REUTLINGEN. Bereits im Mai ist der pensionierte Richter Werner Heinrich vom Reutlinger Amtsgericht wegen Volksverhetzung und Beleidigung verurteilt worden: 60 Tagessätze à 130 Euro lautete damals das Urteil. Gegen das sowohl der 80-jährige Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung einlegten.
So stand die nächste Verhandlungsrunde vor dem Tübinger Landgericht an: Mehr als fünf Stunden zog sie sich am Dienstag hin, denn der ganze Fall musste nochmals komplett verhandelt werden. Zum einen hatte der Angeklagte eine Mail an einen großen Verteiler versendet, in der er ein Gedicht eines gewissen »Rainers« zitierte und zustimmend kommentierte. In diesem wird Wirtschaftsminister Robert Habeck mehrfach als »Vollidiot« betitelt, der nichts könne und am Ende wird er gar mit »Hundekot« verglichen.
Ein Sachverhalt, den der Richter a.D. keineswegs bestritt: »Ich bin der Meinung, dass man das darf. Ich muss mir doch nicht schweigend anschauen, wie unser Land kaputt gemacht wird.« Als Zerstörer Deutschlands hat er dabei vor allem die Grünen ausgemacht, allerdings habe alles mit der Kanzlerin Angela Merkel angefangen. »Meine Ansichten sind radikal richtig, aber sie sind nicht radikal«, betonte er. Die Verbreitung des Gedichts werde von der Meinungsfreiheit gedeckt, immer wieder zeigte er Unverständnis darüber, dass deshalb gegen ihn verhandelt werde. Also: Die Mail stammt von ihm, aber es sei keine Beleidigung.
Angeklagter bestreitet, dass der Text von ihm stammt
Anders sah es hingegen beim Anklagepunkt der Volksverhetzung aus: Am 3. Januar 2023 erschien auf Heinrichs Facebook-Account ein Post, der gegen Ausländer und Flüchtlinge hetzte. Von »Abschaum, Vergewaltigern, Arabern, Negern und Sozialschmarotzern« war da unter anderem die Rede. »Das ist Dreck«, erklärte der Richter, auch er werte dies als Volksverhetzung. Wer ihn kenne, dem müsse klar sein, dass dies nicht von ihm stamme. »Ich habe das nicht geschrieben«, erklärte er ein ums andere Mal. Sein Account sei gehackt worden, »eine Person« habe ihm etwas untergejubelt. Der Zeuge, ein Polizeibeamter, konnte nicht endgültig ausschließen, dass der Account gehackt wurde. Allerdings lässt sich dies nicht mehr nachweisen, da Facebook die Daten nur über einen kurzen Zeitraum speichert.
Wenig Glaube schenkte Staatsanwalt Fauser dieser »absurden Theorie«, wie er sie nannte. Morgens um 6 Uhr war der Angeklagte an diesem Tag schon online und veröffentlichte einen Beitrag. Die Vorkommnisse der Neujahrsnacht 2023, in der zahlreiche Hilfskräfte angegriffen wurden, hätten ihm den Schlaf geraubt, blickte der Ex-Richter zurück. Zwei Stunden später sollte dann der angebliche Hacker den volkskverhetzenden Post in seinem Account abgesetzt haben. Er habe erst davon erfahren, als Facebook ihn darauf aufmerksam gemacht habe. Ob der Hacker den Account, wie sonst oft üblich, komplett übernommen habe oder nochmals aktiv geworden sei? fragte Fauser nach - der Angeklagte verneinte.
Im Gerichtssaal
Richterin: Sabine Altemeier, Schöffen: Doris Müller und Wolfgang Schütz, Staatsanwalt: Dr. Florian Fauser, psychiatrischer Gutachter: Dr. Hubertus Friederich.
»Glauben Sie mir, wenn ich es gewesen wäre, würde ich es zugeben. Ich bin authentisch. Es kann nicht sein, dass ich hier verurteilt werde«, wandte er sich in seinem Schlusswort ans Gericht. Es gelte der Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten«. Der psychiatrische Gutachter Dr. Hubertus Friederich betonte, dass der Angeklagte voll schuldfähig sei, zwar beharre er hartnäckig auf seinen Rechten, aber es liege keine pathologische Relevanz vor.
Richter Fauser forderte erneut 70 Tagessätze, der Angeklagte einen Freispruch. Das Gericht folgte dem Reutlinger Urteil: 60 Tagessätze à 130 Euro muss der Angeklagte bezahlen und die Verhandlungskosten übernehmen. Man dürfe sagen, was man denkt, betonte Richterin Sabine Altmeier, aber nicht eine Person pauschal verunglimpfen, wie es im Falle Habecks geschehen sei. Und was die Volksverhetzung angehe, sei das Gericht überzeugt, dass dieser Post vom Angeklagten stamme. (GEA)