REUTLINGEN. Seit vielen Jahren investiert das Bundesforschungsministerium in die Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI), um den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu fördern. Im Wissenschaftsjahr 2019 wurde ein bundesweiter Hochschulwettbewerb initiiert unter dem Motto: Künstliche Intelligenz – »Zeigt eure Forschung«. Künstliche Intelligenzen beeinflussen die Gesellschaft und wecken dabei auch Skepsis.
Die Hochschule Reutlingen ist in dem Wettbewerb mit ihren Nachwuchswissenschaftlern ganz vorne mit dabei: Benjamin Sackmann promoviert am Reutlingen Research Institute im Bereich der mathematischen Modellierung des Mittelohrs und ihrer Anwendung in der medizinischen Diagnostik. Sein Wettbewerbsbeitrag hat es unter die 15 Gewinnerteams geschafft: Der »KI-HNO-Battle« erstellt eine HNO-Diagnose-Auswertung mit neuronalem Netz, das KI als Arbeitsmittel für HNO-Ärzte nutzbar machen will.
Unterstützt wird er jetzt in der Praxisphase von Masterstudent Max Fetzer (Maschinenbau) und Leon Deleker (Bachelor-Student Maschinenbau). Im Rahmen des Hochschulwettbewerbs entwickeln die Professoren Barbara Priwitzer und Michael Lauxmann aus der Fakultät Technik mit dem Team eine Spielkonsole, die erstmals am Tag der offenen Tür an der Hochschule im November präsentiert wird.
»Ziel des Forschungs-projekts ist die Anwendung der Technik in der HNO-Medizin«
»Das Computerspiel macht den Nutzen von KI und mathematischer Modellbildung im HNO-Bereich für die Öffentlichkeit erfahrbar«, sagt Prof. Dr.-Ing. Lauxmann. Das Spiel versetzt die Spieler in die Rolle eines HNO-Arztes. Im direkten Vergleich mit einem KI-HNO-Arzt erfahren sie, wie gut sich die Software bei bekannten und bei neuen Krankheitsbildern schlägt. So erleben sie, wie die Software die Auswertung von Krankheitsbildern verbessern kann, aber auch wo die Grenzen liegen.
Der KI-Arzt, also das angelernte Software-System, wird mit Daten trainiert, die aus einer Simulation von Messvorgängen im Mittelohr stammen. Gemessen wird die Menge an Schallenergie, die vom Ohr absorbiert wird. Dabei entsprechen manche Simulationsdaten einem gesunden Ohr, andere gehören zu verschiedenen Erkrankungen des Hörorgans. Verwendet wird beim Training ein neuronales Netz. »Ziel des Forschungsprojekts ist die Anwendung der entwickelten Technik in der HNO-Medizin – also der Praxisnutzen für die medizinische Diagnostik«, so Benjamin Sackmann. Langfristig können auf diese Weise Krankheiten im Mittelohr besser erkannt und überwacht werden.
Im Moment können selbstlernende künstliche neuronale Netzwerke nur spezielle Aufgaben »lernen«, wie zum Beispiel die Spracherkennung. Eine Imitation der komplexen menschlichen Intelligenz ist nicht möglich.
Auf das HNO-Projekt übertragen heißt das: Der KI-Arzt kann bekannte Erkrankungen des Mittelohrs so gut erkennen wie ein Experte, begegnet dem KI-Arzt aber eine unbekannte Pathologie, so ist die KI völlig hilflos. In Zukunft könnte die »KI-HNO« Ärzte bei der Diagnose unterstützen, indem sie Informationen organisiert und analysiert.
»Unser ethischer Impuls ist es zu zeigen, dass uns das neuronale Netz nicht überrollen kann. Es entwickelt keine neuen Ideen, die wir mit natürlicher Intelligenz nicht auch erkennen können. Als Ergebnis erwarten wir, dass die KI, die Daten in größerem Umfang schneller verarbeiten kann als der Mensch, auf ihrem Spezialgebiet besser sein kann als der Mensch. Wenn aber etwas Neues hinzukommt, ist es der Mensch, der das herausfindet«, so Mathematik-Professorin Dr. Priwitzer.
»Unser ethischer Impuls ist es zu zeigen, dass uns das neuronale Netz nicht überrollen kann«
Künstliche Intelligenz wird die Gesellschaft verändern – Chancen eröffnen und Risiken bergen. Lernende Systeme können das Leben vieler Menschen verbessern, wenn sie richtig eingesetzt werden. Umfassende Forschung ist dabei wichtiger denn je, um die technischen Entwicklungen auch aus ethischer, sozialer und rechtlicher Perspektive verstehen zu können. Was kann angewendet werden? Wo sind Grenzen zu setzen?
Wenn Künstliche Intelligenz wie in diesem Forschungsprojekt vom Menschen her gedacht wird, dann unterstützt die Technik Menschen. (GEA)