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»Human Nature« im Kamino: Erschafft sich der Mensch neu?

Viel Interesse am Dokufilm »Human Nature« und anschließendem Gespräch im ausverkauften Kamino

Entnahme einer Speichelprobe für DNA-Untersuchungen (Symbolbild).
Entnahme einer Speichelprobe für DNA-Untersuchungen (Symbolbild). Foto: dpa
Entnahme einer Speichelprobe für DNA-Untersuchungen (Symbolbild).
Foto: dpa

REUTLINGEN. In Zusammenarbeit mit Ariane Iller und der Stuttgarter Medizinethikerin Christiane Burmeister zeigte das Kamino den Dokumentarfilm »Human Nature: The Crispr Revolution« von Adam Bolt. Nach der seit Tagen ausverkauften Vorführung schloss sich eine Diskussionsrunde mit drei Vertretern verschiedener Fachrichtungen über das Thema »Gen-Schere« an.

Es ist eine Erfindung, die unter Wissenschaftlern heiß diskutiert wird, denn sie könnte die Zukunft der Menschheit entscheidend verändern: »Oft bemerkt man erst hinterher, dass gerade eine Revolution stattgefunden hat«, beschreibt es die Wissenschaftlerin Alta Charo in einer Szene des Dokumentarfilms »Human Nature: The Crispr Revolution«.

Die Rede ist von einem winzig kleinen Genwerkzeug mit dem sperrigen Namen »Crispr/Cas9«, dessen Entdeckung vor einigen Jahren die Welt über Nacht verändert hat. Das nach Meinung vieler Wissenschaftler sowohl wahre Wunder vollbringen als auch »die Menschheit in die Katastrophe stürzen kann«, so der Biochemiker Fyodor Urnov in einer anderen Szene des Films.

Nicht von der Hand zu weisen sei es, dass diese Erfindung das Potenzial dazu habe, »die Beziehung des Menschen zur Natur grundlegend zu verändern«, behauptet die Biochemikerin Jennifer Doudna. Denn mit der sogenannten »Gen-Schere« (Crispr) sei es nicht nur möglich, durch Genmanipulation Pflanzen stärker zu machen und damit den Folgen des Klimawandels zu trotzen, sondern auch Erbkrankheiten bei Menschen zu heilen, bedrohte Tierarten zu schützen oder längst ausgestorbene Arten wieder zum Leben zu erwecken: »Wenn wir wollen, ermöglicht es uns sogar, die menschliche Evolution zu verändern. So tief greifend ist es«, bekräftigt die renommierte US-Molekularbiologin und Miterfinderin der Gen-Technologie.

Worum geht es genau? Vor wenigen Jahren haben US-Forscherteams entdeckt, wie ein Abwehrsystem, das Bakterien gegen Viren einsetzt, als Allzweckwerkzeug in der Bearbeitung von Erbgut verwendet werden kann. Mit dieser Methode lässt sich Erbgut (DNA) in Pflanzen und allen Lebewesen »schnell, präzise und sicher wie nie zuvor« ausschneiden, verändern und wieder einbauen. Zahlreiche Wissenschaftler kommen in dem Film zu Wort und dem Regisseur gelingt es in sechs Kapiteln, Chancen und Risiken der Crispr-Technologie aufzuzeigen, ohne allzu dramatisch oder gar pathetisch zu werden.

Großes Diskussionsbedürfnis

Die Stärke des fast zweistündigen Dokumentarfilms besteht darin, dass am Ende das Bedürfnis groß ist, über all das zu diskutieren. Das wurde von den zahlreichen Besuchern auch ausgiebig genutzt. Die drei Wissenschaftler Corina Schneidawind (Universitätsklinikum Tübingen), Annette Noller (Evangelische Hochschule Ludwigsburg) und Robert Ranisch (Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Tübingen) beantworteten Fragen und lieferten Argumente und Denkanstöße, die sich vor allem mit ethischen Fragen und der Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen auseinandersetzten: »Wir wissen nicht, welche Folgen Genmanipulationen und Eingriffe in die Keimbahn haben werden«, kritisierte Annette Noller und fragte sich, »wie sich unser Zusammenleben durch diese Erfindung verändern wird«.

Auch Ranisch und Schneidawind plädierten dafür, die Gen-Schere nur zur Heilung von Erbkrankheiten einzusetzen. Doch wer zieht die Grenzen und kann man wirklich gewährleisten, dass die Erfindung nicht in falsche Hände gerät? So berichtete im November 2018 der chinesische Forscher Jiankui He, er habe erstmals bei Embryonen das Genom per Crispr-Technologie gezielt verändert, das die Zwillinge immun gegen HIV machte. (jüsp)