GAMMERTINGEN. Deutschland Anfang der 50er-Jahre: Der Krieg war noch nicht lange zu Ende, die Währungsreform war gerade erst vorbei, das Land Baden-Württemberg wurde gegründet – und Gammertingen erhielt ein Progymnasium, damals noch Oberschule genannt. Angesichts der Forderung nach Bildungsgerechtigkeit und wohnortnaher schulischer Versorgung, auch der Kinder von der Alb, pochte man auf gymnasiale Bildung im ländlichen Raum. 1952 bekam Gammertingen seine Oberschule, 20 Jahre später wurde sie zum Gymnasium. 1974, vor 50 Jahren also, machte der erste Jahrgang am GymGam sein Abitur.
Fortan war für die Schüler und Schülerinnen in und um Gammertingen der Weg frei für Studium und in die weite Welt. Am Samstag kamen zwölf der 20 ersten Abiturientinnen und Abiturienten zurück an »ihre« Schule, um zu sehen, was sich in 50 Jahren am Gymnasium verändert hat. Und um GymGam-Luft zu schnuppern und sich über damals auszutauschen.
Die Ehemaligen – unter ihnen pensionierte Lehrer, Professoren, Förster, Juristen, Verwaltungsbeamte, Architekten und Wirtschaftsfachleute – waren bei der Führung mit Schulleiter Christoph Ocker überrascht, wie sich ihre alte Schule heute präsentiert. Kaum noch wiederzuerkennen, von außen und innen. »Alles so modern und so hell.«
Schülerzahl stieg enorm
Sie alle waren überzeugt: Ohne das Gymnasium Gammertingen wäre ihr Lebensweg anders verlaufen. Noch ein Jahr früher hätten sie, um das Abitur zu machen, an eines der Gymnasien in Hechingen, Sigmaringen oder Reutlingen wechseln müssen. Oder sie wären erst gar nicht auf’s Gymnasium gegangen. So wie Ruppert Flöß aus Inneringen. Er erzählte bei der Führung, dass der erste Schulleiter Dr. Erwin Brugger durch die Dörfer gereist sei, um für sein neues Gymnasium zu werben. Seinen Vater habe Brugger in der Wirtschaft erwischt und er habe ihn überzeugt, dass er seinen Sohn unbedingt auf die höhere Schule und nach Gammertingen schicken solle.
Auch Wolfgang Hailer erinnerte sich. Er sei damals mit seiner Familie von Heilbronn auf die Alb nach Mägerkingen gezogen, wo die Eltern ein Haus gekauft hatten. Wesentliche Voraussetzung für diese Entscheidung sei gewesen, dass er in Gammertinger Abitur machen konnte. »Sonst wären wir in Heilbronn geblieben.«
Damit es seinerzeit zum Ausbau des Progymnasiums zur Vollanstalt kommen konnte, brauchte es einige Voraussetzungen. Von 1952 bis 1962 waren die Schülerzahlen von 41 Kindern auf 94 gestiegen. In den folgenden zehn Jahren war dann der Anstieg enorm. 412 Schüler besuchten 1971 die Schule, jetzt lohnte sich die Oberstufe, und so wurde die Entscheidung gefällt, »das Progymnasium darf zum Vollgymnasium ausgebaut werden«.
Hintergrund der steigenden Schülerzahlen war damals der Bildungsboom in ganz Deutschland, der Anfang der 60er-Jahre eingesetzt hatte. In der öffentlichen Debatte wurde eine Bildungskatastrophe vorhergesagt, wenn sich die Abiturientenzahl nicht von sechs auf etwa 30 Prozent eines Jahrgangs erhöhe. Es galt daher vor allem, die auf dem Land brachliegenden »Begabungsreserven«, das »geistige Potential des Volkes« zum »Wohle von Gesellschaft und Wirtschaft zu erschließen«. Folgen dieser Bildungsdebatte waren 1965 ein Schulentwicklungsplan, die Zentralisierung weiterführender Schulen, verbesserte Schülerbeförderung und der Wegfall des Schulgelds.
Gymnasium als »Volksschule«
Dank der besseren Schülerbeförderung erweiterte sich auch das regionale Einzugsgebiet der Gymnasien, durch den Abbau mancher Barrieren wurde aus der »Eliteschule Gymnasium« langsam eine echte »Volksschule«. Diese vielfältige Entwicklung kam auch dem Progymnasium in Gammertingen zugute. Bereits 1964 beschloss der Stadtrat unter Bürgermeister Erwin Hirschle den Bau eines Schulgebäudes, drei Jahre später wurde es bezogen. 1972 begann der Aufbau der Oberstufe, 1974 machten die ersten 20 Schülerinnen und Schüler Abitur am Gymnasium Gammertingen.
Heuer, 50 Jahre und zwei Schulleiter später, konnten 63 junge Frauen und Männer ihr Abiturzeugnis in Empfang nehmen. Die Schülerzahlen liegen momentan nicht viel höher als 1972: 443 Schülerinnen und Schüler werden derzeit am GymGam von 47 Lehrenden unterrichtet. Vieles hat sich in einem halben Jahrhundert verändert – doch noch immer bietet das GymGam Kindern auf der Alb die Möglichkeit, wohnortnah zur Schule zu gehen und ihr Abitur zu machen. »Zum Wohle von Gesellschaft und Wirtschaft« und zu ihrem eigenen Wohl. (GEA)