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Aktuell Versorgung

Podium der »Energie für Neckar-Alb«: Energiewende in der Region ist »machbar«

»Eine wirtschaftliche, zukunftsfähige Strom- und Energieversorgung für die Region ist möglich und längst in Arbeit«: Ein Podium der »Energie für Neckar-Alb« in Reutlingen verbreitet Hoffnung.

Sonnenenergie (hier im Solarpark Buttenhausen) wird eine zentrale Rolle spielen. Foto: GEA
Sonnenenergie (hier im Solarpark Buttenhausen) wird eine zentrale Rolle spielen.
Foto: GEA

REUTLINGEN/TÜBINGEN. Die Lichter gehen nicht aus in der Region Neckar-Alb. Im Gegenteil. Die Region wäre in der Lage, bis 2040 sechsmal so viel Strom aus Erneuerbaren Energien zu produzieren wie sie benötigt. Die Energiewende wird für Preisspitzen sorgen, aber längerfristig für günstigeren Strom: Das sind Kernbotschaften eines Podiums, zu dem die neu gegründete Initiative »Energie für Neckar-Alb« geladen hat.

»Ein Abend, der Mut macht und Lust auf die Zukunft«, war versprochen – und die Zuhörer im proppenvollen Saal der Reutlinger Volkshochschule mussten davon nicht überzeugt werden. Die Moderatorinnen Tanja Leinweber und Angela Patka, beide Gründungsmitglieder der neuen Initiative, moderierten ein gut besetztes Podium, das Strom- und Energieversorgung für Haushalte, Handwerk und Industrie näher beleuchtete und die Ausgangsthese untermauern sollte: »Eine wirtschaftliche und zukunftsfähige Strom- und Energieversorgung für die Region ist nicht nur möglich – sie ist bereits längst in Arbeit und funktioniert«.

Die »Stromstudie« des Fraunhoferinstituts Freiburg liefert Grundlagen für den an diesem Abend verbreiteten Optimismus. In der Studie ist die Versorgungssituation in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 untersuchen worden.

»Zum Thema Dunkelflaute werden Mythen weitergetragen«

Als Expertin in Sachen Energiebedarfe und -erzeugung war Maike Schmidt geladen, Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart. Die Wirtschaftsingenieurin legte dar, dass Erneuerbare Energien laut Studie bis 2040 den (stetig steigenden) Strombedarf in der Region decken könnten: Benötigt würden bis dahin 6,5 bis 9,5 Terrawattstunden pro Jahr (TWh/a) für die Versorgung von Industrie, Haushalten und Verkehr. Für die Wasserstoffproduktion würden zusätzlich bis zu 2 TWh/a benötigt (für Industrie und Verkehr), wenn bis dahin keine Pipeline in die Region verlegt ist: 2032 soll laut Planung das Wasserstoffkernnetz in Baden-Württemberg ankommen. Sechsmal soviel Energie werde aber bis dahin durch Wind, Sonne, Wasser, Biogas und Energieholz vor Ort produziert werden.

Um diese Werte zu erreichen, sei allerdings der Ausbau von Photovoltaik (PV) und Windkraftanlagen »auf konstant hohem Niveau erforderlich«. Akzeptanz sei dabei ein zentrales Thema und, angesichts der weltpolitischen Entwicklung, »den Klimaschutz oben halten auf der politischen Agenda«.

Sorgten für über zwei Stunden volles Programm: Angela Patka (von links), Matthias Bauer, Dirk Seidemann, Fritz Mielert, Stefan Engelhard, Tanja Leinweber, Simon Hummler und Maike Schmidt. Foto: Andrea Glitz
Sorgten für über zwei Stunden volles Programm: Angela Patka (von links), Matthias Bauer, Dirk Seidemann, Fritz Mielert, Stefan Engelhard, Tanja Leinweber, Simon Hummler und Maike Schmidt.
Foto: Andrea Glitz

Die vom Land ausgegebene Vorgabe (2 Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen und Freiflächen-Photovoltaik) dürfte für den Bedarf reichen, so Schmidts Einschätzung. Diese politische Vorgabe käme aber »bei Weitem« nicht ran an das nach Auffassung der Initiative gut verfügbare »technische Potenzial«, das sie zum Ausgang ihrer Betrachtungen macht. So setzt man beispielsweise für das Zukunftsszenario den im Energieatlas Baden-Württemberg genannten Wert 16 Prozent als »geeignete Windpotenzialfläche« in der Region an.

Der aktuelle Ausbaustand hat derweil Luft nach oben. Ende 2023 betrug die Gesamtausbeute der Region 700 Megawatt (MW). Das Gros der Erneuerbaren Energie lieferten PV-Anlagen auf Dächern (83 Prozent). PV-Freiflächenanlagen trugen 5 Prozent, die Kraft aus neun Windrädern gerade mal 2 Prozent der Gesamtleistung bei. Im Landesvergleich liege die Region so Maike Schmidt damit unterm Schnitt, bei der PV im Mittel. Als Hauptstromlieferant (49 Prozent) dient laut Studie übrigens 2040 in Baden-Württemberg Sonnenkraft (vor allem aus Freiflächenanlagen), vor der Windkraft mit 32 Prozent.

Verbandsdirektor Dr. Dirk Seidemann vom Regionalverband Neckar-Alb berichtete über den Fortgang der Regionalplanung – und die 438.000 Stellungnahmen gegen Windkraft. Derzeit sind noch 3,6 Prozent der Regionsfläche für Windkraft und 0,5 Prozent für PV im Verfahren. »Das Flächenziel 1,8 Prozent und 0,2 Prozent erreichen wir.«

Der schleppende Windkraftausbau bekümmert auch ihn: »Aber 16 Anlagen sind in Bau und Planung. Dann sieht das anders aus.« Stromspeicherung, Wärmeerzeugung, Wärmenetze, Förderung der E-Mobilität: »Es geht voran, wir sind dran auch am Netzausbau, zusammen mit den Kommunen.« Landwirtschaftliche Flächen bleiben für die Landwirtschaft erhalten, versicherte der Verbandschef, der von der großen Politik wie alle anderen auf dem Podium eines forderte: »Planungssicherheit«.

Fritz Mielert, Referent für Umwelt und Energie beim BUND-Landesverband Baden-Württemberg, betonte die Wichtigkeit der Kommunalen Ebene: »Hier werden die Weichen gestellt.«

Wichtig sei insbesondere auch Transparenz. Es gelte, der Bevölkerung klar zu machen, wo die Reise hin geht, was die gesetzlichen Grundlagen dafür sind, was die Wende kostet und wie die Kosten im Rahmen gehalten werden können. Erneuerbare Energien seien »supergünstig«, aber der Ausbau teuer.

Neues Bündnis »Energie für Neckar-Alb«

Eine ganze Reihe von Organisationen und Unternehmen wie die Parents for Future

Reutlingen/Tübingen, der Dusslinger Verein »Bürger aktiv für Umwelt und Mensch« (baum), der BUND Neckar-Alb und die Stadtwerke Tübingen sowie Einzelpersonen aus den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb haben das Bündnis »Energie für Neckar- Alb« gegründet.

Zum Einstand hat die Initiative in allen drei Landkreisen eine Infoveranstaltung organisiert, zuletzt in der Reutlinger VHS (siehe Artikel oben). Ziel des Bündnisses ist »eine wirtschaftliche, möglichst regional erzeugte, nachhaltige und umweltverträgliche Strom- und Energieversorgung für die Region Neckar-Alb« . Man will sich dabei auch für Beteiligungsmodelle einsetzen, bei denen Bürger auch mit Klein-Investitionen in lokale Energieerzeugung investieren und finanziell profitieren können. (GEA)

www.energie-neckar-alb.de  

Das Thema emotionalisiere. Seit 2021 sehe er »sehr aufgebrachte Menschen, die Argumenten nicht mehr zugänglich sind«. Ankündigungen wie die des Mannheimer Stadtversorgers, das Gasnetz 2035 stillzulegen, sorgten für Verunsicherung. Viele könnten gar nicht so schnell umstellen auf Erneuerbare Energien. »Was ist dort zu tun, wo keine Fernwärme hinkommt, auch eine Wärmepumpe nicht geht? Da sind auch viele Utopien drin.«

Auch Matthias Bauer, Abteilungsleiter Bauen Wohnen Energie bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sieht »dunkle Wolken.Der Umbau wird schwierig«. Es liege aber »kein Heil im Zurück«. Die Berater haben das Ohr am Puls, hören die Sorgen und Nöte der Bürger wohl am ehesten. Seit der Energiekrise hätten sich die Beratungszahlen verdoppelt. Eine zentrale Forderung des Verbraucherschützers lautet daher: »Die neue Energie muss für den Verbraucher bezahlbar werden.« Es schlug unter anderem vor, Einnahmen aus der CO2-Bepreisung als Klimageld an die Bürger auszahlen oder die Stromsteuer auf EU-Niveau reduzieren.

»Klimaschutz oben halten auf der politischen Agenda«

»Es gehen keine Lichter aus«, versicherte Simon Hummler von der Klimaschutz-Agentur des Landkreises Reutlingen – oder nicht länger als bisher (im Schnitt 12,8 Minuten im Jahr). Die Stromausfälle werden laut Hummler sogar weniger. Im Hinblick auf das Thema Dunkelflaute würden von den Medien »Mythen« weitergetragen. Deutschland ist ja keine autarke Einheit, sondern Teil des europäischen Netzes.

Die Sicht der Unternehmen brachte Dr. Stefan Engelhard, Bereichsleiter Innovation und Umwelt bei der Reutlinger Industrie- und Handelskammer ins Spiel. Energiewende ja: Aber der »Dreiklang von Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Kosten« müsse aufrechterhalten bleiben. Die IHK Baden-Württemberg hat die »Stromstudie« in Auftrag gegeben. Für die IHK bleiben aber viele Fragzeichen. Die Wende biete »gute Chancen« für die Firmen in der Region, die »durch Innovationen glänzen« könnten. Zugleich befürchte man schleichende Abwanderung von klassischen Unternehmen, die auf niedrige Energiekosten und Versorgungssicherheit angewiesen seien. Den Ausbau der Verteilnetze sieht Engelhard als größte Herausforderung, insbesondere auch, was die Kosten betrifft.

»Klimaschutz ist Daseinsvorsorge« laut Oberbürgermeister Thomas Keck. Dass die Kommunen das Donnern gehört haben, daran ließ er keine Zweifel. Alle vier Wochen organisiere das Rathaus eine Zusammenkunft mit wichtigen Akteuren von der Stadtentwässerung bis hin zur Wohnungsgesellschaft GWG. Das Gelingen der Energiewende sieht Keck als wichtigen »Standortfaktor« für die Region. Er fürchtet aber auch die »gewaltigen Investitionen«.

Die Fair-Netz war eingeladen aber nicht zugegen, auch um zum Thema Kosten für den Umbau der Energie- und Wärmeversorgung etwas beizutragen. Auf GEA-Nachfrage hieß es gestern schriftlich: Die Frage könne zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der »Komplexität der Thematik« nicht exakt beantwortet werden. Als Anhaltspunkt nannte man die im Netzausbauplan genannte Summe von rund einer Milliarde Euro bis 2045.

Nicht nur in der Reutlinger Hauffstraße blickt man derweil offensichtlich mit Spannung auf eine neue Regierung. Und Kurswechsel in der Umweltpolitik? Nicht zuletzt, so heißt es beim Unternehmen, würden die zu erwartenden Kosten in einem ganz erheblichen Maße von politischen Entscheidungen wie etwa den Förderbedingungen abhängen. (GEA)