REUTLINGEN. Soll das Rauchen in der Öffentlichkeit prinzipiell oder zumindest in bestimmten Bereichen gesetzlich untersagt werden? Geht es nach der Mehrheit der EU-Gesundheitsminister, die jetzt eine entsprechende Empfehlung abgegeben haben, wäre das ein großer Schritt in die richtige Richtung: nämlich weg von der Nikotinsucht und hin zu mehr Volksgesundheit. Zum einen - so die Hoffnung - könnten verschärfte Restriktionen Raucher dazu bewegen, die Finger von den Glimmstängeln zu lassen, zum anderen käme ein Rauchverbot im Freien insbesondere Kindern und all jenen Nichtrauchern zugute, die bislang gesundheitlichen Risiken durch Passivrauchen und das Einatmen sogenannter Aerosole ausgesetzt sind. Ein sinnvoller Ansatz? Oder eine unbotmäßige Beschneidung der Freiheit? Der GEA hat sich in der Reutlinger Fußgängerzone umgehört und einen bunten Strauß unterschiedlicher Meinungen gepflückt.
Klaus-Dieter Wächter: »Ich halte gar nichts von einem ausgedehnten Rauchverbot im Freien«
»Was ich von einem ausgedehnten oder weniger ausgedehnten Rauchverbot im Freien halte? Gar nichts!« Für Klaus-Dieter Wächter ist das »zu viel der Reglementierung«. Zumal ihn der Blaue Dunst unter freiem Himmel nicht stört. Dass in öffentlichen Gebäuden, am Arbeitsplatz und in Restaurants schon seit Langem keine Glimmstängel mehr geduldet sind - das begrüßt der 64-jährige Nichtraucher ausdrücklich. Aber im Biergarten, in Parks oder im Freibad möge der mündige Bürger doch selbst entscheiden, ob er pafft oder nicht. Im Übrigen sei's auch eine Frage der Umgangsformen. Raucher könnten sich doch vor dem Anstecken einer Zigarette höflichkeitshalber erkundigen, ob das jemanden in nächster Nähe stört. Falls ja, dann wäre Abstandhalten selbstverständlich wünschenswert. Miteinander reden, so Wächter sinngemäß, sei allemal besser, als die Verbotskeule zu schwingen.
Petra Beck: »Die EU soll sich lieber um ernsthafte Probleme kümmern und ihre Hausaufgaben machen«
Eine Auffassung, die von Petra Beck geteilt wird. Für sie ist ein Rauchverbot im Freien schlichtweg »Blödsinn« und ein »weiterer Auswuchs europäischer Reglementierungswut«. Die 55-Jährige ist sichtlich empört. Hörbar ebenfalls. »Die EU«, schimpft sie, »soll sich lieber um ernsthafte Probleme kümmern und ihre Hausaufgaben machen, zum Beispiel in Fragen der Flüchtlingspolitik und der schwächelnden Volkswirtschaft«. Ein Open-Air-Rauchverbot »geht mir zu weit. Das ist ein Eingriff in die Selbstbestimmtheit. Da wird eine rote Linie überschritten.«
Tonio Rossi: »Ich finde es übel, wenn die Politik versucht, erwachsene Menschen zu bevormunden«
Und was meint Tonio Rossi? »Ich finde es übel, wenn die Politik versucht, erwachsene Menschen zu erziehen und zu bevormunden. Wo kommen wir denn da hin?« Außerdem dürfe man sich gelassen fragen, was gesundheitsschädlicher ist: »in der Außengastronomie neben einem Raucher zu sitzen oder an der Lederstraße zu wohnen«. Im Übrigen sei die »Gängelung« von Rauchern »doch irgendwie scheinheilig. Denn alle 27 EU-Staaten profitieren von ihren Rauchern - über gewaltige Steuereinnahmen. Ich habe gelesen, dass allein der deutsche Fiskus durch die Tabaksteuer jährlich 15 Milliarden Euro einnimmt. Das ist echt kein Nasenwässerle«, so der Reutlinger.
Lea Stepanov: »Rauchen ist extrem ungesund und Raucher belasten unser Gesundheitswesen«
Allerdings sind diese mutmaßlichen 15 Milliarden für Lea Stepanov trotzdem kein Argument. »Rauchen ist extrem ungesund und Raucher belasten unser Gesundheitswesen, sie kosten die Krankenkassen enorm viel, garantiert mehr als die Tabaksteuer dem Staat einbringt.« Vergleichszahlen hat die Stuttgarterin zwar keine parat, ist sich jedoch sicher, dass »Raucher dem Sozialstaat schaden«. Vor diesem Hintergrund wäre Stepanov sogar ein generelles Rauchverbot in der Öffentlichkeit willkommen - zum Schutz der Nichtraucher und Raucher gleichermaßen. Konkret: »Je weniger Gelegenheit es gibt, zur Zigarette zu greifen, desto weniger wird geraucht. Ist doch logisch.«
Fred Müller: »Diesmal hat Brüssel zu tief in unser Privatleben hineinregiert, ist übers Ziel hinausgeschossen«
Ganz anders die Meinung von Fred Müller, der es ärgerlich findet, dass »Brüssel diesmal viel zu tief in unser Privatleben hineinregiert«. Zwar ist sich der 79-Jährige bewusst, dass »Europa nichts verboten, sondern bloß empfohlen hat und jeder Mitgliedsstaat selbst für seine Gesundheitspolitik Verantwortung trägt«. Dessen ungeachtet wurde aber nach Einschätzung von Müller »diesmal gewaltig übers Ziel hinausgeschossen«. Obschon selbst Nichtraucher, macht ihn das Ansinnen, Rauchen im Freien großräumig zu untersagen, »fassungslos«. Für ihn ist es der unlautere Versuch, »ein Verbot durchs Hintertürchen durchzumogeln und moralischen Druck auf jene Länder aufzubauen, die der Empfehlung nicht folgen mögen.«
Larissa: »Ein Rauchverbot im Biergarten oder Freibad geht mir zu weit. Genug ist genug!«
Womit er Larissa (39) aus dem Herzen spricht. Während der Krieg in der Ukraine wütet, die Menschen sich vor islamistischem Terror fürchten und keine Lösung der Flüchtlingskrise in Sicht ist, sei es doch schlichtweg lächerlich, wenn sich die EU mit dem Rauchen in der Öffentlichkeit beschäftigt. »Geht's noch?« Mal ganz davon abgesehen, dass Raucher ja schon vor dem EU-Vorschlag stark eingeschränkt wurden. Was Larissa als Raucherin im Übrigen richtig findet. Dass Nichtraucher in geschlossenen Räumen keinen Schwaden und Schadstoffen mehr ausgesetzt sind, das sei gut. Und auch Rauchverbote auf Spielplätzen sind für die Reutlingerin in Ordnung. »Aber ein Rauchverbot im Biergarten oder Freibad, geht mir zu weit. Genug ist genug!«
Maria Sliptsova: »Niemand sollte zum Passivrauchen gezwungen werden. Vor allem Kinder müssen geschützt werden«
Oder auch nicht. Maria Sliptsova findet nämlich, dass der Schutz von Nichtrauchern schwerer wiegt, als die Freiheit von Rauchern. Weshalb es die 19-jährige Tübingerin begrüßen würde, wenn es mehr Orte - auch unter freiem Himmel - gebe, über denen kein Blauer Dunst schwebt. Beispiel: Außengastronomie. »Hier wäre es zweckdienlich, Zonen einzurichten. Niemand sollte zum Passivrauchen gezwungen werden. Vor allem Kinder müssen geschützt werden.«
Klaus-Dieter Stock: »Die aktuellen Einschränkungen, besonders Rauchverbote in Innenräumen, sind für mich genug«
Und Klaus-Dieter Stock? Der ist ein bissle zwiegespalten. Als toleranter Nichtraucher fühlt er sich zuweilen zwar schon gestört, wenn Rauchschwaden von einem Nebentisch oder einer Parkbank zu ihm rüberwehen. Deswegen kann er ein Rauchverbot im Freien trotzdem ganz und gar nicht gutheißen: weil es ein Angriff auf die Freiheit wäre. »Die aktuellen Einschränkungen, besonders Rauchverbote in Innenräumen, sind für mich ausreichend«, erklärt der 87-jährige Reutlinger, der mit Zufriedenheit quittiert, dass von der EU nichts erzwungen, sondern lediglich empfohlen wurde. (GEA)