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Aktuell Fachkräftemangel

So geht es Menschen aus Tunesien nach einem Jahr auf der Alb

Die Pflegerinnen Meriem, Wala und Ramla sind vor einem Jahr von Tunesien nach Zwiefalten gekommen, um im ZfP zu arbeiten. Ihre E
Die Pflegerinnen Meriem, Wala und Ramla sind vor einem Jahr von Tunesien nach Zwiefalten gekommen, um im ZfP zu arbeiten. Ihre Entscheidung haben sie nicht bereut, sie fühlen sich in Deutschland sehr wohl. FOTO: ZFP
Die Pflegerinnen Meriem, Wala und Ramla sind vor einem Jahr von Tunesien nach Zwiefalten gekommen, um im ZfP zu arbeiten. Ihre Entscheidung haben sie nicht bereut, sie fühlen sich in Deutschland sehr wohl. FOTO: ZFP

ZWIEFALTEN. Vor einem Jahr kam die Krankenpflegerin Wala Hasni mit sieben weiteren jungen Frauen und einem Mann aus Tunesien nach Zwiefalten, darunter auch eine Familie mit zwei kleinen Kindern, um sich eine berufliche Zukunft im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg aufzubauen. Ihre weitreichende Entscheidung hat sie nicht bereut.

Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die Chance, nach Ausbildung oder Studium einen guten Job zu bekommen, gering – auch und gerade im Pflegebereich. Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland wirkt die Situation in Tunesien paradox. Doch sie ist real. Auch die 24-jährige Wala Hasni hielt sich nach ihrem dreijährigen Pflegestudium mit anderen Jobs über Wasser. In einem Callcenter in einer tunesischen Stadt machte sie Termine für Patienten eines Krankenhauses irgendwo in Frankreich aus. Outsourcing in Zeiten der Globalisierung. Dann stieß sie auf eine Agentur, die Pflegekräfte vermittelt. Weltweit, nach Kanada, Belgien, Saudi-Arabien. Und Deutschland. So begann Walas Weg nach Zwiefalten, wo sie inzwischen als anerkannte Pflegefachkraft in der Alterspsychiatrie arbeitet. Hinter ihr liegt ein langer, anstrengender Weg.

Am Anfang stand ein intensiver Sprachkurs. Innerhalb eines halben Jahres musste Wala Deutsch lernen: Mindestens so gut, dass es fürs B1-Niveau reicht. Das schreibt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vor. Mit den rechtlichen Bedingungen kennen sich Eveline Brändle-Ouertani und Andrea Armbruster aus. Die Assistentin von Pflegedirektor Ralf Aßfalg, der vor gut drei Jahren die ersten Schritte zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte unternahm, und die pflegerische Leiterin der Abteilung Sucht haben die Aufgabe, Pflegende aus dem Ausland zu gewinnen und zu integrieren, federführend übernommen. »Ein Herzensprojekt«, sagt Eveline Brändle-Ouertani, die 19 Jahre mit ihrem Mann und ihren Kindern in Tunesien gelebt hat. Ihre Sprachkenntnisse sind ein Glücksfall für das besondere Integrationsprojekt.

Aufwendiges Verfahren

Eveline Brändle-Ouertani und Andrea Armbruster haben ihre neuen Kolleginnen und Kollegen auf den ersten Schritten im neuen Umfeld begleitet. Wohnungen besorgt und möbliert, das Rathaus, die Post und die Bank gezeigt. Sich im Alltag eines fremden Landes zurechtfinden: Das war nur eine der Herausforderungen, denen sich Wala und die anderen stellen mussten. Denn vor der Anstellung als ausgebildete Pflegefachkraft steht ein aufwendiges Anerkennungsverfahren, das die Gleichwertigkeit der beruflichen Qualifikation im Ausland mit den Ausbildungsabschlüssen der deutschen Pflegenden gewährleisten soll. Zuständig dafür ist das Regierungspräsidium: Es stellt einen sogenannten Defizitbescheid aus, der Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Visums ist. Die Behörde legt darin – individuell bemessen am Ausbildungsstand und Berufserfahrung der jeweiligen Bewerbenden – fest, welche weiteren Qualifizierungsschritte nötig sind.

Wala und die anderen haben nicht nur in der Psychiatrie, sondern jeweils auch für mehrere Wochen in der Neurologie, Chirurgie, Gynäkologie und Rehabilitation in verschiedenen Krankenhäusern in der Region mitgearbeitet. Am Ende des Verfahrens steht die offizielle Anerkennung durch das Regierungspräsidium in Stuttgart. Nach der Anerkennung muss die Bundesagentur für Arbeit dieser Tätigkeit zustimmen. Erst dann dürfen sie als Pflegefachkräfte eingestellt und auch so bezahlt werden. »Bis dahin sind sie als Pflegehelferinnen beschäftigt«, erklärt Eveline Brändle-Ouertani.

Erfolg versprechende Modelle, mit denen sich neue Kollegen gewinnen lassen, sind das freiwillige soziale Jahr (FSJ) und der Bundesfreiwilligendienst. »Wir haben viele Bewerbungen aus der ehemaligen UdSSR, aus Nepal, Tunesien, Algerien, Togo, Madagaskar oder Namibia«, berichtet Andrea Armbruster. Von derzeit 25 FSJlern in Zwiefalten ist nur ein Drittel deutsch. Etliche haben in ihrem Herkunftsland schon eine pflegerische Ausbildung gemacht. Sie zu halten und weiter zu qualifizieren, ist das Ziel. Einmal im Monat organisieren Andrea Armbruster und Eveline Brändle-Ouertani Integrationstreffen. Es geht ums Kennenlernen, darum, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu helfen. »Neulich«, erzählt Wala, »haben wir das Thema Steuererklärung besprochen.« Typisch deutsch? Ja. Genauso wie der Hang zur Bürokratie, der Rundfunkbeitrag und Mülltrennung. Über die eine oder andere kulturelle Irritation können Wala und ihre Freundinnen heute lachen: »Wir haben anfangs so viele Flaschen weggeschmissen, dass sich die Nachbarn gewundert und uns irgendwann darauf angesprochen haben.« Pfandsystem? Gibt’s in Tunesien nicht.

Multi-nationale Teams

Lernen mussten die Neuankömmlinge auch, dass das Berufsbild Pflegefachkraft samt der ihm zugeteilten Aufgaben und zugestandenen Kompetenzen in Tunesien ein anderes ist als in Deutschland. »Dort übernehmen studierte Pflegekräfte Aufgaben, die bei uns schon in den ärztlichen Bereich fallen. Andere Arbeiten wie Körperpflege oder Hilfe bei den Mahlzeiten, die hier selbstverständlich dazu gehören, werden in Tunesien von Pflegehelfern oder von Angehörigen erledigt«, erklärt Andrea Armbruster. Dennoch: Mit der Umstellung sei sie gut zurecht gekommen, betont Wala. Ihre Entscheidung habe sie nicht bereut. Für die Psychiatrie hat sie sich bewusst entschieden, auch wenn damit zusätzliche Herausforderungen verbunden sind – vor allem in sprachlicher Hinsicht, denn nicht selten kommt auch Schwäbisch ins Spiel.

Bernd Ebe ist pflegerischer Leiter der neuropsychiatrischen Station, auf der Ramla Ennaem arbeitet. Sie ist damals gemeinsam mit Wala in Zwiefalten angekommen. Die Integration, sagt Bernd Ebe, habe von Anfang an gut geklappt – zumal sein Team schon längst ein multi-nationales ist: Derzeit haben von 23 Pflegekräften zehn nicht-deutsche Wurzeln. Nicht nur fachlich, sondern auch menschlich passt alles: »Die Patienten mögen ihre nette, fürsorgliche Art, sie ist ein sehr offener Mensch und eine Bereicherung für die Station«, lobt Ebe.

»Anfangs haben wir gedacht, wenn 50 Prozent da bleiben, ist das eine gute Quote. Jetzt ist ein Jahr vorbei, und alle sind noch bei uns«, zieht Andrea Armbruster Bilanz. Das Experiment Tunesien ist geglückt, der Aufwand hat sich gelohnt. Ramla lebt inzwischen mit ihrem jüngeren Bruder zusammen, der ein FSJ im ZfP macht. Auch Wala wird bald nicht mehr allein sein: Sie hat in Tunesien geheiratet. Ihr Mann will nachkommen, um ebenfalls auf der Alb Fuß zu fassen. (eb)