REUTLINGEN. Das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut in Reutlingen (NMI) packt derzeit ein großes Problem der Antikörper-Tests zum Nachweis von Covid-19 an: falsch positive Testergebnisse. Also solche, bei denen Antikörper bestätigt werden, obwohl gar keine Covid-19-Erkrankung durchgemacht wurde – sondern vielleicht eine Infektion mit einem anderen Coronavirus. Um dies zu vermeiden, wurde beim NMI, eine Einrichtung an der Universität Tübingen mit Sitz in Reutlingen, ein neues Verfahren entwickelt. Es setzt an verschiedenen Punkten gleichzeitig an, um Antikörper sicher zu erkennen und so maximal zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Die Tests werden laut Pressesprecherin Sarah Link nicht für Privatpersonen zur Verfügung stehen wie jene der Tübinger Firma Cegat (der GEA berichtete), sondern damit sollen repräsentative Stichproben in ganz Deutschland gemacht werden, um Daten über die Grundimmunität der Bevölkerung zu erhalten.
Um die Ausbreitung der Pandemie zu erfassen und eine verbesserte Steuerung der Präventionsmaßnahmen zu erreichen, sind neben Schnelltests zur Diagnose auch Antikörpertests nötig, mit denen eine vorangegangene Infektion nachgewiesen werden kann. Mit Hochdruck und unter Einsatz eigener Mittel forscht das NMI derzeit daran. Bislang verfügbare Antikörpertests führen zum Teil zu falsch positiven Ergebnissen. Das heißt, sie weisen Antikörper nach, obwohl gar keine Covid-19-Erkrankung durchgemacht wurde.
Verwandte saisonal auftretende Coronaviren kursieren schon seit Langem in der Bevölkerung und rufen in der Regel harmlose Erkältungssymptome hervor. Sie sind ein Grund, warum die Durchseuchung mit Covid-19 nicht genau eingeschätzt werden kann.
NMI-Forscher arbeiten zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) nun an der Entwicklung eines Antikörpertests, der eine zuverlässige Analyse bestehender Antikörper sowohl gegen Covid-19 als auch gegen saisonale Coronaviren erlaubt und damit eine höhere Sicherheit bietet, berichtet NMI-Institutsleiterin Dr. Katja Schenke-Layland. Der Antikörpertest soll darüber hinaus nur geringste Antigenmengen benötigen – rund ein Fünfzigstel im Vergleich zu konventionellen Testverfahren. So können Produktionsengpässe bei den Tests vermieden werden.
Das Problem der Kreuzreaktionen
Bei der Entwicklung profitiert das Forscher-Team von seiner mehr als zehnjährigen Erfahrung in der Serologie. »Wir haben bereits in der Vergangenheit differenzielle Testsysteme entwickelt, beispielsweise zur Untersuchung auf eine Hepatitis-A- oder -B-Infektion. Auch serologische Tests auf Antikörper gegen andere Viren und Bakterien wie Helicobacter pylori und Mycobacterium tuberculosis wurden hier entwickelt. Diese Expertise konnten wir nun für die Entwicklung des neuen Antikörpertests nutzen und Antigene speziell für SARS-CoV-2-Tests herstellen«, so Dr. Nicole Schneiderhan-Marra, Gruppenleiterin und Biochemie am NMI Reutlingen.
Mit dem neuen Verfahren hoffen die Forscher, das Problem der Kreuzreaktionen in den Griff zu bekommen. Dr. Thomas Joos, stellvertretender Institutsleiter des NMI, erklärt: »Viele Menschen haben oder hatten irgendwann einmal Kontakt mit gewöhnlichen Corona-Schnupfenviren. Immerhin machen diese bis zu 15 Prozent aller Schnupfenviren aus. Entsprechend wahrscheinlich ist es, Antikörper gegen deren Virusproteine im Blut zu finden. Da Corona-Viren untereinander sehr ähnlich sind, kann es bei Tests auf SARS-CoV-2-Antikörper auch zu Kreuzreaktionen und damit zu falschen positiven Testergebnissen kommen. Diese wollen wir mit unserem Second-Line-Test ausschließen. Erste Tests mit dem Serum ehemaliger Covid-19-Patienten waren dabei bereits erfolgreich.«
Mit den Testentwicklungen ist das NMI eingebettet in Verbundprojekte. Die ersten Arbeiten startete das Institut noch aus eigenen Mitteln Anfang Februar. Inzwischen werden die Arbeiten vom Land und der EU gefördert. »Wir arbeiten eng mit dem HZI in Braunschweig zusammen und sind hier in intensivem Austausch mit dem Epidemiologen Dr. Gérard Krause. Das HZI steuert in einem EU-Projekt auch Untersuchungen zur Grundimmunität in der Bevölkerung, an denen wir beteiligt sind«, berichtet Dr. Schneiderhan-Marra.
Da absehbar immer mehr Tests anfallen werden, hat das NMI einen neuen Pipettierroboter angeschafft, mit dem über 2 000 Tests pro Tag machbar sind. Möglich wurde dies durch 210 000 Euro Fördermittel vom Wirtschaftsministerium des Landes. Das NMI will das Verfahren künftig anderen Laboren zur Verfügung stellen. (eg/sä)
CORONA-LAGE
Das Landratsamt Reutlingen meldete am Mittwochabend 1 519 bestätigte Coronafälle im Landkreis. Das ist einer mehr als tags zuvor. Davon sind 1 328 Infizierte wieder genesen, das entspricht 87,4 Prozent. 80 Menschen sind im Kreis bislang im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben, das ist ein Todesfall mehr als gestern. Insgesamt wurden 11 975 Abstriche gemacht. (la)