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»Circus Rudolf Renz« in Reutlingen: Wie Artisten und Tiere leben

In der Reutlinger Manege des »Circus Rudolf Renz« glänzt Artistin Monika Varga noch bis zum Pfingstmontag jeden Tag im Scheinwerferlicht. Wenn sie Seifenblasen tanzen lässt, klatscht das Publikum begeistert. Doch wie lustig ist das Zirkusleben jenseits der Vorstellung?

Artistin Monika Varga spielt in der Manege kunstvoll mit Seifenblasen, in ihrer Freizeit gerne mit den Hunden Akiles und Bogyo.
Artistin Monika Varga spielt in der Manege kunstvoll mit Seifenblasen, in ihrer Freizeit gerne mit den Hunden Akiles und Bogyo. Foto: Stephan Zenke
Artistin Monika Varga spielt in der Manege kunstvoll mit Seifenblasen, in ihrer Freizeit gerne mit den Hunden Akiles und Bogyo.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Kaum wiederzuerkennen ist die junge Frau vor dem Wohnwagen, der jetzt auf den Bösmannsäckern in Reutlingen steht. Das blinkende Paillettenkostüm hat sie gegen Jeans und Sweatshirt getauscht, das Gesicht ist ungeschminkt und ohne angeklebte Wimpern. Entspannt spielt sie mit ihren Hunden Akiles und Bogyo, und beantwortet die Frage, wie lustig denn das Artistenleben wirklich ist, zunächst mit einem Lächeln. Nach kurzer Denkpause meint die 35 Jahre junge Ungarin dann: »Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Haus zu wohnen«. Seit Jahrzehnten ist ihr Leben eine Reise, und das rollende Haus ihr Zuhause. »Sie haben keine Ahnung, was alles in einen Wohnwagen passt«, meint sie, »ich vermisse nichts«. Stattdessen habe sie in all den Jahren unterwegs viel gewonnen.

Die Freiheit zu wählen

»Freiheit! Ich kann wählen, wo ich arbeite, und was ich mache«, erklärt Monika Varga. Der Arbeitsmarkt für Artisten sei global. Ruhm und Reichtum sind dabei nicht der Hauptgewinn, sondern nach ihren Worten das bereichernde Kennenlernen anderer Menschen und Kulturen. »Wissen Sie, ich habe Toleranz gelernt. Ich bin Weltbürgerin«, sagt die junge Frau. Geboren in Ungarn, unterwegs seit sie 15 Jahre jung ist, mittlerweile verheiratet mit dem Brasilianer Hoctales Varga, der in der Manage als Clown für Vergnügen sorgt. Wenn die Vorstellung vorbei ist, gibt's dennoch mehr als genug zu tun.

Hoctales bastelt im Werkstattwagen an einer Requisite herum. Seine Frau Monika fertigt aus Stoff und Leder und Draht und viel Liebe Kostüme für Tänzerinnen und Showgirls: Filigrane Haarreifen mit glänzenden Steinen, absolut freizügige Büstenhalter und vieles mehr. »Das Zirkusleben ist ein 24-Stunden-Job, der kein Beruf, sondern Berufung ist«, beschreibt es Zirkusdirektor Rudolf Renz, den alle nur »Rocky« nennen in seinem mobilen Heim in Sichtweite. Der Direktor bewohnt mit seiner Frau Jaqueline Traber und dem knapp ein Jahr jungem Töchterchen Jayda Aline einen knapp sieben Meter kurzen Wohnwagen. Andere Direktoren in der ortsansässigen Wirtschaft mögen eine Villa mit Garten ihr Eigen nennen - Renz reicht das.

Direktor auf Rädern

»Da wo der Zirkus ist, da sind wir zu Hause«, stellt Rudolf Renz fest. Das bedeutet in der Saison von März bis Oktober unterwegs zu sein. Heute hier, übermorgen da, ohne Urlaub oder freies Wochenende. »Wir kennen es nicht anders. Wir lieben es eigentlich auch, aber es ist hart«, so Renz. Die Nachteile des Nomadenlebens sind dabei keinesfalls mangelnder Komfort im Zirkusdorf. Die sechs Wohnwagen auf den Bösmannsäckern sind modern und sauber, es gibt Wasser und Strom sowie einen Sanitärwagen mit Duschen und Waschmaschine. Aber der Platz ist begrenzt.

Selbst beim Direktor ist der ganze Wagen ein einziger Raum. Links die Sitzecke mit beige bezogener Bank und Tisch, der gleichzeitig Esstisch ist. In der Mitte die Küche mit Miniaturofen, gegenüber die Duschkabine und ganz hinten links dann Schlafzimmer und Kinderzimmer in einem. »Einen Rückzugsraum gibt's hier drin nicht, aber wir sind mehr draußen, haben einen langen Arbeitstag«, meint Rudolf Renz. In jeder Stadt ist immer etwa zu organisieren oder abzuarbeiten: Plakatieren, Flyer verteilen, die Versorgung sicherstellen, Futter für die Tiere holen, oder mit ihnen trainieren.

»Unseren Tieren geht es gut«

Ein kurzer Rundgang zu den Zelten und Gehegen, in denen die wenigen Tiere des Circus Rudolf Renz hell und luftig untergebracht sind. Bei dem kleinen Familienunternehmen treten neben Araber-Hengsten einige Lamas und Altweltkamele auf. Die Tiere stammen alle aus deutscher Zucht. Immer wieder werfen Tierschützer den Zirkusunternehmen mangelhafte Haltungsbedingungen sowie von Gewalt und Zwang geprägte Dressuren vor. Die Tiere auf den Bösmannsäckern sehen allerdings weder verängstigt noch unter widrigen Bedingungen leidend aus. Ganz im Gegenteil lassen sich die Kamele sofort und gerne auf ein kleines Schnupperspielchen mit den Besuchern ein. Und was sagt der Chef zur Kritik mancher Tierschützer? »Unseren Tieren geht es gut«, betont Rudolf Renz, wovon sich jeder gerne jederzeit überzeugen könne.

Er selbst und seine kleine Artistenfamilie machen jedenfalls einen überzeugenden Eindruck zufrieden zu sein mit ihrem Leben. Dabei wird der 35-jährige Zirkusdirektor fast schon philosophisch. »Man kann nur vermissen, was man kennt. Ich bin im Zirkus geboren, wie meine Eltern und deren Eltern. Ich vermisse nichts«, meint Renz. Auf das Thema Geld angesprochen bezieht er vor den riesigen bunten Malereien links und rechts vom Kassenhäuschen klar Stellung. »Schauen Sie, diese Bilder kosten viel, aber ich wollte sie. Man kann nicht reich werden, weil man hat ja einen Zirkus-Tick. Wenn man mal mehr verdient, will man das gleich wieder investieren. Zirkus ist finanziell ein Faß ohne Boden«. (GEA)

www.circus-rudolf-renz.de