Logo
Aktuell Wissenschaft

So ändert sich die Artenvielfalt auf der Schwäbischen Alb

Die siebte Informationsveranstaltung des Biodiversitäts-Exploratoriums Schwäbische Alb fand im Haupt- und Landgestüt Marbach statt. Erkenntnisse zum Rückgang der Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft aus über 15 Jahren Forschung und derzeit mehr als 40 Einzelprojekten in den Biodiversitäts-Exploratorien machen deutlich, dass ein dringender Handlungsbedarf besteht.

Oberhalb des Münsinger Gewerbegebiets wurden Bäume gefällt, um Orchideen mehr Licht zu verschaffen.
Oberhalb des Münsinger Gewerbegebiets wurden Bäume gefällt, um Orchideen mehr Licht zu verschaffen. Foto: Steffen Wurster
Oberhalb des Münsinger Gewerbegebiets wurden Bäume gefällt, um Orchideen mehr Licht zu verschaffen.
Foto: Steffen Wurster

GOMADINGEN-MARBACH. Forschung trifft Praxis bei der siebten Informationsveranstaltung des Biodiversitäts-Exploratoriums Schwäbische Alb auf dem Haupt- und Landesgestüt Marbach. Die Biodiversitäts-Exploratorien forschen seit mittlerweile über 15 Jahren über genetische Vielfalt innerhalb von Arten, Artenvielfalt und Ökosystemen.

»Kulturlandschaften« sind das Gegenteil von Urwäldern. Es sind durch menschliche Nutzung geprägte Landschaften, also praktisch alles, was wir hierzulande sehen können, egal ob Wald, Wiese, Acker oder Wacholderheide. Selbst die vollständig geschützten Kernzonen im Biosphärengebiet brauchen noch Jahrzehnte, bis sie zu den »Urwäldern von morgen« werden.

Artenschwund verlangsamen

Wenn man den Artenschwund verstehen und zumindest verlangsamen will, liegt es daher nahe, wenn sich die an den Exploratorien beteiligten Universitäten mit Praktikern zusammensetzen, mit den Land- und Forstwirten. In Marbach trafen sich Wissenschaftler der Universitäten Ulm, Göttingen, Münster, Tübingen, Marburg und München sowie vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie mit den Praktikern des Kreisforstamts, des Kreislandwirtschaftsamts und des Haupt- und Landgestüts.

Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Namen Biodiversitäts-Exploratorium Schwäbische Alb? Ein deutschlandweites, wissenschaftliches Generationenprojekt, das bereits seit 2006 Daten sammelt, um die neben dem Klimawandel zweite große Schicksalsfrage zu klären: Wie verändert sich die Artenvielfalt, warum geht sie drastisch zurück und was beeinflusst ihre Veränderung?

Drei Forschungs-Gebiete

Und irgendwann einmal: Kann man den Artenschwund noch aufhalten, bevor der »Stumme Frühling«, das Frühjahr ohne summende Insekten und singende Vögel, Realität wird? Geforscht wird auf der Schwäbischen Alb, in der Schorfheide-Chorin in Brandenburg und in der Hainich-Dün in Thüringen, 30 bis 40 Arbeitsgruppen sind aktiv, sagt Gebietsmanager Dr. Max Müller von der Universität Ulm. Eine der Besonderheiten der Exploratorien sei es, dass alle Erkenntnisse, von der Probe über die Analyse bis zu Schlussfolgerungen, allen Wissenschaftlern weltweit über die Disziplinen hinweg offenstehen, erklärt Max Müller, »jederzeit und online«.

Aber nicht nur online, auch in lokalen Info-Veranstaltungen, auf der Alb jetzt zum siebten Mal. »Wir wollen das Ganze ja vor allem in die Praxis rüberbringen«, sagt Müller. Neu an der siebten Auflage war es, dass die Praktiker ihre Sicht auf Biodiversität und Lebensräume weitergeben konnten: »Wir wollen ihnen die Forschung nicht einfach vor den Latz knallen.« Förster und Experten aus der Landwirtschaft leiteten die Praxis-Workshops »Früher Heide - heute Wald« und »Artenvielfalt im landwirtschaftlichen Betrieb fördern«. Ihre Kollegen bekamen Einblicke in laufende Projekte, die sie nach Hause mitnehmen können. Und die Forscher lernen den Blick derjenigen kennen, die unsere Kulturlandschaft gestaltet haben. »Ein Förster sieht den Wald mit anderen Augen als wir«, weiß Müller. »Wir brauchen Feedback, ob wir immer in die richtige Richtung schauen und was noch zu tun ist.«

Förster und Landwirte berichten

Ziel des Austausches ist es daher, die Blickwinkel ein Stück weit zur Deckung zu bringen. In den Workshops gab es mehr Zeit für Diskussionen, als für die knappen Vorträge vorgesehen war. Und die Zeit wurde gut genutzt, für Fragen an die Forscherteams, aber auch selbstkritisch im eigenen Beritt. »Wir haben schon einige forstliche Dogmen kommen und gehen sehen«, meinte etwa ein erfahrener Revierleiter. Die Forschung kann da undogmatisch helfen, mit Beiträgen etwa zur Waldbewirtschaftung im Spannungsfeld zwischen Biodiversität und Klimawandel oder zur Renaturierung von Grünland. Forst und Landwirtschaft konterten mit Beiträgen zur Artenvielfalt im landwirtschaftlichen Betrieb und Erfahrungen mit dem Ausputzen verwaldeter Wacholderheiden. Für Münsinger interessant: Förster Benedict Kollmus ging auf die Maßnahmen oberhalb des Uracher Wegs ein, die ja für einiges Aufsehen gesorgt haben. Hier wurden deutlich sichtbar Bäume gefällt, Ziel ist es, mehr Licht auf den Boden zu bekommen, um Orchideen Lebensraum zu geben. Die seltenen Pflanzen seien jetzt schon in großer Zahl und Vielfalt zu sehen, sagte Kollmus.

Max Müller hofft, dass die Erkenntnisse der Exploratorien Eingang in die Praxis der Land- und Forstwirtschaft finden, vielleicht sogar von unten nach oben, von Revier und Acker auf der Alb hinauf in höhere Entscheidungssphären. Was bei der Informationsveranstaltung auf jeden Fall erreicht wurde: Die Akteure lernten sich kennen, tauschten Kontaktdaten aus. Einem weiteren Austausch steht also nichts mehr im Wege. (GEA)