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Prozess ums Drogenmilieu in Münsingen wird zum Verwirrspiel

Zweiter Verhandlungstag gegen vier Angeklagte aus der Münsinger Drogenszene verlief bisweilen skurril.

Amtsgericht Reutlingen.   FOTO: NIETHAMMER
Das Amtsgericht Reutlingen. Foto: Markus Niethammer
Das Amtsgericht Reutlingen.
Foto: Markus Niethammer

MÜNSINGEN/REUTLINGEN. So seltsam der erste Verhandlungstag war, so skurril ging es am zweiten weiter – und zwar mit einem »Schlossgeist«, mit einer äußerst seltenen Vereidigung einer Zeugin und mit einer Frau, die das Gericht nahezu zur Verzweiflung brachte.

Doch der Reihe nach: Angeklagt waren gestern erneut drei junge Männer, die in Münsingen Drogengelder eingetrieben und dabei einen 26-Jährigen nicht nur entführt, sondern auch genötigt und verletzt haben sollen. Der Vorwurf lautete zudem, dass das Trio das vermeintliche Opfer auf Geheiß eines vierten zusammengeschlagen habe – der zu jener Zeit allerdings im Gefängnis in Rottenburg in Haft saß. In einem Telefonanruf habe das Opfer an diesem Tattag den Häftling anrufen müssen: »Er sagte, er werde dafür sorgen, dass ich abgestochen werde, wenn ich meine Aussage gegen ihn nicht zurücknehme«, hatte der 26-Jährige am ersten Verhandlungstag ausgesagt.

Sein damaliger Auftritt im Gericht hatte nicht unbedingt seine eigene Glaubwürdigkeit unterstrichen. Und die Aussagen einiger Zeugen (als Randfiguren in diesem Verfahren) am gestrigen Freitag deuteten in die Richtung, dass »es im Milieu«, wie Richter Eberhard Hausch es ausdrückte, »immer schön ist, wenn man sich aus allem raushalten will«. So auch eine Zeugin, die als Nachmieterin des vermeintlichen Opfers mit dem Drogenmilieu gar nichts zu tun hat. Aber: Sie wollte sich partout nicht an ein »besonderes« Telefonat mit ihrem Vormieter erinnern. Jedoch war sie von der Polizei schon einmal zu dieser Angelegenheit vernommen worden, vor Gericht behauptete sie gestern: »Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin.« Als der Richter versuchte, ihr das zu erklären, sagte sie: »Vielleicht bin ich gar nicht die, für die Sie mich halten.« 

»Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin«

»Wollen Sie uns auf den Arm nehmen«, fragte Staatsanwalt Dr. Florian Fauser mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme. »Nein«, behauptete die Frau. Hausch holte einen Laptop, um ihr das Telefonat vorzuspielen. Ergebnis: »Ja, das war ich«, sagte die Frau schließlich. »Und Sie wollen sich nicht an den Streit am Schluss des Telefonats erinnern können«, sagte Fauser. »Und dass ihr Vormieter dabei geschlagen wurde, wissen Sie auch nicht mehr, sind Schläge für Sie völlig normal«, ergänzte Hausch fragend. Die Zeugin blieb die Antwort schuldig. Noch bunter getrieben hatten es gestern zwei andere Zeuginnen: Die eine, eine deutsche 21-Jährige, war nach eigenen Angaben zwischen 2017 und September 2019 die Freundin des Opfers. Bei der Polizei hatte sie im Mai 2019 ausgesagt, dass sie für ihren Freund mehrfach Geld an den jetzigen Hauptangeklagten online überwiesen hatte. Gestern betonte sie, dass sie die damalige Aussage auf Anweisung ihres Freundes gemacht hatte. »Das Geld war für auf Kommission gekaufte Drogen.« Empfänger: der Hauptangeklagte.

Gestern behauptete sie ebenfalls, dass sie keinen Kontakt zu genau diesem Mann hatte. Selbst auf Androhung der Vereidigung blieb sie dabei. »Wir haben im Gefängnis bei dem Hauptangeklagten ein Handy gefunden, mit Anrufen und Nachrichten an Sie«, sagte der Staatsanwalt. Eine der Nachrichten an die Kumpane des Häftlings lautete damals: »Sie zieht die Aussage zurück.«

Sie habe damals Angst vor ihrem Freund gehabt, sagte die junge Frau vor dem Schöffengericht. Deshalb habe sie sich vor der Polizei entsprechend geäußert. Verständnis konnte das Gericht für diese Variante nicht aufbringen. Stattdessen wurde ihre gestrige Aussage erneut vorgelesen und die Zeugin anschließend dazu vereidigt. Die Prognose von Richter und Staatsanwalt: »Wir sehen uns wieder hier vor Gericht, dann sind Sie aber nicht Zeugin, sondern Angeklagte.«

Anschließend kam eine 29-jährige Frau als Zeugin, die in Damaskus geboren wurde. Schon am ersten Verhandlungstag war sie geladen, ist auch immer mal wieder im Haus gesehen worden – als sie jedoch mehrfach von Eberhard Hausch in den Gerichtssaal gerufen wurde, war sie jeweils nicht aufzufinden. »Wie ein Schlossgespenst«, so der Richter dazu. Gestern war der geforderte Dolmetscher anwesend. Ja, sagte sie. Sie sei mit dem 26-jährigen Opfer zusammen. Und zwar schon seit 2016, als sie nach Deutschland kam und ihn kennengelernt hatte.

Und gleichzeitig habe ihr Partner eine andere Freundin gehabt, fragte Rechtsanwältin Safak Ott ungläubig. »Was geht Sie das an«, sagte die Zeugin. Ott versuchte ihr begreiflich zu machen, dass es um ihre Glaubwürdigkeit gehe. Ach so, sagte die Frau. Ein halbes Jahr habe er sie verlassen wegen der anderen. Aber das sei nicht schlimm gewesen, denn er sei ja bald zurückgekommen. Auch die Rechtsanwältin gab schließlich die Hoffnung auf, an diesem Verhandlungstag noch einigermaßen glaubwürdige Antworten zu erhalten. Weiter geht es in diesem Verwirrspiel am 7. Mai. (GEA)