MÜNSINGEN/REUTLINGEN. Die gute Nachricht zuerst: Die Zahl der Minderjährigen, die mit einer Alkoholvergiftung in eine Klinik eingeliefert werden, wird von Jahr zu Jahr niedriger. Diesen Trend sieht Sozialarbeiterin Verena Sulfrian auch im Kreis Reutlingen durch Zahlen der Kinderklinik, die für solche Fälle zuständig ist, bestätigt: Wurden im Jahr 2009 noch hundert Jugendliche (12 bis 18 Jahre) mit einer Alkoholvergiftung behandelt, waren es 2023 nur noch 28, davon 17 weibliche und 11 männliche Jugendliche. Sulfrian leitet das Projekt »Hart am Limit« (HaLT), das seit 2009 auch im Kreis Reutlingen am Standort der Jugend- und Drogenberatung vertreten ist.
Aufarbeiten, was passiert ist – und, wenn möglich, verhindern, dass es nicht wieder oder gar nicht erst zum exzessiven Konsum kommt: Diese Ziele verfolgt das HaLT-Team, das kreisweit unterwegs ist und neben Beratungsgesprächen im Krisenfall vor allem auch auf Präventionsprojekte setzt. Mit der Kinderklinik arbeitet HaLT eng zusammen, jeder eingelieferte Jugendliche bekommt das Angebot einer Erstintervention am Krankenbett mit einer ausgebildeten Fachkraft der Beratungsstelle. »Nur drei nahmen es nicht in Anspruch«, berichtet Verena Sulfrian mit Bezug auf die Einlieferungen im Jahr 2023.
In Münsingen hat sich Verena Sulfrian eng mit dem Jugendarbeitskreis vernetzt, dem Vertreter sozialer Einrichtungen und Jugendhilfe-Träger, Mitarbeiter der Stadt und Schulleiter angehören. Der Arbeitskreis kümmert sich um ein breites Themenfeld rund ums Erwachsenwerden samt der damit verbundenen Problemstellungen. Alkohol- und Drogenkonsum sind also nur ein Teilaspekt, allerdings ein wichtiger, an dem die im Rathaus für diesen Bereich zuständige Amtsleiterin Rebecca Hummel dran bleiben will. Mit Verena Sulfrian setzt sie deshalb im Zuge der alle zwei Jahre bundesweit stattfindenden Aktionswoche Alkohol Projekte in Münsingen um. Vor zwei Jahren gab's Cocktailkurse für Jugendclubs inklusive Rezeptheft, das nach wie vor an Clubs und Vereine ausgegeben wird und Lust machen soll auf Partys ohne Promille.
Theater für Achtklässler
»Wem schadet Dein Drink?« Unter diesem Motto steht die Aktionswoche in diesem Jahr. Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Alkohol nicht nur schlecht für den eigenen Körper und das eigene Wohlbefinden ist, sondern auch Auswirkungen auf das Umfeld und die sozialen Beziehungen hat.
In Münsingen bieten Jugendarbeitskreis und HaLT, unterstützt von weiteren Partnern und Sponsoren, geschlossene Veranstaltungen für alle Achtklässler an: Das Theater »Wilde Bühne« aus Stuttgart spielt nicht nur für, sondern mit Schülern drei kurze Stücke, in denen Alkoholkonsum thematisiert wird. Wie sie ausgehen, haben die Jugendlichen selbst in der Hand – im besten Fall gibt’s ein Happy End samt wertvoller Erkenntnisse. Muss man trinken, nur weil’s alle anderen tun und man dazu gehören will? Und wie geht man damit um, wenn die Mutter oder der Vater trinkt? Auf diese und ähnliche Fragen suchen die Jugendlichen gemeinsam mit den Schauspielern im Theater-Projekt Antworten. In Reutlingen wird HaLT mit einer Saftbar am 13. Juni auf dem Marktplatz vertreten sein: Es gibt alkoholfreie Cocktails und Musik der Reutlinger Kulturwerkstatt.
Auch wenn die Zahlen der Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen rückläufig sind und Rebecca Hummel in Münsingen derzeit keine klassischen Hotspots für Trinkertreffs bekannt sind: Kritischer Alkoholkonsum ist in Deutschland immer noch ein großes Thema, wie Verena Sulfrian berichtet. Nach Daten des Gesundheitsministeriums trinken rund 7,9 Millionen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form.
Beratung und Workshops
2,65 Millionen Kinder und Jugendliche leben in Haushalten, in denen mindestens ein Familienmitglied unter einer mit Alkohol in Verbindung stehenden Störung oder Erkrankung leidet. »Jugendliche«, betont die Sozialarbeiterin, »reagieren auf die schädlichen Wirkungen des Alkohols empfindlicher als Erwachsene: Alkoholkonsum im Kindes- und Jugendalter führt vor allem zu Schädigungen des Gehirns. Je früher Jugendliche ihr erstes alkoholisches Getränk zu sich nehmen, desto größer ist ihr Risiko, abhängig zu werden.« Prävention ist deshalb das erste Mittel der Wahl. Ganz unabhängig von der Aktionswoche bietet HaLT Beratungen und Workshops an – beispielsweise zu Alkoholkonsum in der Schwangerschaft oder in Kooperation mit Fahrschulen zum Thema Alkohol am Steuer. (GEA)

