REUTLINGEN. Den roten Faden haben die Projektentwickler des Stoll-Areals niemals verloren. Nur scheinbar hat sich seit dem Tag der offenen Tür im Juni vor einem Jahr auf dem ehemaligen Betriebsgelände der berühmten Textilmaschinenfabrik nichts getan. Zwischen den Maschen vieler Monate haben Tobias Grimminger und Cemal Isin, die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der Trias Immobilien GmbH & Co KG aus Aalen – die aus dem Areal in der Tübinger Vorstadt »Urbane Fabriken am Fluss« machen wollen – Verträge geschlossen sowie Verbindungen geknüpft. »Jetzt geht es definitiv los«, verspricht Cemal Isin mit Blick auf eine Übersicht von zwei geplanten Bauabschnitten.
Mit glücklichem Gesicht läuft Architekt Isin von der Benzstraße durch das große Tor in der Mitte des ehemaligen Betriebsgeländes. Links das spitz zulaufende Produktionsgebäude von einst, rechts in Sichtweite die frühere Verwaltung. Dann erzählt er, was im vergangenen Jahr so alles gelaufen ist. Zum Beispiel gute Gespräche mit der Reutlinger Stadtverwaltung, die ebenso wie der Gemeinderat mit Wohlwollen auf die Entwicklung des Stoll-Geländes blickt. »Wir waren noch im Gestaltungsbeirat, dort wurde unsere Konzeption positiv bewertet«, berichtet Isin.
Trias plant ein urbanes Gewerbegebiet mit bis zu 700 Arbeitsplätzen, will viele Altgebäude erhalten sowie Neubauten aus Holz und mit begrünten Dächern inklusive Fotovoltaik-Anlagen schaffen. Mit der Renaturierung der Echaz wächst außerdem eine öffentliche Erholungsfläche, die dem städtischen Hochwasserschutzkonzept Rechnung trägt. Dies alles steht im städtebaulichen Rahmenvertrag mit der Stadt, der mittlerweile unterzeichnet wurde – was die Grundlage für das Baurecht darstellt. Folgerichtig hat Trias, »jetzt schon Bauanträge für den ersten Bauabschnitt gestellt«.
»Wir warten jetzt auf die Baugenehmigung«
Angefangen wird im vorderen Teil des alten Stoll-Areals ab dem Stollweg, dann die Benzstraße abwärts bis einige Meter hinter der Abzweigung zur Fizionstraße. Im einstigen Verwaltungsgebäude wird mit dem Rückbau bis zum Rohbaustandard begonnen. Von den blitzeblanken Verwaltungsgängen mit ihrem vornehmen grauen Teppichen, die wie frisch gesaugt aussehen, wird nichts übrig bleiben. Wo einst der Vorstand eines weltweit führenden Unternehmens residiert hat – ein recht bescheidenes Büro ohne Schnickschnack mit Einbauschränken sowie freiem Blick auf die Benzstraße – werden in einigen Jahren die Gäste eines Drei-Sterne-Hotels mit 124 Zimmern wohnen können.
Im alten Produktionsgebäude Nummer 115 entstehen »Long Stay Suiten«. Das sind Mikro-Appartments für das auf maximal sechs Monate beschränkte gewerbliche Wohnen. Weiter geht’s gegenüber.

Die geschichtsträchtigen Backsteingebäude mit den Nummern 110 und 111 werden innerlich erst wieder auf Rohbaustandard gebracht, um sich danach in schicke moderne Büros und Co-Working-Flächen zu verwandeln. Hier war einmal der historische Kern der 1878 von Heinrich Stoll aufgebauten Strickmaschinenfabrik. Hinter diesen Mauern könnte Stoll sein wichtigstes und bekanntestes Patent 1892 erdacht haben. Es war der »Übergabemechanismus von Doppelzungennadeln mit Hilfe von Platinensteuerung und Schloßmechanismen«. Vorgestellt und ausgezeichnet wurde die »Links-Links-Strickmaschine« erstmals auf der Weltausstellung in Chicago 1893. Über ein Jahrhundert später gehen die Projektentwickler sorgsam mit alter Bausubstanz um.Während Isin in einem der Innenhöfe des Areals steht, fällt sein Blick auf betagte Fenstersimse. Er bittet eine Kollegin Bilder davon zu machen. Die Steinbretter sollen aufbewahrt und wieder verwendet werden. Auch innen dürfen wo immer möglich alte Balken oder Treppenhäuser den Charme von Jahrhunderten in die Zukunft hinübertragen – das ist ökologischer und zeigt jenen Respekt vor der Geschichte des Ortes, der Trias wahrscheinlich auch 2018 dabei geholfen hat, das Gelände von Stoll zu erwerben. Aus guten Gründen kann aber nicht alles so bleiben, wie es ist.
Die Echaz soll als ein Baustein zum Hochwasserschutz wieder natürlich werden. Für die Renaturierungsmaßnahme hat die Stadt von Trias etwa 3.700 Quadratmeter Grundstücksfläche gekauft. Einer der Flügel des Altbaus Nummer 110 steht zu nahe am Bach, weswegen dieses Stück abgerissen wird. »Die Fläche an der Echaz wird geräumt«, erklärt Isin. Die Abbrucharbeiten sollen laut dem Geschäftsführer »ab November in diesem Jahr« auch das erste sein, was von der Verwandlung des Geländes zu sehen ist. Auf der Abbruchliste im zweiten Bauabschnitt stehen die alte Lackiererei und eine Ansammlung von Schuppen am Bach. Während direkt an der Echaz etwas Altes zurückweicht, wird an anderer Stelle ein Gebäude nur umgezogen.

Die ehemalige Schlossereihalle, in der es bis heute nach Schweröl und Stahl duftet, wird abgebaut und auf dem Parkplatz im Winkel der Nummern 110 und 111 neu aufgebaut. »In diesem Gebäude wollen wir jungen Start-up-Unternehmen Mietflächen ab 36 Quadratmetern anbieten«, beschreibt Cemal Isin die künftige Verwendung des Bauwerkes. Dabei soll die Halle auf einem Sockel stehen, der Freiraum für ebenerdige Parkplätze bietet.
»Im ersten Quartal 2025 beginnen die Hochbaumaßnahmen«
»70 Prozent des ersten Bauabschnitts sind schon vermietet«, sagt Isin. Es hätten sich auch schon gewerbliche Mieter gefunden, über die er aktuell noch nicht sprechen könne. Was den Zeitplan betrifft, »warten wir jetzt auf die Baugenehmigung«. Wenn alles glatt laufe, könnten »im ersten Quartal 2025 die Hochbaumaßnahmen beginnen«. Die Fertigstellung von Hotel und Longstay-Apartments ist laut Trias für Ende 2026 geplant.
Die Flächen des Stoll-Areals jenseits des ersten Bauabschnittes werden als Freiraum und temporärer Parkplatz auch fir die Bauarbeiten genutzt. Insgesamt zeigen sich die Projektentwickler »total happy. Wir freuen uns , wenn der erste Bagger kommt«. (GEA)
Urbane Fabriken am Fluss" sind geplant
Im Jahr 2018 hat der Projektentwickler Trias Immobilien GmbH & Co KG aus Aalen das Stoll-Areal von der Firma Stoll erworben, um etwas daraus zu machen. Entstehen soll ein gewerbliches Quartier. Bei Trias trägt das Projekt den Titel »Urbane Fabriken am Fluss«. Möglichst viel alte Bausubstanz soll erhalten und saniert werden. Die Gebäude 111, 114 und 115 an der Benzstraße bleiben. Das markante Backsteingebäude 110 an der Echaz muss aufgrund der geplanten Hochwasserschutzmaßnahme teilweise zurückgebaut werden.
Bei der Entwicklung des Stoll-Areals stehen die gewerbliche Entwicklung, die Weiterentwicklung des Hochwasserschutzes, der Erhalt bestehender Gebäude sowie die nachhaltige Gestaltung des Areals und seiner Freiräume im Mittelpunkt. Die Echaz soll aufgewertet und renaturiert werden. Grün und Wasser werden mehr Platz haben, ein öffentlicher Fußweg ist ebenfalls vorgesehen.
Die Stadt Reutlingen hat einen eigenen Bereich ihrer Website dem Projekt gewidmet, dazu gibt es im Ratsinformationssystem die Gemeinderatsdrucksachen. Die Architekten und Generalplaner von Isin des Projektentwicklers Trias stellen ihre Arbeit ebenfalls online umfangreich vor. (zen)