Positiv betrachtet ist der Kundgebungsmarathon, der sich am Samstag in Reutlingen abzeichnet, Ausdruck einer funktionierenden Demokratie. Dass sich die AfD nun aber ausgerechnet im unmittelbaren Vorfeld der wöchentlichen Corona-Demonstration mit inzwischen Tausenden Teilnehmern im Bürgerpark gegen eine Impfpflicht positioniert, liefert unnötigen Zündstoff. Egal, ob das nun mit Blick auf möglichst große Gefolgschaft gezielt eingefädelt wurde, oder, wie der AfD-Kreisvorsitzende Ingo Reetzke versichert, ursprünglich so nicht geplant war.
Denn die Reutlinger Erfahrung lehrt, dass immer dann, wenn AfD-Prominenz zu öffentlichen Auftritten anreist, mit Gegendemonstrationen zu rechnen ist. Und die Erfahrung lehrt auch, dass diese Gegendemonstrationen ein hohes Konfliktpotenzial bergen – weil sich in den Reihen derer, die sich gegen »rechte Hetze und Stimmungsmache« positionieren, regelmäßig Aktivisten finden, die mehr als die verbale Auseinandersetzung mit den Andersdenkenden suchen.
Prompt hat das Reutlinger/Tübinger Bündnis »Gemeinsam und solidarisch gegen Rechts« für Samstag im Vorfeld der AfD-Kundgebung zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen. Auch wenn die räumliche Distanz – Beginn ist um 13.30 Uhr auf dem ehemaligen Paketpostgelände – und ein mutmaßlich erneut großer Polizeieinsatz gewaltsame Übergriffe verhindern sollen, sind sie mitnichten ausgeschlossen.
Da lastet angesichts der vielen Menschen unterschiedlichster politischer Couleur, die am Samstag in der Stadt zusammenkommen werden, eine große Verantwortung auf allen Veranstaltern. Und so verständlich es auf den ersten Blick sein mag, dass Kevin Brügmann vom Orga-Team der wöchentlichen Corona-Rundgänge als Platzhirsch die AfD auffordert, ihre Veranstaltung zu verlegen: Klare Kante gegen jegliche parteipolitische Vereinnahmung hätten die Impfgegner gezeigt, wenn sie an diesem ganz speziellen Samstag auf ihre eigene Demo verzichten würden.
Zumal sich die Möglichkeit böte, am Freitag tausendfach Flagge für Frieden und Freiheit zu zeigen: Um 17.30 Uhr bei einer Solidaritätskundgebung mit der Ukraine auf dem Marktplatz.