REUTLINGEN. Es sind Problemchen, Unsicherheiten und kleine Sorgen, aber auch handfeste Schwierigkeiten, weswegen Kinder und Jugendliche Hilfe suchen. Unter der »Nummer gegen Kummer« (0800 111 0 333) finden sie Ansprechpartner, die versuchen zu helfen: kostenlos, anonym und vertraulich. Am Telefon sitzen ehrenamtliche Berater des Deutschen Kinderschutzbunds, in dem der Verein »Nummer gegen Kummer« Mitglied ist.
16 Männer und Frauen wechseln sich in Reutlingen mit dem Telefondienst ab. Jeder hat zwei- bis dreimal im Monat zwei Stunden Dienst. Das ist aber nicht genug, um den Bedarf zu decken: »Wir brauchen Verstärkung«, sagt Claudia Kullmann, die das Kinder- und Jugendtelefon in Reutlingen zusammen mit Bettina Brettschneider, Petra Erdbrink und Elfriede Brenz organisiert. Bundesweit gibt es 77 solcher Standorte.
Umfangreiche Qualifizierung
Es sind Studenten, Rentner und Erwerbstätige, Mütter, Väter und Kinderlose, Erwachsene jeden Alters und beruflichen Backgrounds, die sich im Beraterteam einbringen können. »In erster Linie müssen sie zuhören wollen«, erklärt Claudia Kullmann. Freuen würde sich das Team besonders über männliche Unterstützung: Manche Jungs würden sich lieber einem Mann anvertrauen, doch die sind in der Minderheit unter den Beratern. Keiner müsse Angst haben, überfordert zu werden: Die Neuen werden von den Kollegen eingearbeitet und in einem umfangreichen obligatorischen Qualifizierungskurs vorbereitet.
Erstmals bietet der Kinderschutzbund den Lehrgang ab Herbst in Kooperation mit der Reutlinger Gesundheits Akademie (Rega) und der Volkshochschule (VHS) an (siehe Infobox). Die Kosten werden nach 50 Stunden geleistetem Telefondienst zurückerstattet. Denn auch Berufstätige und Studierende im sozialpädagogischen Bereich nehmen an der Fortbildung teil.
Die Ausbildung sei nicht nur Voraussetzung für eine kompetente Beratung, »sie bringt einem auch persönlich etwas im Alltag«, versichert Petra Erdbrink. Man lerne zuzuhören, schwierige Gespräche zu führen, werde toleranter. Im Anschluss an den Kurs hospitieren die neuen Berater bei erfahrenen Kollegen, werden nach und nach zum selbstständigen Arbeiten angeleitet und erhalten auch später einmal im Monat eine Supervision.
Darüber hinaus gebe es zwanglose Treffen, bei denen schwierige oder belastende Fälle besprochen und verarbeitet werden können. Etwa, wenn ein Anrufer oder eine Anruferin über sexuellen Missbrauch oder Gewalt in der Familie erzählt. »Es gibt Fälle, die einen berühren und in denen man ohnmächtig ist«, erklärt Bettina Brettschneider. Meistens ist der Anlass aber nicht so dramatisch. Mobbing in der Schule sei ein großes Thema, die sexuelle Orientierung, die Angst, den Eltern ein schlechtes Zeugnis zu beichten oder Liebeskummer: Unter der »Nummer gegen Kummer« findet sich immer ein offenes Ohr. Zwischen 800 und 900 Anrufe beantworten die Reutlinger Berater im Monat. Die wenigsten Hilfesuchenden stammen aus der Region – diejenigen, die von einem Festnetzanschluss aus anrufen. Die meisten – alle, die mobil telefonieren – kommen von irgendwo im Bundesgebiet.
Zwei Drittel seien »Scherzanrufe« – Mutproben etwa. Manchmal haben die Ansprechpartner auch den Eindruck, die Kinder oder Jugendlichen wollten testen, wie das Kummertelefon funktioniert. »An der Stimme kann man viel heraushören. Mit der Zeit entwickelt man ein Gespür dafür, welcher Anruf ernst gemeint ist«, sagt Bettina Brettschneider.
Probleme strukturieren
Im Gespräch ergebe sich oft, ob und wie der Anrufer weitere Hilfe in Anspruch nehmen will. Das können Beratungsstellen vor Ort sein, Pro Familia, die Suchtberatung, die Familienberatungsstelle, das Jugendamt oder die Polizei. Manchmal helfe dem jungen Menschen auch schon, dass er sein Problem strukturieren und jemandem erklären muss, um, wie Claudia Kullmann sagt, »eine dunkle Wolke beiseitezuschieben«. (GEA)
QUALIFIZIERUNGSLEHRGANG
Einen Kurs für Telefonberater Info-Abend