REUTLINGEN. »Überraschend voll hier«, war am Heiligen Morgen in der Reutlinger Altstadt häufig zu hören – egal, ob von Besuchern der traditionellen Massenparty, Gastronomen oder vom Ordnungsamt. Ab 11 Uhr war am Hotspot an der Ecke Oberamtei- und Kanzleistraße kaum noch ein Durchkommen. Mit so einem Andrang hatten die meisten nicht gerechnet, gab es doch vor allem am »Bermudadreieck« mehr Restriktionen für die Kneipen, Bars und Cafés als im vergangenen Jahr und vor der Corona-Pandemie.
In der Oberamteistraße und der Wilhelmstraße wurden vom Ordnungsamt keine Außenbars genehmigt. Grund dafür sei das Sonn- und Feiertagsgesetz in Baden-Württemberg, laut dem Gottesdienste besonders zu schützen seien, erklärte Torben Engelhardt, stellvertretender Leiter des Ordnungsamts der Stadt Reutlingen. Um den vormittäglichen Gottesdienst in der Marienkirche nicht zu stören, wurde rund um das Reutlinger Wahrzeichen die Getränke nur innerhalb der Lokalen ausgeschenkt. »Diese Regelung haben wir in Absprache mit der Gastro-Initiative getroffen«, sagte Engelhardt. »An diese Auflage haben sich alle gehalten.«
Getränke aus Fenstern verkauft
Am »Bermudadreieck« wurde deshalb Bier, Sekt und Glühwein aus Fenstern verkauft. »Vielleicht hätten wir mit unserer 15 Meter langen Bar aus dem letzten Jahr etwas mehr Umsatz gemacht, aber es war trotzdem gut«, meinte Markus Benz, Inhaber des Modecafés Benz. Vor sechs Jahren hat er zuletzt einen Heiligen Morgen an einem Sonntag mitgemacht. »Da war deutlich weniger los.« Der Reutlinger Ernst Obermayer, der das Happening schon seit mehreren Jahrzehnten als Gast kennt, meinte sogar: »So viel war gefühlt noch nie los«. Beeindruckt war er vor allem davon, dass der Marktplatz »brechend voll« war. Bei dessen Premiere im vergangenen Jahr war das noch nicht so. Nur wenige kamen dagegen in den Bürgerpark, wo der Rest-Weihnachtsmarkt erstmals dabei war.
Deutlich mehr los als im vergangenen Jahr war am »Alten Rappen«, wo die Reutlinger Tradition neben der Kaiserhalle ihren Ursprung hat. »Manche sind vom Bermudadreieck zu uns gekommen, weil wir eine Außenbar haben«, vermutete Wirt Dimitrios Karantagas. Die Laufkundschaft wie an Werktagen fehle zwar, dafür seien viele Mitarbeiter aus den umliegenden Geschäften da. »Die konnten in den letzten Jahren leider nie dabei sein.« Seit 2012 schon reist dagegen Sabine Schurr aus Rottenburg am 24. Dezember nach Reutlingen, um sich dort mit Freunden zu treffen. Ins näher gelegene Tübingen, wo es ebenfalls einen Umtrunk gibt, wollte sie nie. »Beim Original herrscht die bessere Stimmung.« Für ihre Truppe sei der »Rappen« jedes Jahr der Auftakt. »Dann arbeiten wir uns Station für Station weiter bis zum großen Finale im Kohla durch.«
»Faszinierend« findet Tobias Jetter aus Sickenhausen das Phänomen Heiliger Morgen. »Auch wenn natürlich manch einer einen über den Durst bringt, bleibt es trotz der Menschenmassen friedlich.« Das bestätigte Torben Engelhardt vom Ordnungsamt. »Es gab nach unserem Kenntnisstand keine Beschwerden oder Vorkommnisse.« Das bestätigte auch die Polizei. »Alles friedlich«, lautete das Fazit des Einsatzleiters vor Ort kurz nach dem offiziellen Ende um 15 Uhr. »Wir hatten keinen Einsatz.« Stattdessen lobte er die »super Party-Stimmung«.
»Finale« des Heiligen Morgen an der Kult-Kneipe Kaiserhalle
Um kurz nach 15 Uhr war davon am Marktplatz wie an der Ecke Oberamtei- und Kanzleistraße nichts mehr zu spüren. Nur noch vereinzelt standen Leute mit einem Bier. Andere diskutierten, wie sie denn jetzt nach Hause kommen. Mitarbeiter der Lokale fegten Scherben zusammen und räumten liegen gebliebene Bierflaschen weg. Die Party hatte sich peu à peu zur Kaiserhalle verlagert. Vor der auch Kohla genannten Kult-Kneipe herrschte auch am frühen Heiligen Abend noch dichtes Gedränge. (GEA)