REUTLINGEN. Professionelle Straftäter sind die beiden Angeklagten mit Sicherheit nicht: Brav und seriös gekleidet sitzen sie vor dem Reutlinger Amtsgericht. Ihr Leben haben die beiden heute, zwei Jahre nach der Tat, wieder fest im Griff: Der eine macht eine Ausbildung, der andere hat sie bereits abgeschlossen und wurde unbefristet übernommen. Die Prognosen, die ihnen die Jugendgerichtshilfe bescheinigt, sind ebenfalls positiv. Das, was passiert ist, geht auf wildere Phasen im Leben der beiden jungen Männer zurück. Knapp volljährig waren sie zum Tatzeitpunkt, der eine war in Geldnöten, der andere verdrängte Schicksalsschläge mit dem Konsum von Drogen und Alkohol. Sie waren auf Stress aus und wollten dem Geschädigten eine Abreibung verpassen, weil dieser die Freundin des einen schlecht behandelt hatte, als sie noch ein Paar waren.
Hinterlistig in eine Falle gelockt
Es ist eine Erklärung, wie es zu der Tat kam, aber dennoch bewahrt weder sie noch die vorbildliche Entwicklung der beiden Angeklagten sie vor einer Jugendstrafe. Zu schwer waren die Verletzungen des Opfers, das »hinterlistig« in eine Falle gelockt und mit »massiver Gewalteinwirkung« krankenhausreif geprügelt wurde, sagte Richterin Insa Föhn in ihrer Urteilsbegründung. Eine Tötungsabsicht unterstellte keiner der Verfahrensbeteiligten dem Duo, aber beinahe wäre der Überfall tödlich geendet. Der Geschädigte erlitt innere Blutungen, eine Leberruptur und einen Milzriss - er lag 1,5 Wochen auf der Intensivstation, monatelang war er ans Bett gefesselt. Bis heute leide er unter den Folgen des Angriffs, betonte Nebenkläger Oliver Hirt.
Noch im Gerichtssaal wird eine Schmerzensgeldzahlung von 60.000 Euro vereinbart, die erste Rate übergeben. Die Angeklagten haben sich bei dem Opfer entschuldigt. Das Geständnis und die Entschuldigung werden durchaus positiv bewertet vom Gericht, auch wenn Richterin und Staatsanwalt kritisch anmerken, dass sie erst jetzt erfolgten.
Die anderen Anklagepunkte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ergaben sich durch Zufall, wie in der mehrtägigen Verhandlung klar wurde. Mit einem gefakten Instagram-Account hatten die beiden jungen Männer ihr Opfer nachts hinter einen Supermarkt gelockt. Sie gaukelten ihm vor, dass eine junge Frau sich mit ihm treffen wolle. Statt des Rendezvous erwartete den Geschädigten eine heftige Tracht Prügel. Die Polizei suchte nach den wahren Betreibern des Accounts und stieß schnell auf einen der Angeklagten, der seine eigene Telefonnummer hinterlegt hatte. Auch dies ein Beleg, dass die beiden keine professionellen Kriminellen sind.
Telefonüberwachung bringt Drogenhandel ans Licht
Die Telekommunikation wurde daraufhin überwacht, wobei den ermittelnden Polizeibeamten schnell auffiel, dass die beiden nicht nur die Gesuchten im Falle der gefährlichen Körperverletzung waren, sondern auch Kokain verkauften. 90 Minuten verlas Richterin Föhn Passagen aus Aufzeichnungen, die dies belegten. Der 22-Jährige gab einige der Fälle zu, der 21-Jährige hingegen machte fast keine Angaben.
Staatsanwalt Simon Dorner fürchtete, dass es sich bei den nachgewiesenen Taten nur um die Spitze des Eisbergs handle. »Das meiste lief über Snapchat«, erklärte er - und das wurde nicht von der Polizei kontrolliert. Zwar sah auch er, dass die Angeklagten in der Zwischenzeit mitten im Leben stünden, aber sie hätten noch viel zu lernen. Weshalb er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für den 22- Jährigen und für den 21-Jährigen von zwei Jahren und sechs Monaten forderte. Auch der Nebenkläger schlug eine Strafe vor, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, immerhin seien sie »ganz knapp an einem Tötungsdelikt vorbeigeschrammt«.
Sie haben ihr Leben komplett umgekrempelt
Die Verteidiger wiesen in ihren Plädoyers auf die aktuelle Lage der Angeklagten hin, die gänzlich anders ist als damals. »Es sind junge Leute gewesen, die Lust auf Stress hatten«, so Manuel Rogge, eine ernsthafte Tötungsabsicht habe nie bestanden. Auch Sebastian Gauss betonte, dass die Angeklagten ihr Leben umgekrempelt und neu angefangen haben. Was die Drogen betraf, lägen die nachgewiesenen Fälle zusammen nur knapp über der Grenze zur nicht unerheblichen Menge - dass es mehr Handel gab, sei nicht nachweisbar, sondern eine gewagte These der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger forderten eine Bewährungsstrafe. Vom Jugendstrafrecht gingen alle Verfahrensbeteiligten aus, denn immerhin waren die Angeklagten zum Tatzeitpunkt erst 18 und 19 Jahre jung und der 19-Jährige hatte eine schwierige Phase.
Das Schöffengericht erkannte in der Tat jedoch die besondere Schwere der Schuld und verurteilte beide zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft. (GEA)
Im Gerichtssaal
Richterin Insa Föhn; Schöffen: Gabriele Ulmer, Friedrich Bliklen; Staatsanwalt: Simon Dorner; Verteidiger: Christian Niederhöfer, Sebastian Gauss, Manuel Rogge; Vertreter der Nebenklage: Oliver Hirt. (awe)