REUTLINGEN. Seit 70 Jahren gibt es in Reutlingen das Kino an der Planie. Am 4. Dezember 1954 als »Planie-Lichtspiele« von Willi Creutz an der Ecke Garten-/Beutterstraße gegründet, hat es sieben Jahrzehnte, acht Umbauten, zehn Kinoschließungen drumherum in der Stadt und mehrere Namensänderungen überstanden. Heute ist es als »Cineplex Planie« bekannt - und steht spätestens nach dem nächsten anstehenden Umbau noch immer für modernste Technik. Die Investition von rund einer Million Euro »soll der Sache hier nochmal einen Schub geben«, sagt Willis Sohn Rolf Creutz. Denn die Besucherzahlen der Vor-Coronazeit habe das einzige verbliebene kommerzielle Kino in Reutlingen noch nicht wieder erreicht.
Rolf Creutz ist der Mann, der die Geschicke des »Planie« die ganzen 70 Jahre hindurch entscheidend geprägt hat. Sein Vater hatte nach der damals von Johannes Kalbfell geführten »Bundeshalle« (gegründet 1896) in der Kaiserstraße, den aus dem Kinematographentheater im Gasthaus »Falken« (1911) entstandenen »Kammerlichtspielen« in der Katharinenstraße und Walter Gassmanns »Olympia« am Federnseeplatz (1936) 1954 nach nur 90 Tagen Bauzeit das vierte Lichtspielhaus der Stadt aus der Taufe gehoben. Im Grunde hatte er das von Anfang an für seinen damals 19-jährigen Sohn getan. Denn der Enkel von Wafios-Gründer Ernst Wagner konnte sich einfach nicht vorstellen, wie vom Großvater vorgesehen nach dem kaufmännischen Studium in Tübingen und Horb in der Maschinenbaufirma einzusteigen. »Maschinen kapier' ich gar nicht«, sagt er und lacht. Vom Kinogeschäft versteht er dafür umso mehr.
Im Gespräch mit dem GEA blickt Rolf Creutz zurück: auf Lehrjahre, Lieblingsfilme, Investitionen, aus denen schließlich ein kleines Imperium im gesamten süddeutschen Raum erwuchs, aber auch auf Ärger mit Bauverhinderern und Bürokraten. Dazu kamen zum Teil erstaunliche Begegnungen mit illustren Persönlichkeiten: Hans Albers, Federico Fellini und Klaus Kinski etwa. Kurz nach den Feiern zum 70. Jahrestag der Planie-Kino-Eröffnung (siehe Box) feiert der gebürtige Ulmer, der nach wie vor seinen Stammtisch besucht und das Stadt- wie Weltgeschehen mit interessiertem, hellwachem Geist verfolgt, am 11. Dezember seinen 90. Geburtstag.
»Man muss ein Kinoverrückter sein und braucht Nerven wie Stahl«
Nach der Eröffnung des »Planie« - damals noch ohne das berühmte Fassadenbild des Künstlers Lothar Quinte (1923-2000) neben dem Namenszug am Dachaufbau - hatte ihn Vater Willi erstmal drei Jahre lang in den Semesterferien nach London geschickt. Dort sollte er als Angestellter im deutschen Theater der Odeon-Kette bei den größten und fortschrittlichsten Kinobetreibern lernen - und spielte nebenbei in Wimbledon so manches Tennis-Doppel mit dem Neffen der Königin, dem Herzog von Kent. »In England hab ich eins gelernt: dass man nur in der Masse stark ist.« Zum Beispiel, um sich gegen Verleiher-Forderungen durchzusetzen.

Schon bevor Willi Creutz - ein Textiler, der unter anderem in Ulm ein Kaufhaus betrieb, und sich dem Sohn zufolge allenfalls für Heimatfilme interessierte - im Alter von 59 Jahren einem Herzinfarkt erlag, hat Rolf Creutz das Planie geführt. »Mein Vater hat mich ganz schlecht entlohnt«, sinniert er schmunzelnd. Aber die Leidenschaft für die bewegten Bilder ließ ihn weitermachen. »Man muss dazu schon ein Kino-Verrückter sein«, sagt er heute.
Das erste Mal im Kino war Rolf Creutz als Sechsjähriger, damals noch in Ulm. Mit seiner Mutter besuchte er eine Wochenschau, »das war natürlich 'ne Nazi-Wochenschau damals«. Und Märchenfilme. Der Opa habe ihm dazu immer mal zehn Mark zugesteckt. So war er früh »gepolt auf Kino«.
»Am meisten interessieren ihn Filme, von denen er nichts hält, die aber super laufen«
Nachdem die Stadt an der Donau im Zweiten Weltkrieg bombardiert worden war, zog die Familie zurück nach Reutlingen. Auch da erlebte er drei Bombennächte und einen Artillerieangriff. »Die Stadt war platt vom Wafios bis zur AOK.« Das sollte »die Kriegshetzerin Strack-Zimmermann mal erleben«, meint er. Da würde die Europapolitikerin eventuell umdenken. Er jedenfalls vergisst das Rauschen am Himmel bis zum Einschlag sein Leben lang nicht mehr.
Unmengen Filme hat er seitdem gesehen. Seine Lieblingsfilme sind bis heute aus den 1940er Jahren »Quax, der Bruchpilot« oder »Die Feuerzangenbowle« mit Heinz Rühmann, »Ich denke oft an Piroschka« mit Lilo Pulver aus den 50ern und später »Crocodile Dundee«. Unter neueren Produktionen beeindruckt ihn »Avatar« - wegen der »technischen Vollendung«.
Erstaunlich findet Christos Haag, seit mehr als 40 Jahren Creutz' Assistent und heute Theaterleiter des Reutlinger Cineplex Planie, dass sein Chef und Mentor gerade immer diejenigen Filme anschauen wollte, »von denen er nichts hielt, die aber super liefen«. Dem wollte Creutz auf den Grund gehen. »Gladiator« etwa musste im Jahr 2000 einfach floppen: »Was wollen wir mit Kämpfen in der Arena, wir haben doch richtige Kämpfe bei uns«, sagte er damals. Dann heimste der Sandalenfilm fünf Oscars ein und war Besuchermagnet. Beim »Schuh des Manitu« fragte er nur »Bully? Wer ist Bully?«
»Die Kinos sterben schon seit Jahrzehnten - und sterben doch nicht«
»Wahnsinnig viel Geld« habe die Familie im Verlauf der vergangenen 70 Jahre in die Unterhaltungsbetriebe gesteckt. Zu den besten Zeiten umfassten die bis zu 60 Kinos. Von Reutlingen expandierte Creutz nach Tailfingen und Metzingen von 1968 an auch nach Ulm. Bamberg, Nürnberg, Ludwigsburg, Stuttgart und Sigmaringen folgten. Über ganz Süddeutschland bis ins Allgäu und nach Franken waren seine Film-Casinos, Film-Bars und Discos schließlich verteilt. Selbst Abschreibungsobjekte warfen zum Missfallen des Steuerberaters Gewinne ab. 1980 eröffnete er in Reutlingen mit dem »Smoky« das erste Raucherkino. 1982 nahm er Kurt Rabe in die Unternehmensführung der Kette der »Planie Filmtheaterbetriebe GmbH« auf.
Immer wieder wurden Kinos totgesagt, doch weder Videos noch Streaming konnten den Zauber gemeinschaftlichen Filmeschauens ablösen. »Die Kinos sterben schon seit Jahrzehnten«, sagt Rolf Creutz, »und sterben doch nicht.« Um zu überleben, haben er, Rabe und Haag im Planie wiederholt kräftig investiert. Zuletzt wurde der Bau am Burgplatz 1995 behindertengerecht ausgebaut und 2002 um zwei weitere Kinosäle in einem 120-Tonnen-Stahlkoloss auf dem Dach aufgestockt - für an die vier Millionen Euro. Trotzdem sagt der Grandseigneur der Reutlinger Lichtspielbetriebe, der immer wieder mit Filmtheaterpreisen für besondere Kinder- und Jugendprogramme und 2009 zum 75. schließlich mit der Staufermedaille ausgezeichnet wurde: »Ich würde heute hier kein Kino mehr bauen.«

Egal unter welchem oder welcher OB: »Die Verwaltung ist fleißig dabei, uns auch zu verärgern«, sagt er. Baurechtsämter überhäuften sie »mit Auflagen bis an die Decke« und »Berechtigungen, die alle Geld kosten«. Der Seniorchef stöhnt über »Bürokratismus pur«. Dass es immer weniger zentrumsnahe Parkplätze gibt, sieht er als zentrales Problem. Weder die Geschäfte noch das neben dem genossenschaftlich betriebenen Kamino einzige verbleibende Kino der Stadt könnten »von den Einwohnern der Innenstadt allein überleben«.
Sein Leben fürs Kino bot aber auch reichlich Stoff für Anekdoten: Bei einer Premierenfeier traf Rolf Creutz im Münchner Gloria-Palast einst den italienischen Autorenfilmer Federico Fellini (1920-1993) - "das war'n dicker Genießer". Schlagersängerin Lena Valaitis hat er für eine Bravo-Serie seinen domestizierten Affen ausgeliehen. Hans Albers erwies sich als "ganz volksnaher Schauspieler", Ilja Richter als "Komiker, der wirklich Humor hatte, und "der, der immer den Irren gespielt hat", Klaus Kinski, überraschte ihn einst in Ulm, als er sich darüber freute, dass er vom Publikum ausgepfiffen wurde. "Das ist eine Anerkennung meiner Leistung" habe er gesagt. (GEA)