REUTLINGEN. Der Reutlinger Traditionsbetrieb Stoll steht vor dem Aus. Am Donnerstag haben die 270 Beschäftigten bei einer Betriebsversammlung erfahren, dass der 1873 gegründete Flachstrickmaschinenhersteller Ende Oktober 2025 geschlossen wird. So sieht es ein Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vor. In einem Sozialplan sind eine Transfergesellschaft und Abfindungsregelungen vereinbart. Dies teilten auf Nachfrage des GEA die Industrie-Gewerkschaft (IG) Metall und das Unternehmen übereinstimmend mit. Die Höhen der Abfindungen seien nach Altersgruppen gestaffelt und würden sich nach Faktoren zwischen 0,25 und 0,45 Bruttomonatsentgelten pro Beschäftigungsjahr bemessen, erklärte Kai Lamparter von der Industrie-Gewerkschaft (IG) Metall Reutlingen-Tübingen.
Betriebsratsvorsitzender Frank Wittel sagte dieser Zeitung, die 270 betroffenen Beschäftigten seien zwischen 19 und 66 Jahre alt. 150 der 270 seien über 50 Jahre alt, darunter wiederum seien 84 Personen über 58 Jahre alt. »Wir sind eine Generationenfirma, viele arbeiten hier von der Lehre bis zur Rente«, berichtete Wittel. Vor diesen Hintergründen sei der Arbeitnehmervertretung die Einrichtung einer Transfer- beziehungsweise Auffanggesellschaft sehr wichtig gewesen, in der alle unter 65-Jährigen bis zu einem Jahr verbleiben könnten. Wittel sagte: »Das bedeutet ein Jahr soziale Sicherheit und das ist auch eine Plattform für Qualifikation und Weitervermittlung.«
Signifikant im Minus
Stoll war im Jahr 2020 von der Unternehmensgruppe Karl Mayer mit Sitz in Obertshausen (nahe Offenbach/Hessen; circa 2.800 Beschäftigte weltweit) übernommen worden. Wie berichtet, ist Karl Mayer nach rückläufigen Umsätzen und Verlusten indes zuletzt in eine schwierige Situation geraten. Nach früherer Aussage von Oliver Mathews, Geschäftsführer der Karl Mayer Stoll Textilmaschinenfabrik GmbH und der Entwicklungsfirma Karl Mayer Stoll R&D GmbH (beide mit Rechtssitz in Obertshausen, aber überwiegender Geschäftsaktivität in Reutlingen), kommt ein signifikanter Anteil des negativen Gruppenergebnisses aus dem Stoll-Geschäft.
Die Folge war der im Januar bekannt gegebene Beschluss, sich vom Bereich Flachstrickmaschinen, also von Stoll in Reutlingen, zu trennen. Dies, zumal Stoll laut Mathews auch unter strukturellen Problemen wie preisgünstigen asiatischen Wettbewerbern leidet, während der Rest der Firmengruppe eher rein konjunkturelle Probleme hat. Der Geschäftsführer erklärte nun: »Es waren intensive Gespräche mit für beide Seiten schwierigen Phasen. Der Wille zu einer Einigung war aus unserer Sicht aufseiten des Betriebsrats jederzeit spürbar. Dadurch haben wir es geschafft, in kurzer Zeit die Interessen der betroffenen Mitarbeitenden und die unternehmerischen Rahmenbedingungen zusammenzubringen.«
Interessenten für Übernahme des Standorts
Die Beschäftigten hatten mehrfach gegen die drohende Schließung protestiert. Sie brachten dabei auch ihren Unmut zum Ausdruck, dass es der Karl-Mayer-Gruppe nie gelungen sei, den Flachstrickbereich profitabel in ihrem Portfolio abzubilden. Lamparter, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Reutlingen-Tübingen, kritisierte, das Unternehmen habe sich in den vergangenen Monaten einzig mit der Schließung vor allem des Betriebes in Reutlingen befasst. »Zu keiner Zeit wurden ernsthafte Anstrengungen unternommen, den Geschäftsbereich an Investoren zu verkaufen oder mittelfristige Partnerschaften, etwa mit Kunden, einzugehen, die einen Fortbestand der Produktion in Reutlingen hätten sichern können«, stellte er fest. Am Ende würden wohl die Marke und die Patente zum Verkaufsobjekt, mit dessen Erlösen sich die Karl-Mayer-Gruppe womöglich als Ersatz für den Aufwand für die Abfindungszahlungen schadlos halte.
Das Unternehmen entgegnete, es gebe Interessenten für die Übernahme des Standorts Reutlingen, »mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen«. Aufgrund der laufenden Gespräche könnten derzeit keine weiteren Details genannt werden.
Bis zum Tag der Schließung will die IG Metall weiter nach möglichen Investoren Ausschau halten. Für den Fall eines Verkaufs sei mit dem Unternehmen eine Best-/Fair-Owner-Regelung vereinbart worden. Dies solle Verhandlungen mit einem Investor über die Zukunft der Tarifbindung gewährleisten. (GEA)