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Aktuell Leerstand

Halbzeit bei drei Reutlinger Pop-ups

Zwei der vier Monate sind vorbei: Wie kommen die Interims-Nutzungen in der Reutlinger Innenstadt an? Das sagen Macher und Beteiligte der Projekte.

Zuletzt hatte Gerhard Loew vom Verein Netzwerk Kultur im W 109 seine Phono-Geräte-Sammlung gezeigt. Die Halbzeit-Bilanz für dies
Zuletzt hatte Gerhard Loew vom Verein Netzwerk Kultur im W 109 seine Phono-Geräte-Sammlung gezeigt. Die Halbzeit-Bilanz für diese Zwischennutzung sieht gut aus. Foto: Frank Pieth
Zuletzt hatte Gerhard Loew vom Verein Netzwerk Kultur im W 109 seine Phono-Geräte-Sammlung gezeigt. Die Halbzeit-Bilanz für diese Zwischennutzung sieht gut aus.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Als klar war, dass aus einer Interims-Nutzung des Galeria-Kaufhof-Gebäudes nichts wird, nahm die Stadt drei kleinere Leerstände in der Reutlinger Innenstadt ins Visier. Mit dem Ziel, durch kreative, experimentelle Zwischennutzungen die City zu beleben. Im September ging's los, jeweils bis Ende Dezember. Zwei von vier Monaten sind vorbei - Zeit nachzusehen, was daraus geworden ist.

Um welche Läden geht es?

Drei Nutzer, die schon Anfang des Jahres als Ideengeber auftraten und ursprünglich Galeria vorübergehend bespielen wollten, haben kleinere verwaiste Läden bezogen: der Verein Netzwerk Kultur die Wilhelmstraße 109 (Ex-Engel-Store), der American Store die Rathausstraße 4 (zuvor Barefoot-Schuhladen) und der Hilfsverein 3 Musketiere Reutlingen gerade frei gewordene Geschäftsräume am Weibermarkt 3 neben der Marienkirche (bisher Fridi unverpackt).

Wie wird das finanziert?

Sie können sich an diesen Orten relativ sorgenfrei ausprobieren, denn die Initiativen werden gefördert von der Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Stadtmarketing StaRT sowie entgegenkommenden Hauseigentümern. Am 31. Dezember läuft das Bundesprogramm Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren (ZIZ) als Haupt-Geldquelle jedoch aus.

Was passiert im W 109?

Netzwerk Kultur eröffnete das W 109 am 7. September als niederschwelligen Kulturort mit dem Reutlinger Künstler Carsten Springer und seiner an Wayne Thiebaud erinnernden Malerei sowie zwei Kurz-Konzerten. Als fünfte der zweiwöchentlich wechselnden Ausstellungen stellte jüngst der Vereinsvorsitzende Gerhard Loew eine umfassende Sammlung von Braun-Phono-Geräten mit Platten von Jörg Lose und vinylbezogener Kunst von Wenni Wellsandt vor. Seit 2. November führen dort Mitglieder des Photoclub mit Fotos und Zeichnungen einen »Reutlinger Dialog«, mit Fotowalk und am 8. November, 16 Uhr, dem Fotoworkshop »Bilder präsentieren: aber wie?« (Anmeldungen an info@netzwerk-kultur-reutlingen.de). »In kurzer Zeit hat sich das Angebot bei Publikum und Künstlern herumgesprochen. Inzwischen ist die Liste der Interessenten an Ausstellungen und Auftritten so lang, dass das erste Halbjahr 2025 problemlos gefüllt werden kann«, teilt Netzwerk-Geschäftsführerin Edith Koschwitz mit. Geöffnet ist W 109 von Mittwoch bis Samstag, 12 bis 18 Uhr.

Was bietet die Pop-up-Academy?

Im Pop-up-Store in der Rathausstraße 4 hatte in den vergangenen drei Wochen Sven Westkemper aus der Katharinenstraße ein Outlet seiner italienischen Männermode eingerichtet. »Läuft«, sagt Axel Kuhn, der auf den 50 Quadratmetern ebenerdiger Verkaufsfläche aushilft. Die Frequenz sei tagesabhängig. Für die Pop-up-Academy, die Start-ups im Modebereich eine Startrampe bieten soll, fehlte temporär den Initiatoren und Vermittlern vom American Store Personal. Eine Release-Party des Reutlinger Street-Wear-Labels No Waiy Clothing hat dem American-Store-Inhaber Stefan Klein zufolge super funktioniert. »Da wurde von 15 bis 21 Uhr durchgefeiert.« Auch der verkaufsoffene Sonntag mit zwei Tätowierern war erfolgreich. »Aber wenn ich jeden Monat Musik, kostenlose Getränke und Häppchen bieten muss, um den Laden nach vorne zu bringen, kostet das zu viel Geld.« Anders als erhofft, meldeten sich keine neuen lokalen Labels. Generell leide die Adresse unter »zwei Metern, die den Unterschied machen«, erklärt er zur zurückgesetzten B-Lage. Und: »Die Reutlinger sind vorsichtig, was neue Läden angeht.« Vielleicht sei die Academy zu durchgestylt, was die Leute hemme reinzukommen. Geöffnet hat sie Donnerstag/Freitag, 12 bis 18, und Samstag, 12 bis 16 Uhr.

Die Initiatoren vom American Store, Stefan Klein und Deniz Sarpkaya (3. und 4. von links), kurz vor der Eröffnung der Pop-up-Aca
Die Initiatoren vom American Store, Stefan Klein und Deniz Sarpkaya (3. und 4. von links), kurz vor der Eröffnung der Pop-up-Academy mit Vertretern von Handel und Stadt. Foto: Claudia Reicherter
Die Initiatoren vom American Store, Stefan Klein und Deniz Sarpkaya (3. und 4. von links), kurz vor der Eröffnung der Pop-up-Academy mit Vertretern von Handel und Stadt.
Foto: Claudia Reicherter

Hebt der Welt-Raum ab wie erhofft?

Der »Welt-Raum« am Weibermarkt wird seit 14. September erschlossen. Betreibern wie Nutzern zufolge hebt das Angebot voll ab. Die Ehrenamtlichen wollten auf 160 Quadratmetern einen Treffpunkt für Menschen unterschiedlichster Herkunft einrichten, einen Ort, an dem Gemeinschaft mehr zählt als alles andere, mit kleinen Events im gemütlichen Retro-Ambiente. Das klappt wunderbar, berichtet Markus Brandstetter von den 3 Musketieren. Das Angebot werde »genauso angenommen wie vorgesehen«. Freitags ist Party, organisiert von jüngeren Mitgliedern. Es gibt kostenlosen Tee und Kaffee, dazu günstige Getränke und Spiele. »Zwei ganz tolle Buchvorstellungen« habe es gegeben, berichtet Brandstetter, die VHS hielt in den Räumen einen Workshop ab und er erhalte positive Rückmeldungen von allen möglichen Institutionen. Die Inhaberin des Vis-à-vis, selbst Mitglied im Verein, sehe das Angebot nicht als Konkurrenz zur Gastronomie, sondern als Bereicherung, erzählt er. Vielleicht habe man da gar einen Trend gesetzt. »Am besten gefällt uns die Mischung aus Alt und Jung.« Das ergebe genau das Miteinander, das dem Verein vorschwebte. Einchecken in dieser »besonderen Café-Bar« ist Donnerstag/Freitag 19 bis 23, Samstag bis 24 Uhr möglich.

Bereit für den Ansturm vor der Eröffnung ihres Welt-Raums: Sven Weber (von links), Markus Brandstetter und Erdem Türk.
Bereit für den Ansturm vor der Eröffnung ihres Welt-Raums: Sven Weber (von links), Markus Brandstetter und Erdem Türk. Foto: Norbert Leister
Bereit für den Ansturm vor der Eröffnung ihres Welt-Raums: Sven Weber (von links), Markus Brandstetter und Erdem Türk.
Foto: Norbert Leister

Was sagt die Stadt dazu?

Die Stadtverwaltung gibt bezüglich eines Zwischennutzungs-Zwischenstands auf Nachfrage bekannt: "Die Leerstände sind aufgrund der befristeten Laufzeit der ZIZ-Fördermittel bis zum 31.12.2024 angemietet
und auch bis zu diesem Zeitpunkt an die Zwischennutzer untervermietet. Mitte November werden wir mit den Zwischennutzern ein Fazit ziehen, wie die Angebote angenommen wurden." Ziel der Stadt als auch der Vermieter sei es weiterhin, die Flächen wieder dauerhaft zu vermieten. Fördermittel jedoch gebe es "wenn überhaupt nur für temporäre Zwischennutzungen, um der Leerstandsproblematik vorübergehend entgegenzuwirken".

Wie geht es weiter?

Netzwerk Kultur hat ganz klar die Hoffnung, dass das Projekt weitergeführt wird. Der Verein wünscht sich schon lange einen festen Standort in der Stadt. Der interimsmäßig neu geschaffene Kulturort W 109 ist zwar klein, aber von der Lage und Ausstattung her geeignet für einige der angestrebten Angebote: Ausstellungen, Konzerte, Workshops, Begegnung. Die Initiatoren der Pop-up-Academy äußern sich bezüglich der jetzigen Adresse für ihr Konzept zurückhaltender: Stefan Klein sieht das Angebot an Textilien in der nahen Wilhelm- und Katharinenstraße ausreichend abgedeckt. Für das etwas zurückgesetzte Ladengeschäft bräuchte es eher einen Spezialisten, der sonst in der Stadt und Region nicht zu finden ist, meint er. Für Nischen verschiedener junger Designer aus der Region, wie es den Initiatoren für den Kaufhof vorschwebte, ist der Laden zu klein, für Events fehlt es an Infrastruktur, und um sich zu etablieren ist die Laufzeit zu kurz. »Wir starten ab Donnerstag wieder mit unserem American Store Konzept, allerdings in abgewandelter Form mit mehr Preisoffensive«, teilt er mit. Wie die Mode-Händler spürten auch die Welt-Raum-Macher zuletzt personell ihre Grenzen. Der nebenberufliche Einsatz strenge an, erklärt Brandstetter von den 3 Musketieren, vor allem die älteren Aktiven. Und: »Mit den Nachbarn müssen wir etwas aufpassen«, sagt der Vorsitzende und hauptamtliche Geschäftsführer des Hilfsvereins. Aber vom Zuspruch und von den Rückmeldungen her ist er überwältigt.

Gibt es ein Folge-Förderprogramm?

Grundsätzlich hängt die Frage, ob diese drei Projekte längerfristig die Stadt aufwerten, am Erfolg und am Geld. Man halte »Ausschau nach geeigneten Förderprogrammen«, erklärt die Stadt. Momentan gebe es aber keines, »das Zwischennutzungen in Leerständen über den 31. Dezember 2024 hinaus fördert«. (GEA)