ST. JOHANN/BAD URACH. Alte Rat-, Back-, Waag- oder Schlachthäuser, die kaum oder nur sporadisch genutzt werden, leer stehen und dringend saniert werden müssten, besitzt wohl jede Alb-Gemeinde. Auch in St. Johann ist die Liste der Immobilien, hinter deren Zukunft ein dickes Fragezeichen steht, lang. Ganz oben steht ein Gebäude, das sich von den üblichen Besitztümern erheblich unterscheidet: Die alte Mühle in der Georgenau zwischen Bad Urach und Seeburg. Vom Vorbeifahren kennt sie jeder, prominent steht sie direkt am Straßenrand der B465, auf der morgens und abends dichte Pendlerverkehrskolonnen rollen.
Dass sie der Gemeinde St. Johann gehört, wissen wohl die wenigsten. Wie kommt eine Alb-Gemeinde von der Hochfläche in den Besitz einer Mühle im Tal? Das hat einen historischen Hintergrund, wie Bürgermeister Florian Bauer in der Sitzung des Gemeinderats erläuterte. Lange Zeit wurde der Kispel mit Wasser aus einer Quelle im Ermstal versorgt. Um es auf die Alb zu befördern, hatte die Uracher Albgruppe die ehemalige Getreidemühle gekauft. In einem Teil des Gebäudes wurde die Getreidemühle weiterbetrieben, im Erdgeschoss wurde ein Pumpenraum für die Wasserversorgung eingerichtet. In den 1970er-Jahren wurde die Wasserversorgung modernisiert und das Pumpwerk stillgelegt. Als sich der Versorgungsverband der Uracher Albgruppe vor rund zehn Jahren auflöste, wurde auch das Vermögen verteilt.
»Ich glaube, dass ein Markt dafür da ist«
Die Mühle fiel - durchaus nicht als unerwünschtes Geschenk - an St. Johann: »Die Gemeinde und der Gemeinderat wollten das so - auch mit der Argumentation, ein Stückweit die Option auf eine eigene Wasserversorgung zu haben«, erinnerte Bauer, der damals noch nicht Bürgermeister war, aber im Gemeinderat saß. Denn nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die benachbarten Grundstücke gehören zu der Liegenschaft. Und mit ihnen eine eigene Quelle, die, so die Idee, in Notzeiten die Wasserversorgung sicherstellen könnte.
Die Gemeinde fand einen Pächter, der nicht nur die Wohnräume bezog, sondern auch Freude daran hatte, das kleine Wasserkraftwerk zur Stromgewinnung weiter zu betreiben. Diese Zeiten sind vorbei, der Sohn des Pächters lebt nicht hier und hat signalisiert, das Pachtverhältnis nicht weiter aufrecht erhalten zu wollen. Nicht immer herrscht so viel Einmütigkeit am St. Johanner Ratstisch wie in dieser Angelegenheit: Etliche Räte meldeten sich zu Wort und plädierten dafür, das Gebäude zu verkaufen. Ein entsprechender Beschluss wurde einstimmig gefasst. Zuvor soll ein Wertgutachten erstellt werden, das letzte stammt aus dem Jahr 2017.
»Das ist industriegeschichtlich eine ganz eigene Nummer«
Was die Grundstücke angeht - behalten und verpachten oder verkaufen? -, hatte Miriam Werner eine Idee, die die Verwaltung gerne aufnahm: Sie lässt prüfen, ob ein Teil der Flächen - insbesondere das Flurstück mit der Quelle - dem Öko-Konto zugeführt werden könnte, das die Gemeinde derzeit einrichtet. Eine gewisse Gefahr sah Michael Heinz, der fachliche Expertise in die Diskussion einbrachte. Heinz hat beruflich mit Gewässern zu tun, beim Landratsamt Reutlingen ist er dafür zuständig. Nicht weit entfernt von der Mühle sei der Biber schon ziemlich aktiv. Wenn er mit seinen Bauarbeiten bis zur Mühle vorrückt, wären die Flächen verloren, äußerte er seine Befürchtungen.
Heinz empfahl, das Gebäude an einen Liebhaber zu veräußern, »der Freude an Wasserkraft hat« und auch bereit wäre, Geld zu investieren. Das Kraftwerk müsse, um weiterhin betrieben zu werden, modernisiert werden, auch die Umwelt-Auflagen sind andere als früher - Heinz nannte die Stichworte Fischauf- und -abstieg. »Damit wäre die Kommune überfordert«, so Heinz' Fazit.
»Es bringt nichts, wenn wir die Mühle an jemanden verkaufen, der sie dann verlottern lässt«
Im Oktober hatten interessierte Gemeinderäte das Anwesen besichtigt. Hans Brändle hatte den Besuch in guter Erinnerung. Er konnte sich, wie auch Enzian Schneider, gut vorstellen, dass das Gebäude einen neuen Besitzer findet. Schneider: »Ich glaube, dass ein Markt dafür da ist. Da kann man was draus machen.« Auch Petra Rall gehört zu den Fans der Mühle: »Mir hat sie sehr gut gefallen.« Das prompte »Angebot« von Bürgermeister Florian Bauer - »Wir machen Dir einen guten Preis« - lehnte sie zwar dankend und lachend ab, aber: »Ich glaube durchaus, dass wir jemanden finden, dem sie genauso gut gefällt wie mir.«
Markus Maibrink sprach sich mit Blick auf den Denkmalschutz und den »nicht unerheblichen historischen Wert« der Liegenschaft für einen Verkauf aus, aber nicht um jeden Preis. »Das ist industriegeschichtlich eine ganz eigene Nummer, dafür hat die Gemeinde auch Verantwortung. Es bringt nichts, wenn wir die Mühle an jemanden verkaufen, der sie dann verlottern lässt.«
Eine theoretische Alternative zum Verkauf auf dem freien Markt wäre der Verkauf an die Stadt Bad Urach, auf deren Gemarkung das Anwesen liegt. Große Chancen rechnete sich Bürgermeister Bauer nach ersten Vorgesprächen mit dem Bürgermeister-Kollegen Elmar Rebmann unter vier Augen allerdings nicht aus, ließ er durchblicken. Im Gemeinderat der Nachbarstadt stand das Thema (noch) nicht auf der Tagesordnung. (GEA)