REUTLINGEN. Alexander Wälde ist am 20. November als Nachfolger von Harald Herrmann für die kommenden fünf Jahre zum elften Präsidenten in der seit dem Jahr 1900 andauernden Geschichte der Handwerkskammer Reutlingen gewählt worden. Im Gespräch mit dem GEA bekennt sich der 53 Jahre alte Friseurmeister aus Freudenstadt als »Vertreter der Kleinbetriebe«. Als Ziele nennt er, die Ausbildung zu stärken, die Verknüpfung zwischen der Reutlinger Kammer und den fünf Kreishandwerkerschaften in ihrem Bezirk zu verbessern und die Digitalisierung in der Kammer voranzutreiben. Zudem blickt er auf die Bundestagswahl am 23. Februar und stellt fest: »Jeder zehnte Wahlberechtigte in Baden-Württemberg ist im Handwerk tätig. Ich hoffe, es gehen viele davon wählen.«
Mit Freude habe er die Ausbildungs-Zwischenbilanz der Kammer zum 30. November zur Kenntnis genommen, erzählt Wälde. Demnach sind im Kammerbezirk, den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb mit 107 Städten und Gemeinden, in den ersten elf Monaten dieses Jahres 1.864 neue Ausbildungsverträge unterschrieben worden – und damit 88 oder 4,95 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. »Unsere Anstrengungen der vergangenen Jahre, Fachkräfte für unsere Betriebe zu sichern, etwa mit Ausbildungsbotschaftern und Messeteilnahmen, fruchten«, sagt der Präsident. Mit der modernisierten Bildungsakademie in Tübingen habe die Kammer »eine gute Ausbildungsbasis«.
Der langjährige Freudenstädter Kreishandwerksmeister hebt hervor: »Die Kammer ist eine Art kleines Landratsamt fürs Handwerk. Aber ohne die Kreishandwerkerschaften wäre die Kammer in den Kreisen nichts.« Außer auf Kreishandwerkerschaften setzt er auf Digitalisierung: »Wir werden die Arbeitsplätze in der Kammer umgestalten und künftig mit Laptops statt mit Personal Computern arbeiten.« Davon verspreche er sich Flexibilisierung und Entlastung sowie eine bessere Verbindung zwischen der Kammerverwaltung in Reutlingen und der Bildungsakademie in Tübingen.
Gut bestelltes Haus
Wälde hat im Jahr 2001 den Friseursalon übernommen, den seine Eltern Rolf und Hortensia Wälde 1959 gegründet hatten. Der Betrieb hat vier Beschäftigte, darunter sind seine Ehefrau und Friseurmeisterin Rosa Wälde und sein Sohn und Friseurmeister Luis Wälde, 20. Das Ehepaar hat zudem zwei Töchter (Ellen, 26, und Isabella, 13).
Von den 13.800 Mitgliedsbetrieben der Handwerkskammer Reutlingen sind die Friseurbetriebe mit mehr als 1.000 die größte Gruppe und stellen nun den Präsidenten. »Wir sind viele Betriebe, haben aber im Durchschnitt nur drei Beschäftigte«, erklärt Wälde und fügt hinzu: »Als normaler Friseur lebst du okay, aber du wirst kein Porsche-Fahrer.« Arbeit in den Abend hinein und samstags gehöre zudem zum Alltag.
Alexander Wälde ist seit 1996 Mitglied der Prüfungskommission bei Friseurprüfungen. In der Friseurinnung Freudenstadt war er von 2000 bis 2006 im Vorstand, von 2006 bis 2021 stand er ihr als Obermeister vor. Seit 2008 machte er im Vorstand der Kreishandwerkerschaft Freudenstadt mit, seit 2011 war er Kreishandwerksmeister. Dieses Amt musste er nach der Kammersatzung mit seiner Wahl zum Präsidenten niederlegen. Sein bisheriger Stellvertreter Friedrich Barth (Schopfloch) hat das Amt übernommen.
Seit 2014 gehört Wälde der Vollversammlung und dem Vorstand der Handwerkskammer Reutlingen an. Von 2019 bis Herbst 2024 war er Vizepräsident. Daher ist er in der Reutlinger Kammer bekannt und in vielen Sachthemen eingearbeitet. Sein Vorgänger habe ihm ein gut bestelltes Haus hinterlassen, so Wälde: »Harald Herrmann hat das gut gemacht und sich und der Kammer ein Standing erarbeitet.« Bei einer Abschiedsfeier hat Wälde Herrmann zum Ehrenpräsidenten der Handwerkskammer Reutlingen ernannt.
Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine von 53 solcher Einrichtungen in Deutschland und von acht in Baden-Württemberg. Sie ist für die Interessenvertretung von knapp 80.000 Meistern, Gesellen und Lehrlingen zuständig. Sie führt die Handwerksrolle, organisiert Aus- und Weiterbildung, berät die Betriebe in rechtlichen, betriebswirtschaftlichen, technischen und Umweltfragen.
Treffen mit Politikern
Der neue Präsident hat sich den 100 Kammerbediensteten in Reutlingen und Tübingen unter Führung von Hauptgeschäftsführerin Christiane Nowottny inzwischen vorgestellt. »Ich will nahbar sein«, sagt er. Auch habe er erstmals an einer Präsidentenkonferenz mit den sieben weiteren Präsidenten der Handwerkskammern in Baden-Württemberg teilgenommen. Fürs neue Jahr lägen dieser Gruppe Einladungen zu Gesprächen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und mit dem CDU-Fraktions- und Landesvorsitzenden Manuel Hagel vor.
»Es ist schon eine neue Situation für mich«, gibt Wälde zu. Er habe durch das Präsidentenamt einen anderen Bekanntheitsgrad und neue Ansprechpartner und erfahre mitunter eine neue Ansprache (»Hallo, Herr Präsident«). »Ich habe viele E-Mails mit Gratulationen zu meiner Wahl bekommen«, berichtet er. Es habe aber auch besorgte Nachfragen von Kunden gegeben: »Arbeitest du noch? Kann ich noch zum Haarschnitt kommen?« Manche hätten nicht im Sinn, dass es ein Ehrenamt sei, »das nebenher läuft«.
Die frühzeitige (Online-) Buchung von Friseurterminen ermögliche eine gewisse Planung. Dennoch müssten seine Frau und sein Sohn, der nach sieben Monaten Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff im Januar in den Betrieb zurückkomme, einiges auffangen, »wenn ich fürs Handwerk unterwegs bin«. Seinen freien Montag werde er häufig fürs Ehrenamt einbringen. Was ihn nicht abgeschreckt habe, seien die 67 Kilometer Entfernung zwischen Freudenstadt und Reutlingen: »Ich fahre sehr gerne Auto und führe dabei das eine oder andere Handy-Gespräch.«
Wichtig sei nicht die persönliche Belastung für ihn, sagt Wälde. »Es gibt gerade einige Handwerker, die von der Rezession sehr betroffen sind, zum Beispiel Metallbauer und Elektriker, die als Zulieferer für die Industrie tätig sind«, erklärt er. Zudem wolle er am Ende des Tages heimkommen und weiterhin ein guter Ehemann und Papa sein. (GEA)