STUTTGART/REUTLINGEN. Lichtkegel huschen durch das dunkle Treppenhaus, Stufe um Stufe rückt das Spezialeinsatzkommando an die Wohnung des mutmaßlichen Reutlinger »Reichsbürgers« heran. Die Polizisten bohren das Schloss der Haustüre auf, rufen immer wieder laut den Namen des Mannes und fordern ihn auf, sich zu ergeben. »Zieht Euch zurück oder ich schieße!«, schreit dieser bei der Razzia in den frühen Morgenstunden zurück. Bis auf dem Video im Gerichtssaal die ersten Schüsse aus einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr zu hören sind, bis Holz zersplittert, bis ein getroffener Beamter aufschreit und sich die Polizisten zurückziehen.
Es sind minutenlange Szenen voller Dramatik, aufgenommen unter anderem von den Helmkameras der Polizisten und einem Roboter in den frühen Morgenstunden jedes März-Tages. Im Prozess gegen die mutmaßliche Terroristengruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat die Beweisaufnahme gegen einen mutmaßlichen »Reichsbürger« aus Reutlingen begonnen. Der Mann, der im Hochsicherheitssaal des Stuttgarter Oberlandesgerichts von seinem Platz hinter der Schutzwand auf die Bildschirme schaut, hatte bereits zu Prozessbeginn angekündigt, zu den Vorwürfen zu schweigen. Der 47-Jährige steht wegen versuchten Mordes vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart.
Deutlicher Beleg für die Gefährlichkeit
Aus Sicht der Bundesanwaltschaft sind die Szenen ein deutlicher Beleg für die Gefährlichkeit der mutmaßlichen Verschwörergruppe. Der Anwalt des angeklagten Mannes hingegen kritisierte die Aktion als »ein aggressives Vorgehen gegen eine unverdächtige Person« und »von vorne bis hinten rechtswidrig«. Die Aggression der Polizei habe das Verhalten seines Mandanten beeinflusst.
Der Prozess in Stuttgart, in dem auch den Reutlinger Fall verhandelt wird, ist das erste von drei Mammutverfahren gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Die insgesamt 26 Angeklagten sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant haben. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte Reuß fungieren sollen. Auch Ex-Soldaten gehören zu den Beschuldigten.
Waffenarsenal im Besitz
Der angeklagte Sportschütze aus Reutlingen schloss sich der Vereinigung nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft spätestens im Juli 2022. Er gliederte sich in die Strukturen der sogenannten »Heimatschutzkompanie Nr. 221« ein, die für die Gebiete Freudenstadt und Tübingen zuständig sein sollte. Die Kompanien hätten laut Anklage nach einer potenziellen Machtübernahme der Gruppe politische »Säuberungsaktionen« in ihrem Zuständigkeitsbereich durchführen sollen. Ausgerüstet wäre der 47-Jährige zumindest gewesen: Er soll ein Waffenarsenal besessen haben - teils mit legalen Schusswaffen, es waren aber laut Anwaltschaft auch viele verbotene Waffen dabei.
In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. Den Angeklagten wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und die sogenannte »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens«. Der Prozess gegen die mutmaßliche Führungsriege beginnt am kommenden Dienstag in Frankfurt.