REUTLINGEN. Mit dem Rücken zum Holzbrett blickt Anja Konetzki der Gefahr ins Auge. Dann wirft Dominik Weisheit mit spitzen Gegenständen auf sie. Nur knapp verfehlen seine glänzenden Klingen ihren Körper. Anschließend wird ihr nichts passiert sein, niemand die Polizei rufen, sondern alle begeistert Beifall klatschen. Denn solche klassische Artistenkunst zeichnet die Vorführungen des Circus Manuel Weisheit aus, der noch bis zum 22. Juni auf dem Festplatz Bösmannsäcker gastiert. Was allerdings niemand im Publikum auch nur ahnen kann: Anja und Dominik sind seit Jahren ein Liebespaar. Eine messerscharfe Beziehung, wie sie ganz typisch für den Familienzirkus ist.
Senior-Zirkusdirektor Manuel und seine Frau haben elf Kinder. Mittlerweile besteht die Gemeinschaft aus vielen Paaren sowie sage und schreibe 25 Enkelkindern. Sein Winterquartier hat der Zirkus in Neustadt an der Weinstraße. Fast alle, die auf den Sägespänen, die für sie die Welt bedeuten, in der Manege stehen, gehören zur Familie. Das ist ebenso einzigartig wie das Reutlinger Gastspiel eine Premiere mit bemerkenswerter Geschichte darstellt: Gut Ding will Weile haben.
Vorstellungen
Der Circus Manuel Weisheit bietet noch bis zum 22. Juni auf dem Reutlinger Festplatz Bösmannsäcker Vorstellungen am Donnerstag und Freitag um 17 Uhr sowie am Samstag um 15 und 19 Uhr. Sonntags startet die zweistündige Show um 14 Uhr. Freitags ist Familientag, an dem Erwachsene Kinderpreise zahlen. Sparen lässt sich am Samstag um 19 Uhr, denn da kosten alle Plätze (bis auf die Loge) 10 Euro Eintritt. Tickets können unter der Rufnummer 0157 57324485 reserviert werden. Das Zirkuszelt ist wetterfest. Parkplätze gibt's auf dem Festplatz reichlich. (zen)
Die Weisheits wollten schon immer mal unter der Achalm auftreten, fragten vor acht Jahren bei der Stadtverwaltung und bekamen die Auskunft »2025 wäre der nächste Termin«. Das erzählt Anja Konetzki, die neben ihrer Rolle bei der Messerwurf-Nummer auch noch als Lichttechnikerin und Pressekontakt arbeitet. Für dieses Leben hat sie eine gesichert erscheinende bürgerliche Existenz hinter sich gelassen. Die junge Frau brach ein Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Ethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg wegen der Liebe zu ihrem Dominik vor acht Jahren ab. Dabei hat sie durchaus gezweifelt.
»Am Anfang konnte ich mir gar nicht vorstellen, im Wohnwagen zu wohnen, und habe mich gefragt, was ich im Zirkus machen soll«, erzählt sie schmunzelnd. Nun, hier ist immer mehr als genug zu tun, außerdem stellt das rollende Heim des Paares eine Einzelanfertigung ihres Mannes Dominik dar. 15 Meter lang ist das Haus auf Rädern mit Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Badezimmer sowie Balkon und Terrasse ausgestattet. Teilweise sind die Räume ausfahrbare Elemente. Echt beeindruckend und offenbar ziemlich wohnlich inklusive einer lustigen Hundeschar davor. Wobei dieser bescheidene Luxus letztlich nur Nebensache ist.
»Mir hat es hier im Gegensatz zum Studium Spaß gemacht«, sagt Konetzki, es sei »sehr schön in so einer großen Familie zu leben«. Das enge Zusammensein habe nur einen Nachteil: »Man hat nie seine Ruhe.« Stattdessen jeden Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag Auftritte in der Manege. Mittendrin natürlich Dominik Weisheit, der große Begeisterung für das Artistenleben ausstrahlt: »Wenn man im Zirkus geboren ist, kann man sich nichts anderes vorstellen. Wir machen das aus Leidenschaft, um Menschen glücklich zu machen.« Gelegenheit dazu gibt es während der zweistündigen Vorstellungen reichlich.
Im Rahmen ihrer Tournee präsentiert die Artistentruppe ein komplett neues Programm, das den Bogen von traditioneller Manegenkunst bis ins Jahr 2025 spannen soll. Die Show beinhaltet sowohl Elemente des klassischen Circus als auch moderne Darbietungen, untermalt von Rock- und Popmusik. Die Gebrüder Weisheit, inzwischen die achte Generation der Artistenfamilie, zeigen kraftvolle Kunststücke, glänzen an den römischen Ringen und beeindrucken mit Ihrer mehrfach preisgekrönten Handstandartistik. Alles echt vor den Augen der Zuschauer.
Jaqueline Quaiser aus Wien fasziniert mit einer rasant choreografierten Hula-Hoop Darbietung. Josephine Weisheit präsentiert sich mit Anmut und Eleganz als Schlangenmädchen. Spektakuläre Luftdarbietungen hoch unter der Zeltkuppel in fast acht Metern Höhe zeigt Mary-Ann mit ihrer ungesicherten Kür am Ringtrapez. Selbstverständlich gibt es mit Clown »Dave« auch den Klassiker für Kinder. Tiertrainer Dominik Weisheit präsentiert edle Pferde, vorwitzige Ponys und seine Kamelkarawane. Außerdem überrascht er das Publikum mit besonders kleinen Vierbeinern: seinen Ziegen Oskar, Lizzy und Frieda. Das ist alles jener Zirkus mit Tradition, wie ihn schon die Großeltern kannten - und deswegen gerne mit ihren Enkeln vorbeikommen. Dahinter steckt viel Aufwand.
Lustig ist das Zirkusleben nur für jene, die harte Arbeit lieben. »Die Tage sind lang«, sagen Anja und Dominik. Es wird früh aufgestanden. Der erste Weg geht in die Stallungen. Ab 11 Uhr beginnt Dominik mit seinem Training, »zwei Stunden lang - jeden Tag«. Steht eine Aufführung an, sind ab 16 Uhr alle im Zelt, fertigt geschminkt und bereit, ab 17 Uhr alles zu geben. Dominik Weisheit spricht für die ganze Familie: »Wir freuen uns auf das Reutlinger Publikum. Alle sollen kommen.« (GEA)