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50 Jahre BUND Reutlingen: Vom autofreien Marktplatz bis zum Atomkraftwerk

Der Kreisverband Reutlingen / Bund für Umweltschutz blickt bei einer Feier im Spitalhof auf fünf Jahrzehnte ehrenamtlicher Arbeit zurück. Auch ein 1974 geplantes Atomkraftwerk in Mittelstadt steht auf der langen Liste vergangener Herausforderungen.

Der BUND Kreisverband Reutlingen feiert 50-jähriges Bestehen.
Der BUND Kreisverband Reutlingen feiert 50-jähriges Bestehen. Foto: Frank Pieth
Der BUND Kreisverband Reutlingen feiert 50-jähriges Bestehen.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. In Zeiten von Greenpeace, Viva con Agua oder Fridays for Future ist das Bewusstsein für den Natur-, Klima-, und Tierschutz so groß wie noch nie. Das war allerdings nicht immer so und hat nebst einer ganzen Menge Zeit vor allem Mühen in Anspruch genommen, weiß Reinhard Beneken, der heutige Vorsitzende des BUND Kreisverbands Reutlingen. Der Verein feierte jüngst 50-jähriges Bestehen. Mit von der Partie: Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn, Landrat Dr. Ulrich Fiedler und die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch.

Angefangen hat alles in den frühen 1970er-Jahren – genauer gesagt 1972. Damals trafen sich besorgte und gleichermaßen engagierte Bürger erstmals zum direkten, persönlichen Austausch. Einen konkreten Grund zur Gründung eines Naturschutz-Vereins habe es nicht gegeben. Es sei vielmehr einem damals zunehmenden, allgemeinen Bewusstsein für die Gefahren für Natur und Umwelt geschuldet, dass es den BUND Kreisverband Reutlingen heute gibt. Der »AG«, wie die kleine Gemeinschaft sich zu Anfangs noch bezeichnete, brannte es unter den Nägeln. Schließlich gab es viel zu tun und viel zu verändern.

Umstände, die heute selbstverständlich sind

Beginnend mit der Verkehrssituation in Reutlingen. Eine Ausdehnung der Fußgängerzone über die bereits für den Durchgangsverkehr gesperrte Wilhelmstraße hinaus erschien dringend notwendig, die AG forderte also einen autofreien Marktplatz. Hierfür mobilisierte die kleine Gruppe »all ihre Kräfte«, wie es in ihrem Jubiläumsbüchlein heißt, und machte sich auf zu diversen Protestveranstaltungen. Heute sind der autofreie Marktplatz und die angrenzenden Fußgängerzonen für die Reutlinger eine Selbstverständlichkeit. Seinerzeit musste dies von den Umweltschützern hart erkämpft werden.

Mit ihrer offiziellen Gründung 1974, zum Bund für Umweltschutz (BfU), wurde es für die Aktivisten nicht einfacher – im Gegenteil. Viele Reutlinger Bürger wissen bis heute nicht, dass sie beinahe ein riesiges Atomkraftwerk (AKW) zum Nachbarn gehabt hätten. Denn Mittelstadt war einer von 41 möglichen Standorten, die die Regierung von Hans Filbinger in Baden-Württemberg als möglichen AKW-Bauplatz prüfte. Dies sorgte für Furore und hielt neben dem BfU auch die Stadt und die Gemeinden ordentlich auf Trab.

Ein Kampf, der langen Atem erforderte

»Mit einem Projekt, dessen gesellschaftspolitische Problematik mindestens so kompliziert und vielschichtig ist wie seine technischen und physikalischen Zusammenhänge, haben sich Mittelstadts Bürger und mit ihnen die Bevölkerung der ganzen Umgebung auseinanderzusetzen«, hieß es damals in der Zeitung. Frühestes bis 1980 sollte auf der Gemeindemarkung zwischen Mittelstadt und Riederich ein Kernkraftwerk entstehen, in dem die Befürworter einen Ausweg aus der zunehmenden Energieversorgungskrise sahen. Doch die Stimmen gegen einen solchen Bau wurden immer lauter.

Die Vorstellung eines Atomkraftwerks in der Nachbarschaft missfiel vielen Bürgern.
Die Vorstellung eines Atomkraftwerks in der Nachbarschaft missfiel vielen Bürgern. Foto: Henry Gebauer
Die Vorstellung eines Atomkraftwerks in der Nachbarschaft missfiel vielen Bürgern.
Foto: Henry Gebauer

Ein Banner mit dem Schriftzug »Harrisburg, Tschernobyl, Mittelstadt« ist auf einem alten Bild einer Demonstration zu erkennen, mit denen die Atomkraftgegner ab 1975 auf die Straße gingen. Unter anderem »aus Angst vor möglichen Folgen von Kraftwerkunfällen« und der generellen »Aussonderung radioaktiver Stoffe« setzten sich die Umweltschutzvereine – von Reutlingen über Tübingen bis Metzingen – aktiv gegen den Standort in Mittelstadt ein. Doch viele Jahre der Unsicherheit folgten. Und das, obwohl Mittelstadt sowie die umliegenden Gemeinden den Standort für ein Kernkraftwerk recht zügig entschieden ablehnten. Dem schlossen sich auch der Reutlinger Kreistag sowie der Gemeinderat der Stadt an. Letzterer forderte die Landesregierung bereits um 1977 dazu auf, den Plan aufzugeben. Doch erst zehn Jahre später war der Bau offiziell vom Tisch.

BUND rettet Tiere

»Mit Schreiben vom 23. Dezember teilte das Staatsministerium Baden-Württemberg dem damaligen Reutlinger Oberbürgermeister Dr. Manfred Öchsle mit, dass der bisher im fachlichen Entwicklungsplan vorgesehene Standort Reutlingen-Mittelstadt hinfällig geworden ist«, so die damalige Berichterstattung. Grund dafür sei ein Energiegutachten über die Möglichkeiten einer Umstrukturierung der Energieversorgung in Baden-Württemberg gewesen, in dessen Konsequenz die Landesregierung den gesamten Plan über künftige Standorte (darunter auch Öpfingen im Alb-Donau Kreis oder Lauffen im Landkreis Heilbronn) aufhob.

Viele nervenaufreibende Projekte hat der Naturschutzbund Reutlingen in 50 Jahren Vereinsgeschichte also angegangen. Unterkriegen lassen, das hat die Gruppe sich nie. Neben dem »intensiven« Mitwirken rund um die Verhinderung des AKWs, so beschreiben es die Mitglieder, haben die Ehrenamtlichen noch einiges mehr erreicht. Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn hob hierbei insbesondere der Amphibienschutz, in dessen Rahmen sich der BUND Reutlingen seit 1990 um das Überleben von Fröschen, Kröten und Molchen bemüht, hervor. »Durch ihr Ehrenamt haben Sie vielen Tieren das Leben gerettet. Und das werden Sie in den nächsten 50 Jahren sicherlich auch tun«, sagte Hahn lobend. Landrat Fiedler ergänzte wenig später: »Bei der Freigabe der neuen Gönninger Steige letzte Woche, ist der Amphibienschutz bereits fest installiert worden«. Dieses »Aufnehmen in die Bau-Richtlinien« sei ein gutes Beispiel für die Entwicklung, die die Arbeit der Ehrenamtlichen seit ihrer Gründung zurückgelegt habe. Diese Arbeit war durchaus »hartnäckig, nachhaltig und Bewusstseins-weckend.« (GEA)