Feuerbestattungen - eine deutlich bevorzugte Methode. Warum das so ist, darüber kann der gelernte Bestatter nur spekulieren: »An fehlenden Grabplätzen liegt es nicht. Ich denke, es hat eher mit der Grabpflege und den Kosten zu tun. Viele Kinder ziehen weit weg zum Studieren und können sich dann nicht um ein großes Grab kümmern.« Ein Urnengrab erfordert deutlich weniger Pflege, so der Experte.

Im hauseigenen Krematorium auf der Römerschanze wird im Zwei-Schicht-Betrieb mit zwei Öfen gearbeitet. In diesem Arbeitsumfeld bleibt wenig Raum für übermäßige Emotionalität. »Wir führen täglich rund 16 Einäscherungen durch«, erklärt Krematoriumsleiter Hans Punzo. Der Einäscherungsprozess dauert etwa drei Stunden. Dabei wird der Sarg in die Brennkammer gefahren und mit hoher Hitze zum Brennen gebracht. Sobald alles verbrannt ist, fällt die Asche auf eine Wendeplatte eine Etage tiefer. Zu diesem Zeitpunkt kann bereits der nächste Sarg eingeschoben werden.

Um eine mögliche Verwechslung der Asche zu vermeiden, wird auf jeden Sarg ein Schamottstein gelegt. Bei der Ankunft eines jeden Toten werden dessen Name und die Geburts- sowie Sterbedaten in einem Verzeichnis notiert. Das Krematorium gibt jedem Verstorbenen eine einmalige Einäscherungsnummer. Diese Nummer steht später auf dem feuerfesten Schamottstein. Nach der Einäscherung bleibt dieser Stein in der Asche und kommt mit in die Urne. So kann man die Identität des Verstorbenen jederzeit - also auch nach 15 Jahren - sicher feststellen. »Maximal drei bis vier Tage vergehen, bis ein Leichnam eingeäschert wird«, so der Krematoriumstechniker.

Jeder Schamottstein ist mit einer Nummer versehen. So kann man die Identitäten auch ohne Überreste jederzeit identifizieren.
Jeder Schamottstein ist mit einer Nummer versehen. So kann man die Identitäten auch ohne Überreste jederzeit identifizieren. Foto: Frank Pieth
Jeder Schamottstein ist mit einer Nummer versehen. So kann man die Identitäten auch ohne Überreste jederzeit identifizieren.
Foto: Frank Pieth

»Hier unser Sammelsurium«, sagt Bastian Spranger während eines Spazierganges durch die unteren Geschosse des Krematoriums und zeigt auf eine unscheinbare Metallkiste, aus der er nebst einer angekokelten Uhr und ein paar Schrauben einen künstlichen Hüftknochen aus Titan zieht. »Das ist oft das, was von einem Menschen übrig bleibt ... und der Geruch nach verbrannten Haare, den man hier manchmal in die Nase bekommt.«

Die für den Laien vermutlich kaum vorstellbaren Gerüche, Bilder und Geschmäcker, denen man hinter den Kulissen des Friedhofs Römerschanze begegnet, sind für den erfahrenen Friedhofsmitarbeiter jedoch nach wie vor das, was »am wenigsten schlimm ist«. »Wirklich schlimm ist es, mit den trauernden Angehörigen umzugehen und sich nicht jedes Schicksal zu Herzen zu nehmen.« Seit einiger Zeit ist Bastian Spranger Vater. Ein Grund, wieso er in Sachen Kinderaufbahrung und Beerdigungen die Reißleine gezogen hat. »Ich halte viel aus, aber das geht mittlerweile wirklich nicht mehr«, gibt er zu.

Das Resümee: Der Job eines Friedhofsmitarbeiters ist sicherlich nichts für sensible Naturen. Doch Bastian Spranger ist angekommen. »Man macht eine wichtige und vor allem respektvolle Arbeit, bei der man die Hinterbliebenen ganz arg unterstützt. Das gibt einem - wenn man es mit Herz und aus Überzeugung macht - so viel zurück, dass man abends weiterhin gut einschlafen kann.« (GEA)