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Aktuell Kfz-Gewerbe

Autowerkstätten in Region Reutlingen-Tübingen sehr gut ausgelastet

Das Thema Antriebsart verunsichert Autokäufer, das Werkstattgeschäft läuft auch wegen des veralteten Fahrzeugbestands, derzeit extrem gut. Dies berichtet die Spitze der Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Reutlingen-Tübingen dem GEA.

Berichteten  über die Lage der regionalen Autohäuser (von links): Ewald Heinzelmann (Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft R
Berichteten über die Lage der regionalen Autohäuser (von links): Ewald Heinzelmann (Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Reutlingen), Tim Leibssle (stellvertretender Obermeister der Kfz-Innung Reutlingen-Tübingen), Nicole Henselek (Obermeisterin der Innung) und Peter Kurr (stellvertretender Obermeister). Foto: Pieth
Berichteten über die Lage der regionalen Autohäuser (von links): Ewald Heinzelmann (Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Reutlingen), Tim Leibssle (stellvertretender Obermeister der Kfz-Innung Reutlingen-Tübingen), Nicole Henselek (Obermeisterin der Innung) und Peter Kurr (stellvertretender Obermeister).
Foto: Pieth

REUTLINGEN. Verbrenner oder Elektrofahrzeug? »Unsere Kundschaft ist beim Thema Antrieb verunsichert«, stellt Nicole Henselek, 51, seit Frühjahr Obermeisterin der Kraftfahrzeug (Kfz)-Innung Reutlingen-Tübingen, im Gespräch mit dem GEA fest. Nach dem Wegfall der Förderprämie kurz vor Weihnachten 2023 sei auch in der Region die Nachfrage nach Elektroautos massiv zurückgegangen – »und der Verbrenner, Benziner sowie Diesel, hat Auftrieb erhalten«, erläutert die geschäftsführende Gesellschafterin des Autohauses Karl Müller (Mössingen und Rottenburg, 110 Beschäftigte). Insgesamt verschöben viele Kunden Autokäufe. Der Fahrzeugbestand altere. Davon profitiere das Werkstattgeschäft der Autohäuser.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 2,845 Millionen neue Pkw zugelassen worden. Das waren zwar 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Vor der Corona-Pandemie, im Jahr 2019, waren es indes 3,6 Millionen. Über 524.000 der 2,845 Millionen Neuzulassungen 2023 sind Elektrofahrzeuge gewesen – eine Zunahme von 11,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Nach dem Förderstopp sind die Verkäufe von E-Autos in Deutschland im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum jedoch um 16,4 Prozent eingebrochen. Die Neuzulassungen in den ersten sechs Monaten 2024 stiegen um 5,4 Prozent auf 1,472 Millionen Einheiten an und sind vor allem auf die Zunahmen bei Benzinern (plus 7,4 Prozent) und Dieselfahrzeuge (plus 8,9 Prozent) zurückzuführen.

Preise für Neufahrzeuge deutlich gestiegen

Generell sind die Preise für Neufahrzeuge deutlich gestiegen. Der Durchschnittspreis für einen neuen Pkw betrug 2019 noch 33.580 Euro. Im vergangenen Jahr lag er bei 44.630 Euro. Der 2023er-Durchschnittspreis für ein Elektroauto: 50.060 Euro.

»Es gibt die Luxusmobile. Aber es fehlen die kleineren Fahrzeuge am Markt. Die Massenhersteller kommen da erst so langsam auf den Trichter«, beklagt Peter Kurr, 65, stellvertretender Obermeister der Kfz-Innung Reutlingen-Tübingen und Mitgesellschafter des Autohauses Lichtenstein (12 Beschäftigte). Die Produktpreise seien als Folge der allgemeinen Teuerung gestiegen, aber auch aufgrund gesetzlich vorgeschriebener Ausstattungsmerkmale wie Assistenzsysteme zur Kontrolle des Reifendrucks.

»Der Preis ist sicherlich ein Thema, aber vor allem auch die Ladeinfrastruktur«, analysiert Ewald Heinzelmann, 64, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Reutlingen, die aktuelle E-Auto-Krise. Tim Leibssle, 56, wie Kurr stellvertretender Obermeister der Kfz-Innung Reutlingen-Tübingen und im Hauptberuf geschäftsführender Gesellschafter des Autohauses Leibssle (Reutlingen, 12 Beschäftigte), erfährt in seinen Kundengesprächen immer wieder eine gewisse Scheu der Kunden vor einer Umstellung: »Wie geht denn das mit dem Laden und wo?« Auch die Unsicherheit bei der Wertentwicklung von E-Fahrzeugen sei hoch.

Gebrauchtwagenmarkt hat sich normalisiert

Obermeisterin Henselek berichtet, dass etliche Kunden ihres Mercedes-Benz-Autohauses daheim die Infrastruktur vorbereitet hätten: Photovoltaikanlage auf dem Dach, Wallbox vor dem Haus. Dazu passe dann ein Elektroauto. »Es gibt aber auch den einen oder anderen, der sein Elektrofahrzeug wieder abgibt und sagt, er sei damit noch nicht klargekommen. Der geht dann wieder auf einen Verbrenner zurück.« Die Sache sei momentan sehr vielschichtig. Grundsätzlich und langfristig sei E-Mobilität für viele ein Thema und vor allem für Kurzstreckenfahrer interessant. »Doch der Verbrenner wird in naher Zukunft noch nicht sterben«, sagt Henselek.

Über zwei Drittel der Neufahrzeuge gehen an gewerbliche Käufer, also nur knapp ein Drittel an private Käufer. »Der Gebrauchtwagenmarkt hat sich nach Corona wieder normalisiert«, stellt Volvo-Händler Leibssle fest. Die Zahl der Pkw-Besitzumschreibungen in Deutschland ist 2023 gegenüber dem Vorjahr um 6,9 Prozent auf 6,03 Millionen gestiegen. Der Durchschnittspreis für einen gebrauchten Pkw lag mit 18.620 Euro um knapp ein Prozent unter dem des Vorjahres. Auch im ersten Halbjahr 2024 legten die Besitzumschreibungen um 8,6 Prozent auf 3,265 Millionen Fahrzeuge zu.

Das Pkw-Durchschnittsalter in Deutschland liegt inzwischen bei 10,3 Jahren. »Die Werkstätten sind aktuell extrem gut ausgelastet. Das stützt die regionalen Autohäuser«, formuliert Heinzelmann. Kurr vom freien Autohaus Lichtenstein bekräftigt dies: »Das Handwerk kann nicht klagen.«

Ideen der Fahrzeughersteller

Henselek betont freilich, dass der Mix aus allen Standbeinen – Neuwagenverkauf, Gebrauchtwagenverkauf und Service – wichtig sei: »Der Kunde schaut beim Kauf schon darauf, wo er sein Fahrzeug künftig warten lassen kann.« Leibssle pflichtet ihr bei: »Die Kunden sind oft dem verkaufenden Händler gegenüber loyal.«

Auch der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Heinzelmann, hebt dieses Treueverhältnis zwischen Autohäusern und ihren Kunden hervor und bemerkt dazu: »Die Fahrzeughersteller probieren einiges und wollen die Händlerverträge alle paar Jahre ändern. Ob sie sich dabei immer Gutes tun, habe ich schon immer infrage gestellt.« Dabei gehe es oft darum, den Verkauf von Fahrzeugen an den Autohäusern vorbei zu organisieren (Direktvertrieb) oder die Händler in ihren Preissetzungsfreiheiten zu begrenzen (Agenturmodelle). Leibssle sagt dazu nur: »Die Hersteller haben viele Ideen.«

Kurr ist aufgefallen, dass Fahrzeuge von Tesla bei Hauptuntersuchungen hierzulande eher schlecht abschneiden. Dies liege sicherlich an deren mangelhafter Wartung und fehlenden Werkstätten. Auch bei den neuen Wettbewerbern in Deutschland aus China stellten sich die Fragen nach Service und Ersatzteilversorgung. »Es dauert, ein Service-System zu etablieren«, weiß Kurr. Henselek fügt hinzu, dass man die neue Konkurrenz aus China wohl derzeit noch nicht so richtig einschätzen könne.

Konzentrationsprozess beim Neuwagenverkauf

Zuletzt war in der Fachpresse von einer durchschnittlichen Umsatzrendite von drei Prozent in den Autohäusern die Rede. Heinzelmann kommentiert dazu: »Das Kfz-Gewerbe hat historisch betrachtet niedrige Umsatzrenditen. Viele Kunden gehen insbesondere von falschen Vorstellungen aus, was ein Händler an einem Auto verdient.«

Die Runde der regionalen Branchenvertreter geht davon aus, dass der Konzentrationsprozess weitergehen werde. »Aber vorwiegend im Neuwagenverkauf«, sagt Heinzelmann. Die Zahl der Werkstätten dürfte eher steigen oder zumindest nicht abnehmen. »Es gibt zunehmend Autohäuser mit Serviceleistungen und Gebrauchtwagenverkauf.«

Oft sind dies Kurr zufolge Betriebe, die die Anforderungen der Hersteller nicht mehr erfüllen können oder wollen: »Dabei ist wichtig, dass freie Werkstätten den Zugang zu den Daten der Fahrzeuge erhalten.« In der Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Reutlingen-Tübingen sind derzeit über 140 Mitgliedsbetriebe vereint. »Da sind alle wichtigen Marktplayer dabei«, erklärt Heinzelmann.

Wachsamkeit beim Geschäftsmodell

Auf die Frage nach der Gesamteinschätzung zum Kfz-Gewerbe antwortet Leibssle: »Die Herausforderungen sind spannend – aber nicht bedrohlich.« Henselek weist darauf hin, dass es der Branche schon mal schlechter gegangen sei. Sie sagt: »Wir sind hervorragend aufgestellt, auch für die Elektromobilität. Wir nehmen Herausforderungen an und sind technologieoffen. Wir sind wachsam und fragen permanent: Wie müssen wir unser Geschäftsmodell anpassen?«

Die Begeisterung junger Menschen für das Automobil sei ungebrochen. Heinzelmann erzählt, das Kfz-Gewerbe in den Landkreisen Reutlingen-Tübingen mit etwa 1.800 Beschäftigten habe kontinuierlich zusätzlich 500 bis 600 Auszubildende. »In der Generation Z sind sie begeistert, wenn sie keinen Kugelschreiber mehr in die Hand nehmen müssen, sondern mit dem I-Pad unters Auto laufen«, erzählt Henselek.

Sie erinnert an die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage. Demnach ist für 81 Prozent der Bevölkerung die persönliche Mobilität mit dem eigenen Auto wichtig. »Dafür braucht man auch Autohäuser. Wir schauen optimistisch in die Zukunft«, stellt die Obermeisterin fest. (GEA)