BUTTENHAUSEN. Heute ist es die Mühlsteige 19, früher war es Haus Nummer 94, in dem Berthold und Dora Maier wohnten. Jetzt erinnern nur noch zwei kleine, quadratische Steine mit einer Messingplatte und den eingravierten Namen an das Ehepaar, das 1942 nach Theresienstadt deportiert worden und dort nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft gestorben war. Zwischenzeitlich sind 25 Stolpersteine in Buttenhausen verlegt worden, die das Gedenken an die Schicksale jüdischer Menschen wach halten und ein Zeichen gegen das Vergessen setzen. 36 sollen es insgesamt werden – für all jene jüdischen Menschen aus Buttenhausen, die deportiert wurden, umkamen, Selbstmord verübten oder geflüchtet sind.
»Noch heute sitzen so manche Kinder und Enkelkinder auf geraubten Teppichen, Bestecken und Bildern«
Historiker Eberhard Zacher konnte einige Daten von Berthold und Dora Maier in Erfahrung bringen, wusste, dass deren Wohnhaus mit Scheuer direkt unterhalb der Erzberger-Erinnerungsstätte einen Steuerwert von 2.000 Reichsmark hatte und für 4.500 D-Mark 1962 verkauft wurde. Berthold Maier wurde im März 1978 in Buttenhausen geboren. Er war im Ersten Weltkrieg Landsturmmann, wurde verwundet und erhielt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verliehen. Seinen Beruf als Viehhändler durfte er ab Januar 1939 nicht mehr ausüben, weshalb er vom Israelitischen Wohlfahrtsverband finanziell unterstützt werden musste. Am 22. August 1942 wurde er gemeinsam mit seiner Frau Dora ins Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert. Sie wurde 1871 in Völkershausen geboren und heiratete ihren Mann im August 1908 in Nürtingen. Das Paar hatte zwei Kinder. Was aus ihnen geworden ist, konnte Eberhard Zacher nicht rekonstruieren.
Er geht aber davon aus, dass sie fliehen konnten. Für eine Flucht, so Zacher, mussten damals pro Person 5.000 Reichsmark bezahlt werden. »Die meisten Juden aus Buttenhausen sind nach Theresienstadt gekommen, einige wurden weiter nach Auschwitz gebracht und dort ermordet.« Vor ihrer Deportation wurden ihre Häuser geplündert: »Noch heute sitzen so manche Kinder und Enkelkinder auf geraubten Teppichen, Bestecken und Bildern.« In den Konzentrationslagern mangelte es an Sauberkeit und Hygiene, die Menschen sind dort laut Zacher »wie die Fliegen gestorben«. Helene Rothschild war die einzige überlebende jüdische Bewohnerin aus Buttenhausen, weil ihre vermögende Verwandtschaft aus den USA viel Geld gezahlt hatte.
»Juden waren in einer Zwangslage und immer Einschränkungen ausgesetzt«
Wie sehr die jüdische Geschichte von Verlust, Vertreibung, Verfolgung, Hoffnung und dem unermüdlichen Streben nach Gerechtigkeit geprägt war, machte Albert Gnädinger in seinem Vortrag deutlich. Einst konnte sich die jüdische Kultur ab 1.000 vor Christus über den ganzen Nahen und Vorderen Osten verteilt ausbreiten. Doch dann kamen Assyrer, Perser, Berber und Römer und damit auch Zerstörung und Zerstreuung. »Juden waren in einer Zwangslage und immer Einschränkungen ausgesetzt. Dies begleitet sie bis heute«, so Gnädinger. Christentum und Islam wurden zu konkurrierenden Religionen, die auf jüdischem Denken basieren. Der Antijudaismus ging einher mit Verboten und Vorschriften, die auch schriftlich festgehalten wurden und die Juden in alle Winde zerstreuten.
Bei ihrer Suche nach einer neuen Heimat kamen sie auch nach Deutschland. In Buttenhausen erhielten sie durch den Judenschutzbrief von Freiherr von Liebenstein 1787 eine Chance auf ein gutes Leben, getragen von dem Gedanken an Toleranz und Menschenwürde. 150 Jahre lang lebten hier Christen und Juden miteinander und nebeneinander. Juden konnten Handel betreiben, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen und ihren Glauben leben. Laut Gnädinger war dieser Judenschutzbrief ein »Erfolgsrezept« und »das liberalste und fortschrittlichste Dokument dieser Art zu seiner Zeit«.
Seit vielen Jahren wird der Tag der jüdischen Kultur nicht nur als Rückschau auf das begangen, was war, sondern auch als Aufruf, aktiv für Toleranz, Respekt und ein friedliches Zusammenleben einzutreten. Passend dazu spielte das Duo Tangoyim auf dem Synagogenplatz mit Gesang, Geige, Akkordeon und Klarinette zu einem kleinen Konzert auf und nahm die Zuhörer mit auf eine Reise durch die jüdische Musik. (GEA)