SONNENBÜHL. Zeichnungen, Drucke, Raumcollagen sind in den vergangenen neun Monaten entstanden. Als Johann Hölz den beiden Künstlerinnen die Zusage für die Ausstellung gab, die am Samstag, 13. Juli, im Kunsthaus Alte Schule in Sonnenbühl-Undingen beginnt, haben sich Yvonne Reif und Carmen Kübler intensiv mit genau diesem Ort beschäftigt. »Die Inspiration kommt aus dem Ort und daraus haben sich die Arbeiten entwickelt«, sagen sie. Sie haben sich von Hölz, der die alte Undinger Schule 2012 gekauft hat, eine Auswahl an Fotos geben lassen, die vor allem während der Renovierungszeit entstanden sind. Als eine tragende Fachwerkwand freigelegt war. Als unterm Putz Reste alter Bemalung erschienen. Als Fensteröffnungen und Bodenbalken im Originalzustand waren.
»Das war unser gemeinsamer Handlungsstrang«: Es war die Zeit »Zwischen den Zeilen und Zeiten«, wie die Ausstellung von Yvonne Reif und Carmen Kübler betitelt ist. Die Zeit zwischen den Zeiten, als das Alte, als das Gebäude seiner ehemalige Funktion und Bestimmung enthoben war und kaum etwas daran erinnerte und als das Neue, das entstehen sollte - das Kunsthaus Alte Schule - noch nicht recht greifbar war. »Das ist wie eine Nahtstelle, ein Übergang.« Es ging weniger um Historisches als um Atmosphärisches. Die bestehende Architektur diente den Künstlerinnen als Hülle, um in manchen Werken durch Hinzufügen grafischer Elemente oder Weglassen von Details der Ursprungsfotos Neues entstehen zu lassen und neue Raumsituationen zu schaffen. Die Architektur wird zur Metapher, der Schulraum zum Kunstraum erhoben.
Dabei verlassen sie nicht ihre eigenen künstlerischen Leitlinien und Wege, arbeiten mit den Materialien, derer sie sich auch sonst bedienen - und haben dabei das Thema Schule, Schrift, Schreiben aufgegriffen. Eine Assoziation hat Yvonne Reif zu acht Bildern, Kreide auf Tafel, inspiriert, die ebenfalls den Ausstellungstitel »Zwischen den Zeilen und Zeiten« symbolisieren. Die schlecht geputzte Tafel im Klassenzimmer, auf der noch vorher Geschriebenes zu erahnen ist und neues darübergelegt deutlicher hervortritt. Spuren von Älterem werden verwischt, Schicht liegt auf Schicht. Wie bei den Vanitas-Stillleben im Barock geht es auch hier - zwar nicht im bloßen Bildmotiv, aber im übertragenen Sinn - um Vergänglichkeit und neue Sichtweisen der Realität. Die acht Tafeln sind tatsächlich auch vergängliche Werke - ein nasses Tuch würde sie verändern, wenn nicht sogar auslöschen, denn die Oberfläche ist nicht versiegelt, die Kreide nicht fixiert.
Ganz reduziert geht es um Schrift und Zeilen bei Carmen Kübler, die sie als grafische Elemente, horizontale Linien immer wieder aufgreift. Manchmal sind es Fäden, die sie verwendet, manchmal überlagern mit Tusche gedruckte Flächen die Linien, so entsteht fast der Eindruck eines Landschaftsraums, der sich Horizont vom Himmel trennt. Oder sie stickt Faden-Linien auf vier graue Filzplatten. Rätselhaft, vielleicht bilden die einzelnen beigefarbenen Faden-Sequenzen die Positionen für Buchstaben, die aneinandergereiht ein Wort, einen Satz entstehen lassen? Das wird nur »zwischen den Zeilen« zu lösen sein.
Die Ausstellung
»Zwischen den Zeilen und Zeiten« lautet der Titel der Ausstellung, in der die in Karlsruhe geborene Künstlerin Carmen Kübler und die aus Baden-Baden stammende Yvonne Reif Zeichnungen und Raumcollagen zeigen. Für beide ist es das dritte gemeinsame Ausstellungsprojekt, in dem sie sich mit dem Ausstellungsort, dem Kunsthaus Alte Schule in Sonnenbühl-Undingen, Hauptstraße 30, auseinandersetzen. Geöffnet ist die Ausstellung an den Wochenenden 13. und 14. sowie 20. und 21. Juli, samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr. Die Künstlerinnen sind dann vor Ort. (cofi)
Ausgehend von einem realen Gegenstand verwandelt sich dieser bei beiden Künstlerinnen im bildnerischen Prozess. Yvonne Reif hat Spitzer, Bleistift, Tintenfass ihrem Zusammenhang enthoben, vergrößert und überdimensioniert dargestellt, reduziert auf die Schönheit von Alltagsgegenständen, die »Ästhetik kleiner Gewöhnlichkeit«, losgelöst von ihrer Funktion. Ein Kronleuchter im Kunsthaus Alte Schule, der so gar nicht in eine Bildungsstätte, sondern eher in ein Schloss passen mag, und eine alte Schulbank sind Gegenstände, die sie zu einer Raumcollage zusammengesetzt hat. Die Kronleuchter-Kristalle aus Papier abstrakt nachgebildet und mit Tusche schattiert fließen regelrecht über die Wand hinunter über das antike Schülersitzmöbel der 1898 gegründeten Vereinigten Schulmöbelfabriken GmbH Tauberbischofsheim, München, Stuttgart. So sind verschiedene Zeitschichten miteinander vereint, verwoben, untrennbar verbunden.
Dem Ort als Zeitspeicher, mit Transparenzen, mit sich überlagernden Schichten, mit darunter und darüber Liegendem und sich Durchdringendem haben Yvonne Reif und Carmen Kübler Raum gegeben, bei reduzierter Farbpalette ermöglichen sie die Konzentration auf das Wesentliche, auf die Essenz. Und aufs Material mit unterschiedlicher Haptik, aufs Grafische. »In der Reduktion entdecke ich Vielfalt«, sagt Carmen Kübler. Und sie öffnet den Künstlerinnen großen Freiraum für den bildnerischen Prozess und dem Betrachter für die eigenen Assoziationen. (GEA)