REUTLINGEN. Am Montag erschütterte ein globales Börsenbeben das Gemüt vieler Anleger. Es nahm seinen Anfang in Japan, wo der Nikkei mit einem Minus von 12 Prozent den höchsten Verlust seit 37 Jahren verkraften musste. Auch in den USA brachen die Kurse ein. Der S&P 500 verlor 2,6 Prozent und der Technologiewerte-Index Nasdaq sogar 4 Prozent. Auch der deutsche Leitindex Dax gab um 1,8 Prozent nach. Im Lauf der Woche konnten die weltweiten Aktienmärkte einen Teil der Verluste wettmachen. Die Situation an den Märkten ist jedoch nach wie vor volatil. Was die Gründe für die Turbulenzen sind und ob sich Anleger besser von ihren Aktien trennen sollten. Ein paar grundlegende Fragen und Antworten:
Drohen weitere Kursverluste?
Wie Stefan Rondorf, Volkswirt bei Allianz Global Investors (AGI), dem Handelsblatt sagte, rechnet er mit weiteren starken Ausschlägen. »Viele Investoren wollen Risiken reduzieren. In Monaten mit schwacher Liquidität führt das zu heftigen Turbulenzen.« Er hält auch ohne Rezession in den USA Kursverluste von 15 bis 20 Prozent zu den Höchstständen im Juli für möglich. Für den Dax könne dies einen Rückschlag auf gut 15.000 Punkte bedeuten.
Joachim Schallmayer, Kapitalmarktstratege der Sparkassen Fondstochter Deka, erkennt eine überfällige Stimmungsbereinigung bei großen Technologie- und Plattformunternehmen.
Björn Jesch, Chefanlagestratege der Fondstochter DWS der Deutschen Bank, rät Anlegern zur Vorsicht. Mit einem »Bärenmarkt«, also einem Absturz von 20 Prozent zum Höchststand, rechnet er jedoch nicht.
Marcel Fratzscher vom DIW Berlin erwartet jedoch auch in den kommenden Jahren größere Korrekturen am Aktienmarkt, »da viele Unternehmen nach wie vor überbewertet sind und viele Investoren mit Spekulationen zur Blasenbildung beitragen«.
»Generell ist es sicher empfehlenswert, weder auf Turbulenzen noch auf irrationale Kurszuwächse emotional zu reagieren - Björn Jesch, Chefanlagestratege der Fondstochter DWS der Deutschen Bank«
Was sollten Anleger beachten?
Wer aussteigen möchte, um sein Vermögen zu sichern, sollte dies natürlich auch tun. Wer sich jedoch dafür entscheidet, investiert zu bleiben, sollte dann auch keine kalten Füße kriegen. Sonst besteht die Gefahr, dass man zu spät aussteigt und hohe Verluste realisiert und dann den Zeitpunkt zum Wiedereinstieg verpasst.
»Generell ist es sicher empfehlenswert, weder auf Turbulenzen noch auf irrationale Kurszuwächse emotional zu reagieren«, sagt DWS-Experte Jesch. Rondorf rät jedoch dazu, sein Portfolio nachzujustieren. Eine hohe Risikokonzentration in hochbewerteten Technologieaktien könne man gegebenenfalls abbauen, um Kursgewinne zu sichern. Deka-Experte Schallmayer rät sogar dazu, die Kursverluste zu nutzen, um neue Aktienpositionen aufzubauen.
Grundsätzlich sollte man sich fragen: Wann brauche ich mein Geld? Wie viel habe ich außerhalb der Börse angelegt? Wer sein Geld erst für den Ruhestand in zehn Jahren oder länger braucht, kann solche Turbulenzen eher aussitzen, genau wie jemand, dessen Vermögen breit aufgestellt ist.
Studien zeigen, dass sich häufiges Aus- und Einsteigen in der Regel nicht lohnen. Laut Handelsblatt liegt die Wahrscheinlichkeit, mit aktivem Handel Rendite zu erzielen bei etwa 50 Prozent. Zudem verursachen Umschichtungen des Portfolios meist Transaktionskosten, welche wiederum die Rendite schmälern.
Wie sich die Kurse der Firmen in der Region entwickelten
Auch die Kurse der regionalen Firmen bekamen dieTurbulenzen zu spüren:
Die Aktie von Curevac kostete am 31. Juli 3,49 Euro, sie fiel bis Montag um 14 Prozent auf 2,93 Euro und erholte sich bis gestern Nachmittag auf 3,05 Euro.
Die Aktie von Datagroup kostete am 31. Juli 42,00 Euro, sie fiel bis Montag um 7, 74 Prozent auf 38,75 Euro und erholte sich bis gestern Nachmittag auf 39,65 Euro.
Die Aktie von Elring Klinger kostete am 31. Juli 4,84 Euro, sie fiel bis Montag um 7,4 Prozent auf 4,48 Euro und lag gestern Nachmittag 4,35 Euro.
Die Aktie von Hugo Boss kostete am 31. Juli 36,75 Euro, sie stieg bis Montag um 4,4 Prozent auf 38,36 Euro und lag gestern Nachmittag bei 37,81 Euro.
Die Aktie von Manz kostete am 31. Juli 5,34 Euro, sie fiel bis Montag um 0,75 Prozent auf 5,30 Euro, wo der Kurs auch gestern Nachmittag stand.
Allerdings haben Manz, Hugo Boss und Elring Klinger in dem Zeitraum auch Zahlen veröffentlicht, die ebenfalls Auswirkungen auf den Kursverlauf genommen haben dürften.
Zum Vergleich die wichtigsten Indizes:
Der deutsche Leitindex Dax lag am 31. Juli bei 18.508 Punkten, er fiel bis Montag um 6,3 Prozent auf 17.339 Punkte und hat sich bis gestern Nachmittag auf 17.608 Punkte erholt.
Der US-Technologiewerteindex Nasdaq lag am 31. Juli bei 17.599 Punkten, er fiel bis Montag um 7,8 Prozent auf 16.230 Punkte und erholte sich bis gestern Nachmittag auf 17.867 Punkte.
Der japanische Leitindex Nikkei lag am 31. Juli bei 39.101 Punkten, er fiel bis Montag um fast 20 Prozent auf 31,458 Punkte und erholte sich bis gestern Nachmittag auf 34.831 Punkte. (GEA)
Welche Ursachen haben die Börsenturbulenzen?
Die Volatilität der Märkte ist derzeit einer Gemengelage verschiedener Einflussfaktoren geschuldet. So sagte Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts gegenüber dem Handelsblatt: »Das Börsenbeben verstehe ich als Reaktion auf zwei Entwicklungen: Erstens die Abkühlung des US-Arbeitsmarktes und der damit verbundenen plötzlich aufkommenden Sorge, dass es zu einem Konjunkturabschwung in den USA kommen könnte. Und zweitens wachsende Zweifel am wirtschaftlichen Potenzial der KI.«
Auch die Sorge vor einer Eskalation des Nahostkonflikts und die möglicherweise damit einhergehende Erhöhung der Rohölpreise dürfte eine - wenn auch kleinere - Rolle gespielt haben. Auch die Tatsache, dass Starinvestor Warren Buffett die Hälfte seines Bestandes an Apple-Papieren veräußert hat, durfte zur Verunsicherung beigetragen haben.

Für Stephanie Link, Chefstrategin des Vermögensverwalters Hightower, gehen hingegen 80 Prozent der Kursverluste auf sogenannte Carry-Trades zurück, die derzeit im großen Stil aufgelöst werden.
Was sind Carry-Trades?
Bei Carry-Trades leihen sich Investoren Geld in einer Währung mit niedrigen Zinsen und investieren damit in einem Währungsraum mit hohen Zinsen und erwirtschaften so durch die Zinsdifferenz eine Rendite. Beliebt bei Investoren war dank der jahrelangen Nullzinspolitik der japanischen Zentralbank der Yen. Im März wurde der Leitzins erstmals seit 17 Jahren angehoben von minus 0,1 Prozent auf eine Spanne von 0 bis plus 0,1 Prozent. Angelegt wurde das Geld dann vorzugsweise in Staatsanleihen der USA oder in solche im Euro-Raum, wo derzeit hohe Zinsen gezahlt werden. Der Leitzins der Fed beträgt im Moment zwischen 5,25 und 5,5 Prozent, der der Europäischen Zentralbank (EZB) 4,25 Prozent.
Laut dem unabhängigen Kapitalmarktanalysten Ed Yardeni seien jedoch zahlreiche Anleger dazu übergegangen, statt in relativ sichere Staatsanleihen in den Nasdaq zu investieren, was eine deutlich riskantere Strategie darstelle.
»Man kann nicht den größten Carry-Trade, den die Welt je gesehen hat, auflösen, ohne dass ein paar Köpfe rollen - Kit Juckes, Devisenstratege der Société Générale«
Nun hatte die japanische Zentralbank am 31. Juli den Leitzins erneut angehoben auf 0,25 Prozent. Dadurch stiegen die Kosten der Kredite für die Carry-Trades, während gleichzeitig die Rezessionsängste in den USA die Erwartung auf eine Zinssenkung der Fed steigerten. In der Folge wertete der Yen im Vergleich zum Dollar auf. Bis Anfang der Woche verlor der Dollar zum Yen rund 7 Prozent. So stieg also nicht nur der Zins, sondern auch der reale Wert der Kredite in Dollar umgerechnet. Aus Angst davor, dass durch diese Entwicklung die Rendite der Carry-Trades ins Negative rutschen könnte, veräußerten zahlreiche Anleger ihre Vermögenswerte in Euro und Dollar, um mit den Erlösen ihre Schulden in Yen zu tilgen. Dies wiederum führte zu einer erhöhten Nachfrage nach Yen, was wiederum zu einer Aufwertung der Währung führte - ein sich selbst verstärkender Effekt.
Und weil ein starker Yen Gift für die extrem exportabhängige japanische Wirtschaft ist, kam es zu den starken Kurseinbrüchen im Nikkei. Am Mittwoch sah sich deshalb der stellvertretende Gouverneur der japanischen Notenbank, Shinichi Uchida, genötigt zu verkünden, er sei »der Ansicht, dass die Bank die geldpolitische Lockerung mit dem derzeitigen Leitzins vorerst beibehalten muss, da die Entwicklungen auf den Finanz- und Kapitalmärkten im In- und Ausland äußerst volatil sind«. Die Bank of Japan werde ihren Leitzins nicht anheben, wenn die Finanz- und Kapitalmärkte instabil sind. Daraufhin verlor der Yen zum Dollar 2,5 Prozent. Das trug zu einer Stabilisierung der Märkte bei.
»Bank of Japan muss geldpolitische Lockerung mit dem derzeitigen Leitzins vorerst beibehalten, da die Entwicklungen auf den Finanz- und Kapitalmärkten im In- und Ausland äußerst volatil sind - Shinichi Uchida, stellvertretender Gouverneur der japanischen Notenbank«
Das Problem ist, dass niemand den genauen Umfang der Carry-Trades kennt. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass er riesig ist. So sagte Kit Juckes, Devisenstratege der Société Générale, dem Handelsblatt: »Man kann nicht den größten Carry-Trade, den die Welt je gesehen hat, auflösen, ohne dass ein paar Köpfe rollen.«
Droht den USA eine Rezession?
Angesichts der sich hartnäckig haltenden Inflation in den USA hat die Fed die Zinswende immer weiter vor sich hergeschoben. Der erste Zinsschritt ist nun für September angekündigt. Hohe Leitzinsen verteuern kreditfinanzierte Investitionen und wirken daher dämpfend auf das Wirtschaftswachstum. Bislang erwies sich die amerikanische Wirtschaft jedoch als äußerst robust angesichts der anhaltenden Hochzinsphase. Die am vergangenen Freitag überraschend stark gestiegene Arbeitslosenquote von 4,1 auf 4,3 Prozent, weckte jedoch Sorgen, die Geldpolitik könnte nun doch auf die Konjunktur durchschlagen. Doch schon am Montagnachmittag konnten positive Nachrichten aus dem Dienstleistungssektor und dem Außenhandel die Sorgen zum Teil relativieren. In der Folge erholten sich die Kurse etwas von den Rücksetzern am Montag und vergangenen Freitag.
Ist der Hype um KI überzogen?
Spätestens seit der Einführung von ChatGPT haben die Möglichkeiten von KI auch die Fantasie der breiten Masse beflügelt. Erwartungen an die nächste industrielle Revolution ließen die Investitionen in führende KI-Unternehmen ins Uferlose anwachsen. Das Potenzial der KI mag in Zukunft gewaltig sein. Doch im Moment stehen den hohen Investitionen in teure Rechenzentren zum Training der KI noch kaum renditestarke Anwendungen entgegen. Die Hoffnungen auf schnellen Reichtum erwiesen sich als überzogen, weswegen der Rücksetzer an der Börse ganz besonders die »Magnificent Seven« der US-Technologieunternehmen getroffen hat, die mit ihren astronomischen Kursgewinnen für den Großteil der vorangegangenen Börsenrallye verantwortlich waren. Besonders gebeutelt hat es den neuen Börsenstar Nvidia, der bekannt geben musste, dass sich aufgrund von Problemen mit dem Design, die neue Chipgeneration verzögern werde. Chips, die zum Anlernen von KI besonders gut geeignet sind, hatten das Unternehmen, das eigentlich für seine Grafikkarten bekannt war, zum Überflieger an der Börse gemacht.
Ein weiteres Haar in der Suppe dürfte eine Studie im Magazin Nature sein. Laut dieser scheitern Modelle, wenn sie mit Material trainiert werden, das selbst von KI generiert wurde. Was laut Handelsblatt soviel bedeutet wie, dass KI umso dümmer wird, je mehr es davon gibt.
»Die USA brauchen zusätzliche Arbeitskräfte. Die Begrenzung der produktiven Migration gemeinsam mit der Erhöhung der Zölle wäre negativ für die US-Wirtschaft und die Aktienmärkte - Christian Schwab, Leiter Portfoliomanagement bei Rothschild & Co Wealth Management«
Welchen Einfluss haben die US-Wahlen auf die Aktienmärkte?
Im November wird sich entscheiden, ob Donald Trump oder Kamala Harris ins Weiße Haus einziehen werden. Beide verfolgen eine unterschiedliche Wirtschaftspolitik. Donald Trump hat sein Wahlprogramm bereits vorgelegt. Chris Iggo, Anlagestratege bei Axa Investment Managers, sieht darin laut Handelsblatt eine »Mischung aus Protektionismus, Deregulierung, Steuersenkungen, einer wenig klimafreundlichen Energiepolitik und einem konservativen Gesellschaftsbild«.
Profitieren dürfte davon insbesondere die Öl- und Gasindustrie. Einfuhrzölle seien gut für kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Umsätze vorwiegend im Inland machen, analysiert Matthias Gentsch, Aktienexperte bei Rothschild & Co. Wealth Management. Diese profitierten besonders von Steuersenkungen und gestärkter Binnenkonjunktur. Deregulierung sei vor allem für kleine und mittlere Banken von Vorteil, die sich mit der Umsetzung der Regulierungsvorschriften deutlich schwerer tun als die Großbanken mit ihren Ressourcen. Christian Schwab, der bei Rothschild & Co Wealth Management in Deutschland das Portfoliomanagement leitet, sieht jedoch Trumps Migrationspolitik kritisch: »Die USA brauchen zusätzliche Arbeitskräfte. Die Begrenzung der produktiven Migration gemeinsam mit der Erhöhung der Zölle wäre negativ für die US-Wirtschaft und die Aktienmärkte.«
Das Programm von Kamala Harris steht noch nicht fest. Axa-Experte Iggo geht jedoch davon aus, dass sie Bidens Klimapolitik fortführen wird. Das dürfte den erneuerbaren Energien zugutekommen. Zu erwarten wäre auch, dass der Gesundheitssektor und die Krankenkassen von einem starken Sozialstaat profitieren würden. »Man sollte die Präsidentschaftswahl aber auch nicht zu hoch hängen«, meint Schwab. Schließlich seien auch die Mehrheitsverhältnisse im Kongress entscheidend. (GEA)