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Viele Menschen wollen für die Notfallpraxis Münsingen kämpfen

Die Menschen in der Region wollen für den Erhalt der Notfallpraxis kämpfen. Sie kamen in Scharen zur Informationsveranstaltung der Münsinger Bürgerinitiative Albklinik.

Viele Besucher kamen zur Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Albklinik Münsingen zum Thema geplante Schließung der No
Viele Besucher kamen zur Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Albklinik Münsingen zum Thema geplante Schließung der Notfallpraxis. Foto: Maria Bloching
Viele Besucher kamen zur Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Albklinik Münsingen zum Thema geplante Schließung der Notfallpraxis.
Foto: Maria Bloching

MÜNSINGEN. Husten, Fieber, Heiserkeit – damit geht man unter der Woche zum Hausarzt. Am Wochenende ist dafür die Notfallpraxis der Hausärzte zuständig, angesiedelt in der Münsinger Albklinik. Ab April 2025 könnte es diese aber nicht mehr geben, denn sie ist eine von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) geschlossen werden soll. Diese Ankündigung hat Ärzte, Politiker und Patienten überrascht, ja geschockt. Jetzt formiert sich heftiger Widerstand. Aufgerufen dazu hat die Bürgerinitiative Albklinik, die am Mittwochabend zu einer Informationsveranstaltung einlud und regelrecht überrannt wurde. Der Saal im Gasthof Herrmann platzte aus allen Nähten, Menschen standen bis zur Straße und wollten ihr Interesse am Fortbestand der Notfallpraxis bekunden.

Denn eigentlich, so machte Hausarzt Dr. Eberhard Rapp deutlich, laufe der Notfalldienst richtig gut, alle niedergelassenen Hausärzte müssten höchstens vier- bis fünfmal Notdienst pro Jahr leisten. Es gibt sogar einen Pool an Ärzten, die sich speziell dafür bereitstellen. Das Argument der KVBW, sie wolle Ärzte entlasten, greife also keineswegs. Das Problem: »Viele Menschen schlagen nach der Schließung trotzdem im Krankenhaus auf«, sagte Rapp. Damit, so befürchtet auch Chefarzt Stefan Kühner von der interdisziplinären Notfallmedizin im Krankenhaus Reutlingen, werde die ohnehin schon überbelastete Notaufnahme noch stärker frequentiert. »Wir wollen die stationäre Versorgung bündeln, müssen aber gleichzeitig die ambulante Versorgung abdecken«. In der Notaufnahme seien Fälle, die eigentlich für die Notfallpraxis gedacht wären, nicht gut aufgehoben. Kühner brach eine Lanze für seine jungen Ärztekollegen, die Lust haben zu arbeiten, aber auch für die Patienten: »Der Patient definiert seine Not, nicht wir Ärzte«. Deshalb könne man auf das niederschwellige Angebot der Notfallpraxen nicht verzichten, eine »politische Lösung« müsse her.

»Diese Verantwortungslosigkeit von KVBW und von Sozialminister Lucha können wir nicht akzeptieren«

Cindy Holmberg, Landtagsabgeordnete der Grünen, versprach sicherzustellen, »dass es hier für Münsingen eine gute Lösung« und »die beste Gesundheitsversorgung auch weiterhin« geben werde. Sie gab sich kampfbereit, forderte aber auch den Rückhalt aus der Bevölkerung. Die Voraussetzungen für die Schließung, von Gesundheits- und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) formuliert mit einer guten Erreichbarkeit von Alternativen, einer digitalen Voraussetzung für Telemedizin und einer Verhinderung der Überforderung bestehender Klinikstrukturen, greife nicht.

Für Bürgermeister Mike Münzing ist es »utopisch«, was die KVBW plant. Lucha sitze im Aufsichtsrat, er habe also vom Vorhaben längst gewusst und könne nun nicht so tun, als ob es nie in seinem Beisein diskutiert worden sei. »Er ist nun in Handlungsnot«, so Münzing. »Wenn zwei bis drei Dienste pro Jahr in dem Berufsstand der Ärzte nicht vertretbar sind, weiß ich nicht, wo wir gelandet sind«, ärgerte er sich über die Blockadehaltung in Stuttgart. Es sei eine »Verantwortungslosigkeit«, wie die KVBW mit den Problemen der Bürger umgehe, und eine »Unverschämtheit«, wie der Berufsstand der Ärzte diskreditiert werde. Man müsse nun zusammenstehen und Druck aufbauen: »Diese Verantwortungslosigkeit von KVBW und von Sozialminister Lucha können wir nicht akzeptieren.« Es stelle sich die Frage, ob man die Struktur KVBW – finanziert aus öffentlichen Geldern – überhaupt noch brauche.

Die Ankündigung der Schließung treibt auch Dominik Nusser, Geschäftsführer der Reutlinger Kliniken, Sorgenfalten auf die Stirn. »Es geht immer Richtung ambulant vor stationär. Da kann es nicht sein, dass ambulante Strukturen zurückgefahren werden. Das ist ein Widerspruch an sich.« Manuel Hailfinger, Landtagsabgeordneter der CDU, befürchtet, dass der ländliche Raum weiter »kaputtgespart« wird. Sein FDP-Kollege Rudi Fischer blickte über die Notfallpraxen hinaus und sorgte mit seinen Äußerungen, die Gesellschaft müsse Lösungen finden, an Wochenenden nicht so oft zum Arzt gehen und zu Hausmitteln greifen, für lauten Unmut. Eine Besucherin sprach von »Anmaßung«: »Wir Älbler kennen Hausmittel, keiner geht am Wochenende zum Arzt, nur weil ihm langweilig ist.«

»Mit Fleiß und ohne Not wird ein funktionierendes System an die Wand gefahren, obwohl wir Hausärzte gerne unseren Beitrag zur Grundversorgung leisten wollen«

Florian Wahl, SPD-Landtagsabgeordneter und Mitglied im Sozialausschuss, sprach von einem Problem, das das ganze Land betrifft. »Die KVBW optimiert sich zu Lasten der Bevölkerung selbst und erfüllt ihren Sicherstellungsauftrag nicht, das müssen wir nun einfordern«, so Wahl. Gesundheits- und Sozialminister Lucha stelle sich nicht auf die Seite der Menschen, kritisierte er. »So jemand brauchen wir nicht.« Eine Grundversorgung an 24 Stunden an sieben Tagen sei gesetzlich festgelegt, das müsse erfüllt werden. »Der Kampf ist nicht aussichtslos, das Nadelöhr ist das Gesundheits- und Sozialministerium.« Eine Hausärztin aus einer Biberacher Notfallpraxis sprach davon, dass »mit Fleiß und ohne Not ein funktionierendes System an die Wand gefahren wird, obwohl wir Hausärzte gerne unseren Beitrag zur Grundversorgung leisten wollen«. In Bad Saulgau wurden Mitarbeitende bereits für April 2025 gekündigt. So weit ist es in Münsingen bisher noch nicht. Dr. Eberhard Rapp appellierte, die Hoffnung nicht aufzugeben und zu kämpfen. In den vergangenen zwei Wochen wurden mehr als 3.500 Unterschriften gesammelt, die Aktion wird weiterlaufen. (GEA)