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Aktuell Arbeitsmarkt

Langzeitarbeitslosigkeit in der Region Reutlingen stark gestiegen

Beate Müller-Gemmeke im Fachgespräch mit den Leitern von Arbeitsagentur und Jobcenter

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist bundesweit um 34 Prozent angestiegen – auch im Kreis Reutlingen.  FOTO: NIETHAMMER
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist bundesweit um 34 Prozent angestiegen – auch im Kreis Reutlingen. FOTO: NIETHAMMER
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist bundesweit um 34 Prozent angestiegen – auch im Kreis Reutlingen. FOTO: NIETHAMMER

REUTLINGEN. »Ein Jahr hat gereicht, um bundesweit die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder über die Eine-Million-Grenze zu heben«, sagte Beate Müller-Gemmeke bei einem Online-Fachgespräch zum Thema Arbeitslosigkeit. Die Frage stelle sich nun natürlich, wie der hohe Anstieg von 34 Prozent wieder nach unten korrigiert werden könne. »Wir haben bei Menschen mit gewissen Handicaps im Bereich der Maßnahmen viele Möglichkeiten«, sagte Wilhelm Schreyeck, Leiter der Reutlinger Arbeitsagentur. »Allerdings sind Langzeitarbeitslose keine homogene Gruppe, es gibt Menschen mit und ohne Ausbildung, Alleinerziehende und viele mehr«, schränkte Müller-Gemmeke ein.

Positive Entwicklung

Dem stimmten sowohl Schreyeck wie auch Thomas Franz, Leiter des Reutlinger Jobcenters, zu. Aber: Die Arbeitslosenzahlen hätten in den ersten Monaten 2021 im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum im Vorjahr sogar abgenommen. »Die direkten Corona-Folgen sind wohl überwunden«, schlussfolgerte Schreyeck. Dass es weniger Arbeitslose gebe im Bereich der Arbeitsagentur Reutlingen sei eine durchaus positive Entwicklung, ebenso wie die zunehmende Zahl derjenigen, die eine Beschäftigung aufgenommen haben. Zudem gehe die Zahl der Anfragen nach Kurzarbeit deutlich zurück. Natürlich könne »das große Aber« der stark angestiegenen Zahl der Langzeitarbeitslosen dabei nicht unbeachtet bleiben.

Nicht überraschend

Überraschend ist dieser Anstieg laut Schreyeck jedoch nicht: »Im vergangenen Jahr wurden aufgrund von Corona und Kurzarbeit deutlich weniger Menschen eingestellt.« Das Jobcenter habe durch diese Entwicklung jetzt Kunden, »die viel Berufserfahrung mitbringen und gute Chancen haben, wenn der Arbeitsmarkt wieder anzieht«. Thomas Franz stimmte ihm als Leiter des Jobcenters zu: »Das sind ganz andere Kunden als sonst, wir haben die Erwartung, dass wir sie schnell wieder in Arbeit bringen.«

Bei der Anwendung des »Teilhabe-Chancen-Gesetzes«, das 2019 in Kraft trat und als Maßnahme gegen Langzeitarbeitslosigkeit eingeführt wurde, erhalten Firmen, Verwaltungen, Beschäftigungsträger für die Anstellung eines Langzeitarbeitslosen die ersten zwei Jahre 100 Prozent des Lohns bezahlt, danach geht der Prozentsatz bis zum fünften Jahr der Förderung runter auf 70 Prozent und fällt dann ganz weg. Christoph Kauffmann, Geschäftsführer vom AWO-Gebrauchtwarenhaus DaCapo, lobte zwar diese Maßnahme, er selbst habe auf dieser Basis fünf Personen einstellen können. »Aber wenn die fünf Jahre rum sind, werden wir wohl zwei Personen übernehmen können, die anderen ohne soziale Förderung jedoch nicht.«

Müller-Gemmeke lobte ebenfalls die »relativ positive Wirkung des Paragrafen 16i«, mit relativ wenig Abbrüchen und 67 Prozent, die nach der fünfjährigen Fördermaßnahme nicht mehr im Leistungsbezug auftauchten – also kein Hartz-IV mehr erhalten müssten. Trotzdem würden Frauen ebenso wie Migranten und Menschen ohne Berufsabschluss deutlich weniger von dem Instrument profitieren als andere. Woran das liegt? Auf jeden Fall nicht an einer Benachteiligung von bestimmten Personengruppen, betonte Wilhelm Schreyeck. Im Gegenteil: »Wir richten unsere Aufmerksamkeit besonders auf Frauen mit Kindererziehung, versuchen, sie nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen.«

Rollenbilder ändern

Bei manchen Langzeitarbeitslosen seien Sprachhürden das Problem oder auch fehlende Kinderbetreuung, so Franz. Und bei Frauen mit Migrationshintergrund müssten sich in den Familien die Rollenbilder verändern. »Gerade von Frauen mit vielen Kindern wird erwartet, dass sie sich um den Nachwuchs kümmern.« Andreas Bauer, Sozialdezernent des Landkreises, meinte, dass bei dem starken Anstieg der Langzeitarbeitslosen mitentscheidend sei, dass viele Alleinerziehende in der Gastronomie geringfügig beschäftigt seien – und viele genau dieser Jobs sind in Corona-Zeiten weggebrochen. (nol)