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In fünf Jahren Windstrom aus dem Reutlinger Süden?

Ausbau der Windkraft im Reutlinger Süden: Verwaltung will Bürger insbesondere auch in Bronnweiler, Gönningen und Ohmenhausen mitnehmen auf den Weg.

Wie viele Windräder? Wie hoch? Auch viele offene Fragen verunsichern die Bürger in Bronnweiler.
Wie viele Windräder? Wie hoch? Auch viele offene Fragen verunsichern die Bürger in Bronnweiler. Foto: Jens Büttner/dpa
Wie viele Windräder? Wie hoch? Auch viele offene Fragen verunsichern die Bürger in Bronnweiler.
Foto: Jens Büttner/dpa

REUTLINGEN. Der Ausbau der Windkraft findet auch in Reutlingen hohe Akzeptanz, solange sie nicht vor der eigenen Haustüre stattfindet. In Reutlingen wird zunächst vor allem der Südraum betroffen sein - das ist absehbar. So kamen die kritischen Stimmen bei einer gemeinsamen Informationsveranstaltung der Reutlinger Stadtverwaltung zusammen mit dem Regionalverband Neckar-Alb zur Windenergie im Foyer des Reutlinger Rathauses - geladen waren Stadt- und Bezirksgemeinderäte - vor allem von Vertreterinnen und Vertretern aus den südlichen Stadtgebieten. Dort hat der Regionalverband das meiste Potenzial für Vorranggebiete ausgemacht: Im Fokus steht nun die weitgehend in kommunaler Hand befindliche Fläche RT-TÜ-01 (274 Hektar). Bei der Realisierung der Räder wären neben Bronnweiler auch Gönningen und Ohmenhausen nah dran.

Fakt ist, die Stadt muss ihren Beitrag leisten, damit der Regionalverband die Landesvorgabe (1,8 Prozent der Fläche für die Windkraft) erreicht. »Wir müssen das Heft des Handels in die Hand nehmen«, beschwor Oberbürgermeister Thomas Keck die Betroffenen. »Es gibt viele Zweifel und Sorgen«, weiß er. Man ist daher bemüht, die betroffenen Bezirksgemeinden bestmöglichst mitzunehmen. Die Stadt schlägt nun vor, eine Arbeitsgruppe zu bilden und ein Interessensbekundungsverfahren einzuleiten. Die Arbeitsgruppe (21 stimmberechtigte Mitglieder) soll aus Verwaltungsvertretern und Gemeinderäten aus Reutlingen und Gomaringen sowie Vertretern der Teilorte Bronnweiler, Gönningen und Ohmenhausen bestehen. Sie soll auch den Projektierer der Anlagen auswählen.

Das Interessenbekundungsverfahren soll dabei für eine nachvollziehbare, transparente Vergabeentscheidung sorgen. Darin sollen wichtige Fragen gestellt und beantwortet werden. Einige wurden schon am Mittwochabend beantwortet: Mit Rolf Pfeifer war ein Experte vor Ort, der als unabhängiger Berater bei Themen der Energiewende Kommunen bei Ausschreibungsverfahren zur Seite steht. »Wir sind in 60 Kommunen in Süddeutschland unterwegs«, berichtete der Geschäftsführer der Endura kommunal.

Fünf bis sechs 250 bis 280 Meter hohe Windräder

Nach 52 Bewertungskriterien sollen die Projektierer unter die Lupe genommen werden: unternehmensbezogene, wirtschaftliche, technische und ökologische sowie Kriterien zur Beteiligung.

Pfeifer selbst beantwortete eine Reihen von Fragen direkt vor Ort. Fünf bis maximal sechs Räder könne er sich auf der genannten Fläche vorstellen - 250 bis 280 Meter hoch mit Rotorblatt. Eine solche Anlage versorge 8.000 bis 9.000 Einwohner mit Jahresstrom. Der Flächenverbrauch für ein Windrad liege dauerhaft bei einem halben Hektar, sei aber beim Bau doppelt so groß wegen der Lagerfläche. Für das Abholzen von Waldgebieten könnten, statt Aufforstung an anderer Stelle, vermutlich bald auch Ökopunkte eingesetzt werden.

RT-TÜ-01: Auf diese Fläche richtet sich derzeit der Reutlinger Fokus.  Der Regionalveraband hält sie für »sehr geeignet«, um Win
RT-TÜ-01: Auf diese Fläche richtet sich derzeit der Reutlinger Fokus. Der Regionalveraband hält sie für »sehr geeignet«, um Windräder aufzustellen. Foto: Grafik Stadt
RT-TÜ-01: Auf diese Fläche richtet sich derzeit der Reutlinger Fokus. Der Regionalveraband hält sie für »sehr geeignet«, um Windräder aufzustellen.
Foto: Grafik Stadt

1.000 Meter Abstand zu einem Wohngebiet hält Pfeifer für »erträglich«. Bronnweiler liege im Süden, so dass es dort keinen Schattenwurf gebe. Ja, die Räder emittierten Infraschall, »aber im nicht wahrnehmbaren Bereich«. Dass die Windhöffigkeit an einem tatsächlich bebauten Standort nicht ausreicht, hält Pfeifer generell für unrealistisch: »80 Prozent des Kapitals der Windkraft kommt von der Bank und die hat Interesse an Wirtschaftlichkeit.«

Neben den Rädern werde ein Umspannwerk nötig. Im Blick hat man dafür die Erweiterung eines bereits in Nehren vorhandenes. In vier bis fünf Jahren könnte hausgemachter Reutlinger Strom fließen, so seine Zeitprognose.

Bronnweiler Delegation fühlt sich nicht ernst genommen

Im Verlauf der Fragerunde fühlte sich die Bronnweiler Delegation mit ihren Fragen nicht ernst genommen. Bezirksbürgermeisterin Friedel Kehrer-Schreiber glaubte, »höhnische Reaktionen« gesehen zu haben: »Ich habe das Gefühl, wir werden belächelt«. Dabei sei es doch legitim, »kritisch« zu sein. So wollte Bezirksrätin Rebecca Pfitzner wissen, ob denn auch die Auswirkung des Infraschalls auf Tiere untersucht sei. Es gebe schließlich Landwirtschaft beim Ort. »Wir haben keine Windhöffigkeit auf dem Käpfle«, will Corina Karls wissen. Die auch die Meinung hat: »Es geht nur ums Geld.«

CDU-Stadtrat Frank Glaunsinger warnte davor, »überproduktiv« zu sein und vor der Dimensionierung der Anlagen zu schauen, was verbraucht und was eingespeist werden kann, ohne die Stromnetze zu überlasten. 

Im Zentrum der Fragen: Rolf Pfeifer (mit Moderatorin  Dr. Antje Grobe) hatte eine Reihe interessanter Antworten parat.
Im Zentrum der Fragen: Rolf Pfeifer (mit Moderatorin Dr. Antje Grobe) hatte eine Reihe interessanter Antworten parat. Foto: Andrea Glitz
Im Zentrum der Fragen: Rolf Pfeifer (mit Moderatorin Dr. Antje Grobe) hatte eine Reihe interessanter Antworten parat.
Foto: Andrea Glitz

FWV-Stadträtin Jenny Winter-Stojanovic möchte den Blick mehr auf positive Fakten gerichtet haben: »Das ist mir zu negativ gerade.« Was der Bronnweiler Rat Jörg Luz kommentierte mit: »Dann können Sie die Räder ja nach Betzingen stellen.« Aus Betzingen kam die Mahnung nach einer vernünftigen finanziellen Beteiligung der Bürger. So warnte Grünen-Rat Dr. Martin Schöfthaler vor Nachrangdarlehen, »bei denen die Bürger nach zehn Jahren draußen sind«.

Stadtplaner Stefan Dvorak versprach, dass ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Projektierers sein werde, ob und wie er auf die Wünsche der Bezirksgemeinden eingeht. Und: »Nicht die höchste Pacht wird im Vordergrund stehen.« Interesse ist derweil vorhanden. »Wir haben Anfragen und Projektierer auch aus Reutlingen.« Die Fläche, die nun zunächst ins Visier genommen wird, liegt zu großen Teilen in Gomaringen. Interkommunale Zusammenarbeit lautet hier das Zauberwort: »Wir machen das besser zusammen.«

Der Strom wird verbraucht - wenn die Netze funktionieren

Dr. Dirk Seidemann, Verbandsdirektor des Regionalverbands Neckar-Alb, wies nochmal darauf hin, dass sich die im Suchlauf vom Verband identifizierte Fläche »nach prüfbaren Kriterien sehr gut eignet«. Noch ist aber nichts in Stein gemeißelt. Sie werde vermutlich auch nicht in Gänze genutzt. Zudem gebe es auch noch eine Beteiligungsrunde. Seidemann ist sich auch sicher, dass der neu produzierte Strom verbraucht wird - »wenn die Netze funktionieren«. Diesbezüglich sei man in der Region im Gespräch, auch mit der Fair-Energie und anderen Netzanbietern.

Was Beteiligung und Verfahren betrifft, wird RT-TÜ-01 »Pilotfläche für weitere«, erläuterte Baubürgermeisterin Angela Weiskopf noch. Moderatorin Dr. Antje Grobe (Dialog Basis) lobte das Vorgehen der Stadt mehrfach ausdrücklich. Und: Es sei »ambitioniert«.

OB Keck schwenkte abschließend den Blick nochmal über den Tellerrand: Ein Windpark sei im Sinne der Stadt und der Wirtschaft. Bei der Stärkung des Wirtschaftsstandort spiele günstige Energie eine wichtige Rolle. »Lassen Sie uns im Gespräch bleiben und den Wandel gemeinsam gestalten, sonst gestaltet er uns«, bat er die Anwesenden.

Wie sich's live anfühlt? Berater Rolf Pfeifer riet den Sorgenvollen zu einer Exkursion: »Fahren Sie zu einem Windpark und stellen Sie sich unter ein Rad. Das ist der lauteste Standort.« (GEA)