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Aktuell Prozess

Kindesmissbrauch: Reutlinger Gericht verurteilt 19-Jährigen zu Bewährungsstrafe

Er soll mehrere Mädchen sexuell belästigt und missbraucht haben. Jetzt  stand in Reutlingen ein junger Mann vor Gericht. Nach einem halben Jahr in U-Haft erhielt er jetzt sein Urteil.

Um die Zeugen zu schützen fand der Prozess im Amtsgericht Reutlingen weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Um die Zeugen zu schützen fand der Prozess im Amtsgericht Reutlingen weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Foto: GEA
Um die Zeugen zu schützen fand der Prozess im Amtsgericht Reutlingen weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Foto: GEA

KREIS REUTLINGEN. In Begleitung zweier Polizisten und in Handschellen wird der junge Angeklagte in den Verhandlungssaal im Amtsgericht Reutlingen geführt. Knapp sechs Monate saß er nun in Untersuchungshaft. Genügend Zeit, um über das Geschehene nachzudenken, wie er im Laufe der Verhandlung gegenüber dem Gericht beteuern soll. Auch seine Eltern sind im Saal und warten auf ein Urteil. Der Angeklagte muss sich wegen schweren sexuellen Missbrauchs, 16-fachen Missbrauchs ohne Körperkontakt und sexueller Belästigung verantworten. Vorgeworfen werden ihm außerdem die Verbreitung und der Erwerb kinderpornografischer Inhalte.

Im November vergangenen Jahres soll der 19-Jährige aus Nordrhein-Westfalen ein junges Mädchen aus dem Kreis Reutlingen (in etwa 12 Jahre alt) zu sexuellen Handlungen bewegt haben. In vollem Bewusstsein ihres Alters habe er sie über die sozialen Medien kontaktiert und sich schließlich mit ihr verabredet. Bei besagtem Treffen stieg das Kind zu dem damals 18-Jährigen ins Auto, woraufhin dieser mit dem Mädchen zu einem »privaten« Platz fuhr, um es dort intim anzufassen. Das Opfer konnte sich der Situation erst später entziehen und äußerte den Wunsch nach Hause zu wollen, was der Angeklagte zuließ. In späteren Live-Streams im Web soll er das Kind dann als »Schlampe« betitelt haben. Außerdem wird dem 19-Jährigen zur Last gelegt, via Video-Call vor weiteren Minderjährigen onaniert zu haben. Darüber hinaus soll er ein Mädchen dazu aufgefordert haben, sich nackt an die Tür zu fesseln und dabei zu filmen.

Angeklagter habe Persönlichkeitsdefizite

Der Kontakt mit den Geschädigten sei zufällig gewesen. Vor allem über Snapchat habe der Beschuldigte die Mädchen kennengelernt. »Ist es üblich, dass man sich auf diesen Plattformen solche Videos schickt? Und haben Sie sich beim Alter nichts gedacht?«, hakt Richterin Insa Föhn nach. »Auf diesen Apps ist das schon üblich. Ja, ich wusste das Alter. Ich weiß aber selbst nicht, wie es dazu kommen konnte und was mit mir los war«, erklärt der Heranwachsende. Gezwungen habe er nie jemanden, das Mitmachen sei »freiwillig« gewesen.

Die Vertreterin des allgemeinen sozialen Dienstes (ASD) gibt abschließend eine Einschätzung zur Person des Täters, die dazu führt, das Strafmaß nach Jugendstrafrecht anzusetzen. Denn: Der Angeklagte zeige soziale Auffälligkeiten, erhebliche Persönlichkeitsdefizite und eine Reifeverzögerung. Ein Eindruck, den der junge Mann bestätigt. So komme er aus einem »ambivalenten Elternhaus«, habe wenig freundschaftlichen Bezug (lediglich Kontakte innerhalb der Zockercommunity) und Dinge schon immer »mit sich selbst ausgemacht«. Auch der berufliche Werdegang zeugt von Schwierigkeiten: Hauptschulabschluss, abgebrochene Ausbildung und Kündigungen. In der Untersuchungshaft habe der junge Mann allerdings gelernt, wie wichtig Stabilität ist. »Mein Mandant will sich ändern und neu beginnen. Die Zeit hinter Gittern war ihm eine deutliche Sanktion«, so Verteidiger Markus Weiß-Latzko.

Bewährungsstrafe unter harten Auflagen

Richterin Föhn und die beiden Schöffen des Jugendgerichts ziehen sich zur Urteilsberatung zurück. Knapp 15 Minuten später steht fest: Der Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. »Im Moment ist nicht erkennbar, ob Sie angefangen haben, Ihre Taten zu verarbeiten«, erläutert Föhn. Nur weil die Mädchen aus Sicht des 19-Jährigen den Eindruck erweckt hätten, reif und willig zu sein, bedeute dies nicht, dass irgendetwas davon in Ordnung gewesen war. »Rechtlich bleiben es Kinder, deren Naivität Sie ausgenutzt haben.«

Um eine erneute Inhaftierung zu vermeiden, muss der 19-Jährige sich jetzt an ernste Auflagen halten. Darunter die Aufnahme einer ambulanten Maßnahme gegen sexuelle Gewalt, die Ausübung eines Jobs und die regelmäßige Rücksprache mit dem Bewährungshelfer. (GEA)

Im Gerichtssaal:

Richterin: Insa Föhn, Schöffen: Bernadette Schroh de Almeida, Thomas Ruf, Verteidiger: Markus Weiß-Latzko, Staatsanwältin: Henriette Nissel-Unsöld, Nebenklage: Sandra Ebert.