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Reutlingen: Heißes Thema Gaspreise - Politiker und Unternehmer diskutierten

Angstpreise im Energiemarkt: Tübinger OB Palmer fordert bei einer Talkrunde auf der Reutlinger Achalm eine Gaspreisentkopplung und hat eine Lösung parat.

Boris Palmer und Rainer Knauer (links) beim Reutlinger Achalm-Talk. FOTO: RAHMIG
Boris Palmer und Rainer Knauer (links) beim Reutlinger Achalm-Talk. Foto: Jürgen Rahmig
Boris Palmer und Rainer Knauer (links) beim Reutlinger Achalm-Talk.
Foto: Jürgen Rahmig

REUTLINGEN. Die Übergewinnsteuer der Bundesregierung »halte ich für eine Fata Morgana«, sagt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Sie sei rechtlich wohl nicht umsetzbar. Aber er hat eine Lösung parat. Das könne ganz alleine im Strommarkt reguliert werden, sagt er bei der Talkrunde der Familienunternehmer und Jungen Unternehmer auf der Reutlinger Achalm. »Es gibt bisher Fixpreise für Teile des Energiemarktes. Wenn ich übers EEG Sonnenenergie einspeise, bekomme ich immer denselben Preis. So wie ich Vergütungen gesetzlich festschreiben kann, kann ich auch Preise festschreiben. Wir müssen die Nichtgaserzeugung preislich abkoppeln von der Gaserzeugung, dann sinkt der Strom-Durchschnittspreis dramatisch ab. Dann können die Unternehmen überleben.«

Das große Dogma ist die Gaspreiskopplung, von der man sich endlich lösen müsse. »Wenn sie jetzt Strom kaufen wollen in ein oder zwei Jahren, kostet er sie bis zu 70 Cent die Kilowattstunde ab Kraftwerk. Die konnten sie vor einem Jahr noch für 7 Cent kaufen. Der Markt weiß aber doch gar nicht, wie die Situation in zwei Jahren aussieht. Der Markt kann keine Kriegsverläufe prognostizieren. Das heißt, der Markt ist in Panik, er bildet Angstpreise, und deswegen versagt er. Die Preise, die jetzt verlangt werden, haben gar nichts mit den Erzeugungskosten zu tun«, so Palmer, der am 23. Oktober als Tübinger OB wiedergewählt werden möchte.

»Wir werden jede einzelne Kraft weiterbeschäftigen«

Fast die Hälfte des Stroms, der in Deutschland erzeugt wird, stammt aus erneuerbarer Energie. Die Stromgestehungskosten für ein Windkraftwerk seien genau gleich geblieben wie vor einem Jahr. »Der Wind ist nicht teurer geworden und die Sonne auch nicht. Trotzdem explodiert der Marktpreis, weil nur das teuerste Kraftwerk bestimmt, was alle bezahlen, nämlich das Gaskraftwerk.« Es sei vollkommen dysfunktional, die Angst ums Gas zu übersetzen in riesige Zufallsgewinne – und das Geld lande in der Tasche von drei Handvoll großen Konzernen, die das nicht bräuchten. »Der Staat muss hier eingreifen«, fordert Palmer.

Und es könne doch nicht sein, »dass wir aufgrund falscher ökonomischer Weichenstellungen massenhaft Gas in die Produktion schicken, das da eigentlich nicht gebraucht wird, weil es auch anders geht, nämlich mit Öl, und den Industriebetrieben dieses Gas vor der Nase wegverfeuert.« Der Grünen-Politiker, dessen Mitgliedschaft in der Partei derzeit ruht, schlägt vor, denen, die Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung betreiben und die auf Öl umsteigen können, die Differenzkosten zu erstatten.

Wie er es mit der Laufzeitverlängerung der letzten noch verbliebenen Atomkraftwerke halte, fragt Rainer Knauer vom Vorstand des Verbandes der Familienunternehmer, der die Veranstaltung moderiert. Grundsätzlich: Palmer steht hinter dem Ausstieg aus der Kernkrafttechnologie. »Aber ich halte es für falsch, es genau dann zu tun, wenn man eigentlich nicht weiß, ob man genügend Strom hat, um über den Winter zu kommen.« Eine Verschiebung um vier Monate hält er daher für völlig unkritisch.

Palmer will, dass das Programm der Bundesregierung zur Sprachförderung von Kitakindern nicht eingestellt wird. Die CDU ist für die Fortführung. »Das Programm ist eines der besten, dass es in dem Bereich gab. Es gehört für mich zu den großen Rätseln, warum die Vernunft so häufig nur bei der Opposition zu finden ist«, sagt Palmer. »Denn seit die CDU in der Opposition ist, fordert sie die Weitführung des Programms. Als sie an der Regierung war, hatte sie aber beschlossen, dass es auslaufen wird. Jetzt macht die Nachfolgeregierung das, was die Vorgängerregierung angekündigt hat. Wir in Tübingen werden aber jede einzelne Kraft weiterbeschäftigen, alle haben ein dauerhaftes Übernahmeangebot von der Stadt erhalten, und wir werden das eben selbst finanzieren. Wir können uns das leisten.«

Wegen des Ukraine-Krieges wollen Kommunen freiwillige Leistungen auf den Prüfstand stellen. Was wird in Tübingen gestrichen? »Wir müssen nichts streichen. « Tatsache ist laut Palmer, dass Tübingen aktuell in der Gewerbesteuerkasse für den 31. August 60 Millionen Euro Vorauszahlungen verzeichnet. »Das ist der Allzeit-Höchststand in der Geschichte der Stadt.«

»Es ist der Unterschied, ob man große Reden hält oder auch etwas macht«

Der Ampel-Regierung allerdings schreibt er ins Stammbuch: »Wer umverteilen will, muss es vorher erwirtschaften.« Es wundere ihn, dass eine Bundesregierung unter Beteiligung der FDP – Ex-Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann saß unter den Zuhörern – »ein 65-Milliarden-Euro-Paket auflegt, bei dem für die Wirtschaft einfach nichts dabei ist. Denn auch das Geld, dass da an Studierende und Rentner verteilt wird, muss von irgendwem erwirtschaftet werden. Wenn ich gleichzeitig weiß, dass viele Betriebe – Habeck hat es unglücklich ausgedrückt – die Geschäftstätigkeit einstellen müssen in naher Zukunft, kann ich doch kein Paket machen, bei dem energieintensive Betriebe keine Unterstützung oder wenigstens Entlastung von der Gasumlage erhalten.« Palmer wundert sich, wir brav sich die Wirtschaft da verhält.

Der Tübinger OB hat sich in zwei Schreiben an Außenministerin Annalena Baerbock gewandt. Es geht um den Fall des Pakistani Faisal Janjua, der sich in Deutschland gut integriert hat und einen festen Arbeitsplatz hat. Sein Chef will ihn unbedingt behalten, doch Faisal möchte Deutschland verlassen, um seine Frau wiederzusehen. Während er bereits Aufenthaltsrecht habe, gelte das für seine Frau noch nicht. Palmer habe sich erhofft, dass eine Außenministerin mit grünem Parteibuch dafür sorge, dass voll integrierte und im Beruf tätige Menschen mit Fluchtgeschichte mit ihren Angehörigen zusammenleben dürfen. Bisher sei in der Sache aber nichts passiert.

In der Antwort auf den ersten Brief habe man wortreich erklärt, dass sie nichts machen könnten. Auf den zweiten Brief habe er keine Antwort erhalten, "und jetzt schreibe ich ein drittes Mal. Es sei eben der Unterschied, "ob man große Reden hält oder auch etwas macht". Palmer will jetzt Taten sehen. (GEA)