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Aktuell Prozess

Mit 90 km/h durch die Reutlinger City: Raser vor Gericht

Eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei hat sich ein 20-Jähriger im Februar in der Reutlinger Innenstadt geliefert. Kurios war vor allem seine Erklärung, warum er so schnell davon fuhr.

Justitia
Eine Figur der blinden Justitia. Foto: Christoph Soeder/DPA
Eine Figur der blinden Justitia.
Foto: Christoph Soeder/DPA

REUTLINGEN. 16. Februar, kurz nach 3 Uhr: Ein BMW mit fünf Insassen rast durch die Reutlinger Innenstadt, verfolgt von einer Polizeistreife. Mit 90 oder bis zu 100 Stundenkilometer geht es von der Metzgerstraße die komplette Aulberstraße entlang, über mehrere Kreuzungen mit Stopp- oder Vorfahrt-gewähren-Schildern, durch schmale Straßenzüge, in denen links und rechts Autos parken. Die Jagd endet in der Nähe der Walther-Rathenau-Straße. Der Fahrer und drei seiner Passagiere versuchen, zu Fuß weiter zu fliehen. Der 20-jährige Wagenlenker gibt schnell auf, zwei Mitfahrern gelingt die Flucht. Am Dienstag saß der junge Mann vor dem Reutlinger Amtsgericht.

Er wollte den Polizeieinsatz nicht behindern

Angeklagt ist er wegen verbotenem Fahrzeugrennen - ein Straftatbestand, der mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden kann. Die Flucht vor der Polizeistreife mit großer Geschwindigkeit räumte der Angeklagte ein und ließ über seine Anwältin Sandra Ebert eine Erklärung verlesen. Er habe an diesem Morgen zwei Besoffene nach Hause fahren wollen. Die Polizeistreife sei ihm bereits in der Metzgerstraße aufgefallen, als sie ihm entgegenkam. Kurz darauf habe er bemerkt, dass sich das Auto hinter ihm befand: mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn. Er dachte, sie seien auf Einsatz und es gab in der Aulberstraße keine Möglichkeit, rechts ranzufahren, um sie vorbeizulassen. »Ich wollte den Polizeieinsatz nicht behindern«, ließ der Angeklagte mitteilen - also gab er Gas.

Im Gerichtssaal

Richterin: Insa Föhn, Staatsanwältin: Edith Zug, Rechtsanwältin: Sandra Ebert, Schöffen: Michael Hornung, Christine Speidel.

Irgendwann kam ihm dann doch der Gedanke, dass die Polizei hinter ihm her sein könnte. Er geriet in Panik, erhöhte das Tempo weiter, stellte das Auto in einer Seitenstraße ab und entfernte sich. »Das war sehr dumm von mir, ich werde mich nie wieder so verhalten«, versicherte er vor Gericht. Zudem betonte er, dass er an den Kreuzung abgebremst habe.

Weder Alkohol noch Drogen

Etwas rasanter hörte sich die Hatz durch die Reutlinger Innenstadt in der Aussage des verfolgenden Polizisten an. Er habe mit einem Kollegen in dieser Nacht »anlassunabhängige Fahrzeugkontrollen« gemacht, berichtete er. Als sie wendeten, um den vollbesetzten BWM anzuhalten, habe das Fahrzeug so schnell beschleunigt, »dass klar war, der will abhauen«. Weder auf Blaulicht, Sirene oder die »Stop Polizei«-Leuchte habe der Fahrer reagiert, auch über Kreuzungen sei er ohne zu bremsen gefahren. Der Polizist habe auf dem Tacho gesehen, dass er 90 Stundenkilometer erreicht habe und verlangsamte die Fahrt, »das war einfach zu gefährlich«. Zum Glück, da waren sich alle Verfahrensbeteiligten einig, ist an diesem Morgen niemand zu Schaden gekommen. Warum es überhaupt zur Flucht kam, wurde auch in der Verhandlung nicht klar: Der Fahrer hatte weder Alkohol noch Drogen konsumiert.

Mehrere Vorstrafen

Allerdings hat er einige Vorstrafen auf dem Kerbholz, von der Beleidigung bis zur Körperverletzung: Staatsanwältin Edith Zug forderte deshalb ein Jahr und drei Monate Haft ohne Bewährung und den Entzug der Fahrerlaubnis. Eine günstige Prognose sah sie angesichts der Vorstrafen kaum, zudem glaube sie ihm die Geschichte nicht, warum er so schnell gefahren sei. Auch die Mitarbeiterin des Kreisjugendamts räumte ein, dass die Argumentation für eine gute Prognose eher »dünn« sei. Sie kenne den Angeklagten aber schon länger und er sei zuverlässig, höflich und freundlich. Jugendstrafrecht sei anzuwenden, da er als 12-Jähriger aus Afghanistan nach Deutschland fliehen musste und die Familie bis heute unter dem Tod des Vaters leide. Er hat in Deutschland den Hauptschulabschluss gemacht und hatte auch eine feste Arbeit, die er allerdings nach der Verfolgungsjagd verloren hat, weil er keinen Führerschein mehr hatte. Verteidigerin Ebert forderte ein Bußgeld, es sei kein verbotenes Autorennen gewesen, »er ist zu schnell gefahren«.

Das Gericht berücksichtigte die schwierige Entwicklungsgeschichte und wendete Jugendstrafrecht an. Ein Jahr auf Bewährung und Entzug der Fahrerlaubnis sowie mehrere Auflagen, lautete das Urteil. Doch auch Richterin Insa Föhn hob nochmals hervor, dass die Einlassung des Angeklagten »total lebensfremd« gewesen sei: »Das wird vom Gericht nicht geglaubt«. (GEA)