REUTLINGEN. Es ist ein Dauerthema, eine Lösung scheint schier unmöglich: das hohe Besuchsgeld für Kindertagesstätten. In der Gemeinderatssitzung im Mai hat Sozialamtsleiter Joachim Haas dem Gremium Vergleiche mit anderen Städten vorgelegt - Reutlingen war in den meisten Fällen der traurige Spitzenreiter. Allerdings, ergänzt Haas, seien die Zahlen nur bedingt vergleichbar, denn jede Kommune handhabt die Gebühren auf eigene Weise. Doch egal, wie man es dreht und wendet: »Die anderen Städte sind fast alle günstiger«, fasst Haas zusammen, »das ist einfach Fakt.«
Der Gemeinderat hat darauf reagiert, indem er ein neues Gebührenmodell verabschiedet hat. Darin wurden weitere Einkommensstufen als Grundlage für das Besuchsgeld eingeführt, außerdem die unteren und mittleren Stufen entlastet. Zudem hat das Gremium beschlossen, dass die Gebührenhöhe nicht erhöht wird. Der große Wurf ist das aber immer noch nicht. Bis zu 614 Euro müssen Eltern für einen Platz berappen. Auch Menschen mit mittleren Einkommen werden im Vergleich zu anderem Kommunen stärker zur Kasse gebeten. Darum regt sich weiter Widerstand. Joachim Haas ist überzeugt: »Das Besuchsgeld wird auf der Agenda bleiben.«
Kostenfrei: Wünschenswert, aber unmöglich
Was stellen sich aber nun die Fraktionen konkret vor, um eine »kinderfreundliche Stadt« zu werden, wie es sich viele im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben haben? Alle, bis auf die AfD, haben auf die Nachfrage des GEA reagiert. Gleich vorweg: Die meisten Fraktionen sind sich einig, dass die Gebühren zu hoch sind. Ob SPD, Linke/Partei, CDU, Grüne, FWV oder Vertreter der FDP: Am liebsten wäre es ihnen, die Kinderbetreuung grundsätzlich kostenfrei zu machen. Sozialdemokrat Helmut Treutlein berichtet, seine Partei habe dies, ebenso wie Die Linke, über Jahre hinweg immer wieder gefordert. Allerdings sind selbst die Parteien links der Mitte zwischenzeitlich von solchen Forderungen abgerückt.
Der Grund ist einfach und bekannt: Gratis Kitas könne sich die Stadt aufgrund der angespannten Haushaltslage nicht leisten, erklären die Politiker aller Parteien unisono. Die Absenkung der Gebühren im Oktober wird beispielsweise zu Mindereinnahmen von 582.000 Euro führen, obwohl sie weiterhin im Vergleich zu anderen weit oben liegen. Würde die Stadt komplett auf Besuchsgeld verzichten, wären das Einnahmenausfälle von acht Millionen Euro.
»Das ist natürlich illusorisch«, sagt Kurt Gugel (FWV). Auf der anderen Seite sei das Entgegenkommen in puncto Gebühren für die Eltern »nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein«. Über viele Jahre wurden die Sätze in Reutlingen Jahr für Jahr angehoben - so kam es erst zu diesen horrenden Beträgen. Werden sie nun für einige Jahre nicht angehoben, bedeute dies trotzdem keine Entlastung, sondern ein Verharren auf dem Status quo. »Die Eltern haben das Recht, sauer zu sein«, betont Gugel.
Das Land ist in der Pflicht
Carola Rau von der Linken sieht, wie viele andere Kommunalpolitiker, die Landesregierung in der Pflicht, um Eltern und Kommunen zu entlasten. Schließlich erfüllen Kindertagesstätten »einen wichtigen Bildungsauftrag, sie ermöglichen Kindern, soziale und sprachliche Kompetenzen zu erlernen«, sagt Rau. In anderen Bundesländern finanzieren die Länder die Kindergärten - in Baden-Württemberg jedoch tut sich nichts in diese Richtung.
Regine Vohrer (FDP) blickt auf die Debatten im Gremium zurück: »Gemeinderat und die Verwaltung haben es sich nicht leicht gemacht. Es wurden vier neue Einkommensstufen für höhere Einkommen geschaffen, dafür wurde die unterste Stufe gestrichen.« Die beiden untersten Gruppen müssen meist nichts bezahlen, da sie Transferleistungen vom Staat bekommen und der dann auch die Kitagebühren übernimmt. Trotz aller Anstrengungen sei das System fragwürdig, räumt sie ein, sie sei deshalb weiterhin zu Gesprächen bereit. Wobei ihr vor allem wichtig ist, dass jedes Kind in Reutlingen einen Platz bekommt. Hagen Kluck (FDP) wünscht sich in erster Linie eine Entlastung der Mittelschicht und der höheren Einkommen.
Eine einfachere Gebührenordnung
Neue Vorschläge fürs Besuchsgeld kommen von der WiR-Fraktion. Sie »möchte eine einfache und transparente und damit eine faire und für alle geltende Gebührenordnung«, heißt es in einem Antrag der Fraktion. Gedeckelt werden sollte der Elternbeitrag auf die Höhe des Kindergeldes (derzeit 250 Euro). Vor allem der Spitzensatz sei viel zu hoch und belaste nicht nur die wirklich Reichen, sondern beginne schon bei einem Nettoeinkommen von 70.000 Euro - das sei das durchschnittliche Einkommen von zwei Personen in Baden-Württemberg.
Ein Vorschlag, dem die Grünen ausdrücklich widersprechen: »Nur noch eine einheitliche Gebühr für alle Elterneinkommen zu erheben, halten wir für ungerecht; wir lehnen das ab«, erklärt Karsten Amann. Seine Partei stehe weiterhin zu dem Grundsatz, »stärkere Schultern stärker zu belasten als schwache Schultern«. Doch die Not der Eltern haben die Grünen erkannt: »Der Gemeinderat hat deshalb in den letzten Monaten mehrere Beschlüsse gefasst, um Eltern zu entlasten«. Dies zeige, dass dieses wichtige Thema trotz enger Haushaltslage Priorität habe.
Startchancen durch Teilhabe
Die CDU hat ebenfalls einen Antrag gestellt, neben einer Aussetzung der Erhöhung auf bestimmte Zeit fordern sie eine Überprüfung der Berechnungsgrundlage. Ihr Ziel ist es, Familien mit mittleren und geringen Einkommen zu entlasten, die keine Transferleistungen beziehen. »Diese leiden bereits unter der Inflation«, erklärt Gabriele Gaiser, und es bestehe die Gefahr, dass dies den Besuch der Kita oder die benötigte Betreuungszeit verhindert.
Das wäre freilich fatal, denn ein Besuch der Kindertagesstätten bietet enorme Chancen für die Kinder. Etwas, das auch Sozialamtsleiter Haas immer wieder hervorhebt: Egal ob Integration oder Inklusion, »wir haben hier die Chance, alle Kinder in Reutlingen zu erreichen.« Man gebe den Kindern Startchancen, »wenn wir über Teilhabe sprechen, ist hier der Ansatz.« Für ihn wird wohl in den kommenden Monaten und Jahren noch einiges an Arbeit zukommen, denn das Thema bleibt brisant.
Wie geht's weiter? Es herrscht Ratlosigkeit
Wie geht's nun weiter? Großes Achselzucken bei den Lokalpolitikern: »Wir stecken in einem Dilemma«, sagt Treutlein. »Wir haben keinen Königsweg«, sagt Gugel. »Den Stein der Weisen besitzen wir nicht«, sagt Rau. »Eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung für uns als Kommunen durch Bund und Land wäre notwendig«, sagt Amann. »Es müssen nochmals alle Fakten überprüft werden, um eine Neuregelung auf den Weg zu bringen«, sagt Gaiser. »Von einem kostenfreien Kindergarten sind wir weit weg«, sagt Vohrer. »Es ist höchste Zeit zu handeln«, sagt Straub. (GEA)
Kita-Gebühren im Vergleich
In Reutlingen bezahlen Eltern für einen Platz in den verlägerten Öffnungszeiten (VÖ) je nach Einkommen zwischen 51 und 461 Euro, ein Ganztagesplatz kostet zwischen 68 und 614 Euro. Im Vergleich: In Tübingen kostet ein VÖ-Platz zwischen 49 und 299 Euro, ganztags zwischen 66 und 439 Euro. (GEA)