KARLSRUHE. »Stromausfall kann in Unternehmen schon ab der ersten Sekunde großen Schaden verursachen.« Klaus Eder, Chef der Stadtwerke Ulm ist bewusst, dass sein Unternehmen eine große Verantwortung trägt. »In immer mehr Betrieben spielen Digitalisierung und Leistungselektronik eine wesentliche Rolle. Die Systeme seien auf eine konstant zuverlässige Stromversorgung angewiesen«, erläutert er. Das gilt gerade für Ulm, wo sich immer mehr Hightech-Unternehmen aus den Bereichen Raumfahrt, Quantencomputing, Biotechnologie und KI ansiedeln. Stromausfälle kommen in Deutschland zwar im Schnitt nur alle zwei bis drei Jahre vor. Doch dann fällt die Versorgung statistisch gesehen über 54 Minuten aus. Passiert es nachts, kriege man manchmal gar nichts mit, räumt Martin Konermann, Geschäftsführer Technik des Netzbetreibers Netze BW ein.
Mit solchen Unterbrechungen kommt die Wirtschaft immer weniger klar. Für die Versorger besteht also Handlungsbedarf. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) strebt deshalb ein System von »Selbstheilenden Netzen« an. Sekundenschnell sollen dank digitalisierter Systeme künftig Störungen überbrückt werden. Der Karlsruher Konzern hat jetzt einen Pilotversuch im Allgäu rund um das Umspannwerk Leutkirch gestartet. Erprobt wird eine automatisierte Teilwiederversorgung. Die Erkenntnisse sollen dann auf andere Regionen übertragen werden. »Wir erfinden uns hier ein Stück weit neu«, erläutert Dirk Güsewell, im EnBW-Vorstand verantwortlich für die Systemkritische Infrastruktur. »Dafür gibt es keine Blaupause.« Die Modernisierung gleiche einer Operation am offenen Herzen, weil das parallel zum laufenden Betrieb geschehe.
Beanspruchung der Netze wird immer komplexer
Es ist kein Zufall, dass ein großer Versorger wie die EnBW vorangeht. Rund 80 Prozent der Ausfälle gehen auf Störungen im Mittelspannungsnetz zurück, mit dem Strom in die Regionen verteilt wird. Daher setzt hier der zunächst auf zwei Jahre angesetzte Feldversuch der Konzern-Tochter Netze BW an. Für den restlichen Transport zum Endverbraucher ist das Niederspannungsnetz verantwortlich. Das ist das Feld von Stadtwerken, wie der Versorger in Ulm. Deren Chef Eder sieht sich hier im Vergleich zu den großen Versorgern im Vorteil. »Wir sind näher dran und haben unser Netz sehr engmaschig im Blick. So erkennen unsere Fachleute schon sehr früh mögliche Probleme und können eingreifen.«
Ob Konzern oder Stadtwerk: die Versorger vereint der Trend, dass die Beanspruchung der Netze immer komplexer wird. Aus einem Verbund von rund 500 Großkraftwerken wird ein System, in das 7,5 Millionen wetterabhängigen Anlagen im niedrigen Spannungsbereich einspeisen. Ohne digitalen Lösungen bis an die Kapillarenden, ist das nicht zu bewältigen. Mit den Informationen in Echtzeit können die Stadtwerke Ulm schnell Einspeisespitzen erkennen und versuchen die überschüssige Energie intelligent zu nutzen – auch zu Gunsten der Kunden. »Strom speichern mit Schweinehälften nennen wir das«, stellt Eder lachend fest und führt dann erklärend hinzu: »Wir versorgen beispielsweise einen Schlachthof mit erneuerbarem und günstigem Strom aus solchem Überschuss. Der kühlt das Fleisch dann auf 40 Grad Minus herunter«. Steigen mit der Nachfrage auch die Tarife schaltet der Schlachthof die Kühlaggregate einfach ab, bis dort wieder die Mindesttemperatur von minus 18 Grad herrscht.
Gute Chancen bei den Kommunen
"Eine Win-Win-Lösung", freut sich Eder. "Es gibt bestimmt noch viele andere Lösungen. Doch die kennen die Energieversorger vor Ort besser als wir. Gemeinsam können wir hier bedeutende Einsparpotenziale heben." Eder, der auch Vorsitzender der VKU-Landesgruppe Baden-Württemberg ist, sieht bei den Kommunen besonders gute Chancen, weil hier oft die Versorgung von Strom Wasser und Wärme von einer Hand betrieben wird. "Wir pumpen beispielsweise unsere Trinkwasser-Hochbehälter dann voll, wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. Auch die Ulmer Wärmeversorgung könnte über Wärmepumpen mit dem Stromnetz verbunden werden.
Insgesamt sieht Eder die kommunalen Betriebe gut für eventuelle Störungen aufgestellt. In der Privatwirtschaft seien die Unterschiede hingegen groß. Dabei ist nicht nur der Ulmer Schlachthof schon aus Gründen der Qualitätssicherung angehalten, den Betrieb vor Störungen abzusichern. Denkbar ist es, die Versorgung kleinerer Geräte oder auch einer Telefonanlage mit einer Insel-Solaranlage und Speicher zu sichern. Auch ein Notstromaggregat etwa mit Dieselantrieb kann hilfreich sein. Experten raten zur unterbrechungsfreien Stromversorgung beispielsweise für sensible Anlagen, Arztpraxen, Kühlketten im Lebensmittelbereich oder bei der Lagerung von Medikamenten.
Intelligenten Lösungen wie im Ulmer Schlachthof sind aus Sicht der Fachleute wichtig, damit die Versorgungsinfrastruktur mit der wachsenden Komplexität mithalten können. Doch um gewaltige Investitionen von 1,2 Billionen Euro kommen die Versorger nicht herum. »Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Umspannwerke und 60 Prozent der Leitungen im Verteilnetz ausgebaut und erweitert werden müssen«, erklärt Güsewell. Die EnBW hat das das am Beispiel von Freiburg durchgerechnet: Um Klimaneutralität zu erreichen sind 700 Millionen Euro für den Netzausbau nötig, Bei einer Stadt mit 50.000 Einwohnern wie Konstanz müssten 200 Millionen Euro investiert werden. Südwest-VKU-Chef Eder setzt deshalb hinter den ehrgeizigen Plänen der Stuttgarter Landesregierung – Klimaneutralität bis 2035 – ein Fragezeichen. (GEA)