REUTLINGEN. Eines Tages nahm Werner Grunert all seinen Mut zusammen und fragte die hübsche junge Frau, der er seit Wochen täglich schüchtern einen »guten Morgen« wünschte, ob sie in der Mittagspause mit ihm an der Donau entlangspazieren wolle. Das ist lange her: Am 21. August haben die beiden ihren 70. Hochzeitstag gefeiert. Das seltene Fest der »Gnadenhochzeit« begingen sie im Familienkreis, tags darauf gratulierte der Erste Bürgermeister Robert Hahn im Haus Voller Brunnen.
96 Jahre alt ist Werner Grunert heute, seine Eva Marie 92. Im Haus Voller Brunnen leben sie erst seit diesem Jahr: »Wir hatten das Glück, dass wir auf derselben Station untergekommen sind und unsere Zimmer sogar fast nebeneinander liegen«, sagt der Jubilar, der seine im Rollstuhl sitzende Gattin so lange selbst zu Hause betreute, bis es gar nicht mehr ging. Zu Hause, das war das Eigenheim gleich um die Ecke, das inzwischen verkauft ist. Hier waren sie gut vernetzt, hier engagierten sie sich unter anderem in der katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul – und waren daher umso glücklicher, in der Nähe bleiben zu können.
Mit der Familie nach Reutlingen
Geboren sind beide im ehemaligen Ostpreußen, kennengelernt haben sich die Flüchtlinge aber erst in Sigmaringen. Werner Grunert hatte gerade seine Beamtenlaufbahn beim dortigen Finanzamt begonnen, Eva Marie Barrabas arbeitete bei einem Zahnarzt. Als sie einer Kollegin von dem jungen Mann erzählte, der sie jeden Morgen grüßte, flunkerte die voller Neid, das mache er doch bei jeder. Weswegen sich die spätere Frau Grunert erst einmal ein bisschen »zierte«, wie sich ihr Gatte schmunzelnd erinnert. Und als das erste Rendezvous schließlich doch zustande kommen sollte, wartete Werner am falschen Bahngleis.
Doch spätestens mit der Geburt des ersten von drei Söhnen im November 1953 waren die kleinen Anlaufschwierigkeiten vergessen. Die Söhne waren schließlich auch der Grund, weswegen es die Familie nach Reutlingen verschlug: »Mir war wichtig, dass jeder Sohn studieren kann, wenn er das möchte«, so der Jubilar. Doch die nächste Universität war in Tübingen, und Unterkünfte für alle drei hätte er sich nicht leisten können. Also ließ er sich ans Reutlinger Finanzamt versetzen, obwohl er dort einen Posten erhielt, der ihm eigentlich verhasst war: Steuerprüfer im Außendienst. Die Söhne dankten es ihm, indem sie nicht nur ihr jeweiliges Studium erfolgreich beendeten, sondern ihren Eltern im Laufe der Jahre auch sieben Enkel und sechs Urenkel schenkten.
Auch deshalb blicken die Grunerts zufrieden auf die vielen gemeinsamen Jahre zurück. Als sie sich am 21. August 1952 im Kloster Gorheim das Ja-Wort gaben, konnten sie nicht ahnen, dass sie sieben Jahrzehnte später immer noch zusammen sein würden. Doch das Versprechen, das sie sich damals gaben, gilt noch heute: »Bis dass der Tod uns scheidet, haben wir damals gesagt«, bekräftigt Werner Grunert, wenn er nach dem »Erfolgsrezept« für eine langjährige Ehe gefragt wird. »Daran halten wir uns.« (a)