MÜNSINGEN. Die Frage ist nicht, ob, sondern nur noch wann der Wolf auf der Alb sesshaft werden wird. Daran besteht für Fachleute wie Dr. Micha Herdtfelder und Olaf Klußmann kein Zweifel. Beide haben beruflich mit dem Wolf zu tun, Herdtfelder ist bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg , Klußmann beim Bundesforstbetrieb Heuberg, in dessen Bereich auch der ehemalige Truppenübungsplatz Münsingen fällt. Dort wurde in den vergangenen Monaten in enger Zusammenarbeit mit weiteren Behörden, der Biosphärengebietsverwaltung, Naturschutzverbänden und vor allem Berufsschäfern ein Modellprojekt konzipiert, umgesetzt und jetzt öffentlich vorgestellt. Eine besondere Infrastruktur erleichtert es den Schäfern, ihre Herden nachts in gut gesicherten Pferchen mit Elektrozäunen zu halten.
Im vergangenen Jahr wurden in der Region immer wieder einzelne Wölfe gesichtet, die auf Wanderschaft waren. In etlichen Fällen gibt es keinen Zweifel: Fotos oder DNA-Nachweise belegen die Existenz. Bisher noch nicht offiziell war die Sichtung eines Wolfs am 14. Juli in Römerstein-Zainingen, jetzt bestätigt Micha Herdtfelder den Vorfall: Das Tier ging in die Fotofalle, die Wildkamera eines Jägers. Dass es sich dabei um einen etwa einjährigen Wolf handelt, schließt Herdtfelder aus Fellzeichnung und Körperbau des Tieres.
Nachts im Pferch
Dass Schafe nachts in den Pferch müssen, dient nicht nur der Sicherheit der Herde. Es hat auch andere Gründe, die mit den Ernährungs- und Lebensgewohnheiten der Schafe sowie mit Tier- und Artenschutz zu tun haben, wie Schäfer Christian Stotz erklärt. »Das Ziel ist, dass die Schafe abends pappsatt sind«, so Stotz. Wer viel isst, muss das Essen auch wieder loswerden - und das tun die Schafe vor allem nachts. Diese Toiletten-Gewohnheiten sind genau das Problem: Niemand isst gerne dort, wo er vorher, na ja ... Jedenfalls hätten die Schafe am nächsten Morgen weniger Freude am Frühstück und ihrem Landschaftspflegejob, den sie damit so nebenbei erledigen. Heißt also: Die Weide muss sauber bleiben. Und das tut sie, wenn die Schafe nachts auf einem Pferchacker stehen. Dabei handelt es sich um Brachflächen, die den Dung gut aufnehmen. Würde der Kot einer Herde komplett auf einer Magerwiese landen, würde der hohe Düngereintrag den Pflanzenbestand erheblich verändern - auch das ist nicht gewollt, so Stotz. (ma)
Die Schäfer und ihre Herden zu schützen, bevor etwas passiert: Das war und ist das Hauptanliegen des Bundesforstbetriebs Heuberg, wie Marco Reeck als dessen Leiter betont. Der Bundesforst hat, ohne dazu verpflichtet zu sein, das Projekt initiiert und die Kosten in Höhe von rund 100.000 Euro übernommen. Der Truppenübungsplatz ist Bundesgebiet, die Flächen sind einzigartig. Über 100 Jahre militärische Nutzung und die bis heute andauernde Beweidung der Kulturlandschaft mit 20.000 Schafen machen sie ökologisch wertvoll. Für die 13 Schäfereibetriebe, die das 6.700 Hektar große Gelände beweiden, sind sie aber auch Wirtschaftsfaktor und Existenzgrundlage, die sie durch den Wolf bedroht sehen. Ein bisschen ruhiger schlafen können sie jetzt, wie die Berufsschäfer Christian Stotz, Jonas Henniger, Stefan Fauser und Lena Burkhardt beim Pressetermin berichten.
Erdungsstäbe für fast 70 Pferchäcker
Ihre Schafe werden die Nächte, wie bisher schon, auf Pferchäckern verbringen. Die Flächen mit Elektrozäunen zu sichern, war bisher ein immenser Aufwand - und die Sicherheit steht und fällt mit der Frage, wie gut die Erdung gelingt. Das ist im Gelände nicht immer ganz so einfach, wie Stefan Fauser erklärt. Fachleute von der Firma Manz aus Hundersingen haben nun an sämtlichen Pferchäckern - 52 sind es insgesamt, hinzu kommen 17 Ersatzflächen - Erdungsstäbe fest installiert. Sie sind unsichtbar, gut einen Meter tief wurden sie in den Boden gerammt. So bekommen es die Schäfer im Alltag nie und nimmer hin, in der Regel bekommt man die Stäbe von Hand nicht mal halb so tief in die Erde, berichtet Christian Stotz.
Daniel Goller und Siegbert Lamparter sind Experten für Weidezäune, sie und ihr Team haben die insgesamt 102 Erdungsstellen in rund 600 Arbeitsstunden gebaut - allerdings erst, nachdem der Kampfmittelräumdienst die Flächen untersucht und geräumt hatte. Allein das, berichtet Olaf Klußmann, hat ein halbes Jahr gedauert. Nachdem klar war, dass die Stellen ungefährlich sind, legten Goller und sein Team los. Pro Erdungsstelle wurde ein 15 Meter langer Graben gezogen, im Abstand von drei Metern wurden fünf Stäbe eingelassen und mit einem speziellen Tonmaterial umgeben. »Es ist wasserbindend und stellt auch in trockenen Phasen eine gute Erdung sicher«, erläutert Projektleiter Olaf Klußmann.
In Ausnahmefällen darf geschossen werden
Die technischen Details erklärt Siegbert Lamparter sehr anschaulich. »Es gibt zweierlei Arten von Strom. Die Spannung ist das, was messbar ist. Die Energie ist das, was dem Wolf weh tun soll.« 4.000 Volt Spannung sollten auf einem Schutzzaun mindestens sein - und möglichst auch da bleiben. Denn das Problem ist, wie Lamparter erläutert, dass in der Praxis oft viel verloren und in den Boden abgeleitet wird. Eine gute Erdung erhöht die Effektivität, »sie muss den Strom sozusagen wieder einfangen«.
Die Schäfer müssen nun keine Stäbe mehr in den Boden bringen, sie können ihre Stromquelle direkt anschließen und ihre Zäune aufbauen. Die sollten, erläutert Klußmann, zwischen 90 und 120 Zentimeter hoch sein. Das klingt nicht nach viel. Kommt der Wolf da nicht drüber? Theoretisch schon, in der Praxis tut er das allerdings eher nicht, erklärt Micha Herdtfelder: »Der Wolf ist ein vorsichtiges Tier. Er sucht erstmal, ob es einen Durchlass, eine offene Stelle in Bodennähe gibt. Dann kriegt er am Elektrozaun eine gewischt und bleibt erstmal weg.« Wenn der Wolf dann irgendwann doch aus Schaden klug werden und lernen sollte, den Zaun zu überwinden, gilt: Das geschützte Tier darf mit Ausnahmegenehmigung geschossen werden.
Die Schäfer wissen das Geschenk zu schätzen
So weit ist es noch nicht, und zumindest was den Truppenübungsplatz angeht, wähnen sich Schäfer Jonas Henniger und seine Kollegen »im Paradies, das schätzen wir schon wert«. Eine derartige Infrastruktur mit fixen Erdungspunkten gebe es im ganzen Land nicht, lobt auch Siegbert Lamparter die Verdienste der Arbeitsgruppe um Bundesforstbetriebsleiter Marco Reeck. Das Projekt ist alles andere als selbstverständlich, passt aber in die Modellregion Biosphärengebiet Schwäbische Alb, dessen Herzstück der ehemalige Truppenübungsplatz ist, so Reeck. Fördergelder für Schutzmaßnahmen gibt's nach derzeitiger Rechtslage erst dann, wenn zwei Nachweise für einen residenten Wolf vorliegen - was auf der Alb noch nicht der Fall ist. Trotzdem: »Ich möchte unseren Schäfern nicht sagen müssen, da läuft erstmal ein halbes Jahr nichts.« Deshalb sei der Bund mit dem Projekt in Vorleistung gegangen.
Schäfer Jonas Henniger findet es »supergut, dass was läuft, bevor was passiert«, zeigt aber auch die Grenzen der Maßnahmen auf. Er ist ganzjährig mit seinen Schafen draußen. »Im Winter, wenn Schnee liegt, wird's schwierig«, sagt er, und auch gegen Angriffe tagsüber sind die Herden derzeit nicht gefeit. Auch Herdenschutzhunde seien deshalb ein Thema, aber sie auszubilden geht nicht von jetzt auf gleich: »Das bedeutet Mehrarbeit, das schaffen wir frühestens in ein paar Jahren, hoffentlich haben wir so lange noch Zeit.«
Kollege Stefan Fauser hält das Konzept für die besonderen Flächen des Truppenübungsplatzes für optimal, erinnert aber daran, dass es noch andere Weiden gibt: Auch draußen auf den Wacholderheiden müssen die Schafe nachts in Sicherheit gebracht werden - hier müssen sich die Schäfer nach wie vor selbst darum kümmern und haben es aufgrund des unwegsamen Geländes noch deutlich schwerer. Lena Burkhardt spricht einen weiteren Aspekt an: die Entschädigungen, die Schäfer für vom Wolf gerissene Tiere erhalten. Es gehe ihr und ihren Kollegen viel weniger ums Geld als um die emotionale Seite der Geschichte: »Niemand von uns möchte tote Tiere da liegen haben.« (GEA)