REUTLINGEN. »Die autofreie Altstadt ist zielführend und machbar. Ich würde das in meiner achtjährigen Amtszeit gern umsetzen«, sagte Oberbürger Thomas Keck im Dezember 2019 klipp und klar in einem Interview mit dem GEA.
Bereits ein gutes Jahr zuvor hatten Grüne, FWV, SPD, WiR und Linke den interfraktionellen Antrag »Stärkung der Innenstadt durch aufenthaltsfreundliche Gestaltung – autofreie Altstadt« gestellt. Die Verwaltung sollte ein Konzept vorlegen, wie dort die öffentlichen Räume vom Verkehr entlastetet werden können. Ziel: Ihre Umgestaltung zu einer autofreien Zone in einem Zeitraum von zehn Jahren. Begründung: »Wir sehen deutlichen Bedarf, die Aufenthalts- und Lebensqualität in der Altstadt zu verbessern. Eine lebendige und attraktive Altstadt steigert die Sicherheit im öffentlichen Raum, sie stärkt den Einzelhandel und belebt die Gastronomie durch längere Verweildauer.« Anfang 2023 fragten dann nur noch Grüne, SPD und Linke nach, was denn aus dem fünf Jahre alten Antrag geworden sei.
»Wir müssen die Vereinbarkeit der Verkehrsmittel hinbringen«
Der bis heute immer wieder zitierte Altstadtrahmenplan von Trojan und Trojan hatte bereits 2007 die Marschlinie aufgezeichnet. Er propagierte »Schritt für Schritt den Wandel von einer autogerechten Stadt zu einer Stadt mit Aufenthaltsqualität«. Was man damals darunter verstand? Der Rahmenplan zeigt beispielsweise eine durchgängige Querachse als Fußgängerzone von der Lederstraße bis zur Gartenstraße.
In Zeiten, in denen es (nicht nur in Reutlingen) permanent um die Transformation der Innenstadt geht – um ihr Überleben als funktionierende Einheit – ist es lange auffallend ruhig ums Thema Verkehrsberuhigung geworden.
Bauausschuss berät über Mobilitätskonzept in der Altstadt
Am Donnerstag steht nun das Thema »Mobilitätskonzept Altstadt« im Bauausschuss auf der Agenda. Zunächst wird es nicht um konkrete Maßnahmen gehen, sondern um eine Verkehrsanalyse und das Verfahren, wie das Konzept erarbeitet werden kann. »Darin werden wir dann auch alle Anträge abarbeiten«, verspricht Baubürgermeisterin Angela Weiskopf vorab im GEA-Gespräch.
Das Verkehrskonzept werde dann in Einklang gebracht mit anderen Untersuchungen wie etwa dem Ecostra-Gutachten zur Entwicklung der Altstadt.
Längst ist das Thema Innenstadtverkehr in einen größeren Rahmen eingebunden: Stärkung von Handel und Gastronomie, Attraktivierung des öffentlichen (Aufenthalts-)raums, Klimaanpassung sind Kernpunkte. Die Innenstadt soll ein Mischraum werden, der auch Kultur, Bildung und Wohnen Heimat bietet.
Das Konzept autofreie Altstadt ist dabei in Reutlingen vom Tisch, so darf man Weiskopfs Rede wohl verstehen. »Wir würden das heute im Rathaus so nicht mehr formulieren«, sagt sie im Hinblick auf das eingangs genannte Keck-Statement. Die Baudezernentin sieht auch keine nennenswerte Ausweitung der Fußgängerzone mehr. Eher: »Eine Qualitätssteigerung des öffentlichen Raums« vor allem beim Zufußgehen, das ja die »Hauptbewegung in der Altstadt« ausmache. Dabei gelte: »Wir müssen die Vereinbarkeit der Verkehrsmittel hinbringen.«
Alle Interessen unter einem Hut
Die neuen Leitbilder der Stadtentwicklung verlangten eine »Nutzungsverlagerung«. Einzelne Bereiche müssten individuell angeschaut werden und dabei alle Interessen unter einen Hut gebracht werden.
Insbesondere Parksuch- und Durchgangsverkehr will man ins Visier nehmen, eindämmen. Wer aber das Wohnen in der Altstadt attraktiv machen wolle, müsse Antworten auf die Frage finden: »Wie gehe ich mit der Parkierung für die Anwohner um?« Für die Gewerbetreibenden müssten Lösungen für die Anlieferung gefunden werden. Wie kommen die Kunden zu den Händlern, auch das bleibt im Fokus.
In dem im Sommer präsentierten Innenstadtentwicklungskonzept der Büros Blocher Partners und Planstatt Senner ist derweil ganz viel die Rede von Verkehrsberuhigung. Die Experten schlagen etwa im Bereich der kleinen Lederstraße einen Shared Space vor, damit Fußgängerzone und das Quartier Obere Wässere besser miteinander verbunden werden. Auch von einer »Erweiterung des Oskar-Kalbfell-Platzes über die Lederstraße« ist die Rede.
»Man muss auch mal scheitern dürfen«
Zentrales Thema bei Blocher/Senner ist die Schaffung von klaren Wegeverbindungen und Achsen, um die Fußgängerzonen aufzuwerten und zu vernetzen. Dazu gehöre auch die Betonung der Stadteingänge an den ehemaligen Stadttoren.
Was da zu lesen ist, sind laut Weiskopf allerdings nur »Ideen«, die dann im Verkehrskonzept beleuchtet und auf ihre Umsetzbarkeit abgeklopft würden.
Für die Eckpfeiler hegt Weiskopf jetzt schon Sympathie: Passanten besser leiten und die Stadteingänge besser und ablesbar machen, damit »die tolle Innenstadt auffindbar wird«, das möchte auch die Dezernentin. Dies helfe auch, Echazuferpfad und dahinterliegende Kostbarkeiten wie die Pomologie besser mit der Innenstadt zu vernetzen.
Flanierachse an der Oberamteistraße?
An Kanzlei- und Oberamteistraße will die Stadt »weiterbauen«. Letztere solle eventuell als »Flanierachse umgestaltet werden, um das historische Reutlingen zu erleben«. Auch die Karlstraße wird ins Visier genommen. »Wir brauchen eine bessere Wegführung vom Bahnhof in die Fußgängerzone«, findet Angela Weiskopf.
Doch schon bei der im Blocher/Senner-Papier gezeigten Vision des Kalbfellplatzes bei der Stadthalle wird die Dezernentin wortkarger. »Das sind nur Impressionen.« Die Lederstraße werde »ihre hohe Bedeutung als Erschließungsachse« behalten. Zudem sei die Stadtbahnführung noch unsicher. Die Marschlinie heißt daher in Weiskopfscher Vagheit: »die Verkehrsarten gestalterisch und funktional dort so zusammenbringen, dass die Bundesstraße keine Zäsur mehr darstellt«.
Zu viele Autos auf der Metzgerstraße
Und die Metzgerstraße, das arme Schwesterchen der Wilhelmstraße, das von Gutachtern immer wieder als Altstadtgasse mit so viel Potenzial identifiziert wird? Dort sind immer noch zu viele Autos und enge, oft zugeparkte Gehwege das Gegenteil von Aufenthaltsqualität.
Als »sicher nicht zufriedenstellend« bezeichnet Weiskopf die Zustände. Helfen mehr Überwachung, mehr Poller, ein Shared Space oder ein blockendes Stück Fußgängerzone beim Weibermarkt, eine Spielstraße? Viele Ideen kursieren, aber keine, die beherzt angegangen wird. »Damit muss man sich auseinandersetzen«, sagt Angela Weiskopf noch mal vage und äußert abschließend ihre Sympathie für einfache Lösungen nebst Testphase. Als Beispiel nennt sie die neue querende Fahrradstraße in der Planie. »Es gab viele Zweifler und nun haben wir nur gute Resonanzen.« »Das Miteinander aller Verkehrsarten ist der Weg für die Altstadt«, wiederholt Angela Weiskopf das neue Mantra. Und: Was nicht funktioniert, wird wieder abgeschafft. »Man muss auch mal scheitern dürfen.« (GEA)