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Empfang in Münsingen: Besinnung auf die wahren Werte

Bürgermeister Mike Münzing und Dekan Norbert Braun schlugen philosophisch-kritische Töne an

Der katholische Kirchenchor »Die MünSingers« umrahmte den Neujahrsempfang mit Musik.
Der katholische Kirchenchor »Die MünSingers« umrahmte den Neujahrsempfang mit Musik. Foto: Marion Schrade
Der katholische Kirchenchor »Die MünSingers« umrahmte den Neujahrsempfang mit Musik.
Foto: Marion Schrade

MÜNSINGEN. Ein bisschen mehr Menschlichkeit in einer zunehmend konsumorientierten Welt, Begegnung statt Individualismus: Bürgermeister Mike Münzing und der evangelische Dekan Norbert Braun thematisierten das gesellschaftliche Wertesystem in ihren Reden zum Münsinger Neujahrsempfang, der dadurch eine sehr nachdenkliche, philosophische Note bekam. Ein Zeichen dafür, dass sie mit ihrem Wunsch nach einem Mehr an Gemeinschaft nicht alleine dastehen, mag die große Zuhörerschar sein. Am späten Sonntagnachmittag kamen rund 300 Gäste in die Alenberghalle und folgten damit der gemeinsamen Einladung der Stadt und der Kirchengemeinden. Die Riege der Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises war komplett, neben Vertretern der Kirchen, Vereine und Rettungsorganisationen, Unternehmern und politisch Aktiven auf Ebene des Landes und der Kommunen kamen auch viele Bürger. Für musikalische Pausen vor, nach und zwischen den Reden sorgte der katholische Kirchenchor »die MünSingers«.

»Welche Werte sind uns wichtig?« Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage kam Bürgermeister Mike Münzing zunächst auf die messbaren Werte zu sprechen, für die es auch in Münsingen genügend Beispiele gibt. Eines davon ist die Umgestaltung des Freibads. Eindeutig messbar ist der beträchtliche finanzielle Aufwand von rund 6,5 Millionen Euro und das enorme Spendenaufkommen: Der Bäderförderverein sammelte rund 300 000 Euro. Von unschätzbarem Wert ist jenseits der Zahlen aber auch das Engagement der Bürger: »Sie haben nicht nur gefordert, sondern auch gefördert, sich von der Planung bis zum Bau mit eingebracht«, sagte Münzing und erinnerte an die vielen ehrenamtlichen Arbeitseinsätze samstags auf der Baustelle. »Viele Menschen in Münsingen setzen sich für etwas ein, ohne zu fragen: Was bekomme ich dafür?«

Vor der Wertschöpfung komme die Wertschätzung, so der Bürgermeister und machte anhand eines aktuellen Projekts deutlich, was er damit meinte. Münsingen stellt sich einem Zertifizierungsprozess, an dessen Ende es auch, aber nicht nur darum geht, das Label »Gesunde Stadt« zu tragen: »Wir wollen uns bewusst machen, was eine Stadt gesund macht, was wir schon haben und was besser genutzt werden kann.«

Die Bemühungen, zumindest einen Teil der Dienstleistungen für werdende Mütter im Münsinger Krankenhaus zu halten, werden mit der Einrichtung einer Hebammenpraxis an der Albklinik und einer Zuwendung vom Land in Höhe von 150 000 Euro belohnt. »Ziel ist es, mittelfristig auch wieder Geburten in Münsingen zu haben«, betonte Münzing, dass auch die Suche nach Gynäkologen für die Klinik nicht gänzlich vom Tisch ist. Wie wichtig den Münsingern das Thema ist, war am Zwischenapplaus dafür abzulesen. Mehr Wertschätzung wünscht sich der Bürgermeister im Umgang der Menschen miteinander, aber auch mit der Natur. »Willkommen in den neuen 20er-Jahren – das Ende der letzten sollte uns eine Lehre sein«, mahnte er die Rückbesinnung auf die »wahren Werte« jenseits messbarer und maßloser Konsumorientierung an.

Große Promi-Riege (von links): Die Bundestagsabgeordneten Michael Donth (CDU) und Pascal Kober (FDP), Hermann Friedl als Dekan d
Große Promi-Riege (von links): Die Bundestagsabgeordneten Michael Donth (CDU) und Pascal Kober (FDP), Hermann Friedl als Dekan der katholischen Kirche Reutlingen-Zwiefalten, Landrat Thomas Reumann und Beate Müller-Gemmeke, Bundestagsabgeordnete der Grünen (rechts, im Gespräch mit Bürgermeister Mike Münzing). Foto: Marion Schrade
Große Promi-Riege (von links): Die Bundestagsabgeordneten Michael Donth (CDU) und Pascal Kober (FDP), Hermann Friedl als Dekan der katholischen Kirche Reutlingen-Zwiefalten, Landrat Thomas Reumann und Beate Müller-Gemmeke, Bundestagsabgeordnete der Grünen (rechts, im Gespräch mit Bürgermeister Mike Münzing).
Foto: Marion Schrade

Dekan Norbert Braun knüpfte, Bezug nehmend auf das Märchen »Das kalte Herz«, nahtlos an diesen Gedanken an. Geld, Ansehen, Erfolg und Macht: Peter, die Hauptfigur der Geschichte aus dem Schwarzwald, zahlt für die Erfüllung seiner Wünsche einen hohen Preis. Er kann nicht mehr lachen, nicht mehr weinen, er hat ein kaltes Herz aus Stein. »Wie ist es um unser Herz bestellt?«, fragte Braun, der das Herz im biblischen Sinne als Zentrum des Willens, als »Cockpit« des Menschen bezeichnete. In der heutigen Gesellschaft, glaubt Braun, gibt es viele, denen es wie Peter im Märchen geht. »Wir wollen haben, haben, haben, Dinge sind wichtiger als Beziehungen. Man kann doch alles kaufen – aber für unsere Gier nach mehr bezahlen wir und andere einen hohen Preis«, formulierte der Dekan kritisch. »Das Klima auf der Welt wird immer wärmer, die Gesellschaft immer kälter.«

Die Verrohung sei sowohl an der Sprache als auch am Verhalten abzulesen. Exemplarisch ging Braun auf die Angriffe auf Einsatzkräfte in Uniform ein, die er verurteilte – dafür gab’s Szenenapplaus aus dem Publikum, in dessen Reihen sich zahlreiche Mitglieder der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und des Roten Kreuzes befanden. Der Theologe rief dazu auf, der »Ich-zuerst-Mentalität« Werte wie Hingabe, Offenheit und Freundschaft entgegenzusetzen. Seine kritische Rede beendete er mit einem optimistischen Ausblick: »Ich glaube, dass der Individualismus an seine Grenzen kommt, und dass die Menschen das auch spüren. Sie wünschen sich Gemeinschaft.« (GEA)